Physikertagung in München:Atome im Höllenfeuer

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Wenn Elektronen "tunneln" und "rutschen" freut sich der Physiker.

Von Christopher Schrader

Wenn Atome etwas fühlen könnten, müssten sie sich vor einem Mann wie Wolfgang Sandner fürchten: Der Physiker schickt sie ganz allein in eine Messapparatur und lässt dann das Höllenfeuer auf sie los - in Gestalt eines tiefroten Laserstrahls. Eine Leistung von 10 bis 100 Terawatt (Billionen Watt) bricht dann über die Atome herein, aber die Pulse dauern nur 10 bis 1000 Picosekunden (Billionstel Sekunden).

"Rein zahlenmäßig haben diese Laserpulse mehr Leistung als alle Kraftwerke dieser Welt zusammen, aber nur für kurze Zeit", sagt Sandner, Direktor des Berliner Max-Born-Instituts. Er hat am Donnerstag einen der Plenarvorträge bei der zentralen Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft gehalten, die dieses Jahr in München stattfindet. Thema: "Atomphysik in starken Laserfeldern".

Die heutigen Laser, sagt der Physiker, "können mühelos die Zustände im Inneren von Sternen simulieren". Die entscheidende Größe für die Forscher ist dabei nicht die Leistung an sich, sondern die Leistungsdichte, gemessen in Watt pro Fläche. Seit Erfindung des Lasers 1960 hat sich diese Zahl vervielfacht. Waren anfangs 100 Millionen Watt pro Quadratzentimeter (zehn hoch acht) die Obergrenze, kommen Physiker heute auf Werte von zehn hoch 20. Zwar bleibt den Physikern noch einiges zu wünschen übrig: "Mit zehn hoch 25 Watt pro Quadratzentimeter könnten wir Uranatome von all ihren Elektronen befreien", sagt Sandner.

Aber schon mit den vorhandenen Lasern kann man einiges in Atomen auslösen. Zehn hoch 18 Watt pro Quadratzentimeter beschleunigen ein befreites Elektron auf nahezu Lichtgeschwindigkeit und schon bei zehn hoch 16 Watt pro Quadratzentimeter wird die Bindung eines Elektrons an einen Wasserstoffkern aufgehoben.

Wenn Elektronen "tunneln"

Die Physiker schaffen es also problemlos, per Laserpuls Elektronen aus vereinzelten Atomen herauszuschlagen; über diese Versuche an verschiedenen Instituten hat Sandner in seinem Vortrag einen Überblick gegeben. Physiker stellen sich dabei die Kräfte im Atom bisweilen so vor, als lägen die Elektronen wie Kugeln in einem schmalen Loch. So lange eine horizontale Ebene das Loch umgibt, können die Elektronen nicht entkommen. Der Laserpuls jedoch kippt die Ebene rhythmisch hin und her. Das oberste Elektron kann dann "tunneln", also mit einiger Wahrscheinlichkeit die Wand des Lochs und die schräg stehende Ebene zur momentan nach unten zeigenden Seite durchstoßen und seine Freiheit erlangen.

Was die Physiker aber nach Sandners Worten zunächst verblüfft hat, ist die Zahl der Fälle, in denen ein Laserpuls zwei Elektronen auf einmal aus dem Atom losschlägt. "Das kam um mehrere Größenordnungen häufiger vor, als die Theorie vorhergesagt hat", so der Berliner Physiker. Inzwischen habe sich aber die so genannte Rückstreuungs-Theorie bestätigt: Demnach "rutscht" das soeben befreite Elektron auf der Ebene Richtung Loch zurück, sobald das Laserlicht die vorher nach unten gekippte Seite, auf der es ins Freie gelangt war, nach oben hebt. Mit diesem Schwung schlägt das Elektron dann ein zweites frei.

Eigentlich ist so eine Beschreibung Physikern ein Gräuel, weil sie einen quantenmechanischen Vorgang mit einem klassischen Modell (Stöße von Billardkugel) zu fassen versucht. Erstaunlicherweise aber, sagte Sandner, spiegelt sich die primitive Vorstellung in den Ergebnissen wider. Die beiden Elektronen bewegen sich am Ende meist in die gleiche Richtung und haben ähnliche Impulse. Nur wenn das befreite Elektron zu wenig Schwung hat, um ein zweites direkt aus dem Loch zu schlagen, passiert etwas, dass sich anhand des Billard-Modells nicht mehr verstehen lässt: Die beiden Elektronen fliegen nach dem Stoß in entgegengesetzte Richtungen davon.

In diesem Fall regt das erste Elektron das zweite nur an, hebt es also auf ein höheres Energieniveau. Von dort muss das zweite dann, wenn der Laserpuls die Ebene wieder in die andere Richtung kippt, selbst ins Freie tunneln.

Womöglich lasse sich mithilfe der Rückstreuung sogar eine neue Art von Mikroskop konstruieren, sagte Sandner. Denn im Prinzip könnten die Laserpulse auch Elektronen aus komplexen Molekülen wie Proteinen herausschlagen. Wenn die Teilchen dann auf der Ebene "zurückrutschten", würden sie so von der Verbindung abgelenkt, dass man daraus etwas über den Aufbau des Stoffs lernen könne.

© SZ vom 26.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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