Pharmaindustrie:Arme als Versuchskaninchen

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Pharmafirmen verlagern Arzneistudien zunehmend nach Osteuropa, Asien und Afrika. Das ist billiger, Regularien können einfacher umgangen werden, und Probanden finden sich leichter als im Westen.

W. Bartens

Es ist billiger, störende Regularien können einfacher umgangen werden, und Probanden finden sich auch leichter. Aus diesen Gründen verlagern immer mehr Pharmafirmen ihre Arzneistudien nach Osteuropa, Asien und Afrika.

Jugendliche in Manila: Arzneistudien in ärmeren Ländern verletzen häufig ethische Prinzipien. (Foto: Foto: AFP)

Werden Medikamente in ärmeren Ländern getestet, ist das in vielfacher Hinsicht fragwürdig: Die Versuchsteilnehmer haben geringere Schulbildung, Ethikkommissionen werden kaum befragt und Probanden selten nach westlichen Standards aufgeklärt.

Forscher der Duke University zeigen im New England Journal of Medicine nun, dass Arzneistudien in ärmeren Ländern häufig ethische Prinzipien verletzen. Zudem ist es auch aus medizinischen Gründen heikel, die Ergebnisse auf hiesige Patienten zu übertragen.

"Eine klinische Studie kostet in Indien nur ein Zehntel dessen, was sie in den USA pro Teilnehmer kostet", sagt Seth Glickman, der die Untersuchung geleitet hat. "Dass Medikamente dort getestet werden, wo sie später nicht gekauft werden können, ist ethisch sehr bedenklich."

Das Team um Glickman fand viele Belege dafür, dass in Indien und Afrika Medikamente gegen Krankheiten der Industrieländer oder umstrittene Wohlstandsleiden getestet wurden. So bekamen Probanden Mittel gegen Heuschnupfen, Reizblase oder das unklare Schmerzsyndrom Fibromyalgie, während ihr Land seit Jahren dringend auf Medikamente gegen Malaria und Tuberkulose wartet.

Die Forscher aus North Carolina haben Medikamentenstudien der 20 größten Arzneimittelhersteller der USA - darunter mehr als ein Dutzend der weltweit größten - analysiert.

Seit 2002 ist der Anteil der ins Ausland verlagerten Studien jedes Jahr um 15 Prozent gewachsen, bereits mehr als die Hälfte der Studienorte liegt außerhalb der USA. Außerdem untersuchten sie 300 klinische Studien, die zwischen 1995 und 2005 in angesehenen medizinischen Fachzeitschriften erschienen sind: Der Anteil der Studienorte in ärmeren Ländern nahm stetig zu, der in Europa und Nordamerika ab.

"Man sollte Studien dort machen, wo die Bevölkerung den Nutzen von den Medikamenten haben soll", sagt Gerd Antes, der das Cochrane-Zentrum in Freiburg leitet, das die Qualität klinischer Studien bewertet. Dies ist nicht nur aus ethischen Gründen ratsam, sondern auch weil dort die Menschen denen am ähnlichsten sind, denen die Mittel helfen sollen. "Andernfalls begeben sich Pharmafirmen - wohl aus Kostengründen - wissentlich in ein heikles Umfeld", so Antes.

Pharmakologen wissen, dass Ethnien verschieden auf Medikamente reagieren können. "Manchmal sind die Auswirkungen extrem, manchmal sind sie gleich null", sagt der Pharmakologe Bernd Mühlbauer von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. So sei bei Asiaten und Mitteleuropäern ein Enzym unterschiedlich aktiv, das den Abbau vieler Medikamente beeinflusst - ob und wie stark Mittel gegen Herzrhythmusstörungen wirken, ist davon abhängig. "Bei der Zulassung von Medikamenten muss die Herkunft der Probanden genau überprüft werden", fordert Mühlbauer.

"Die Überwachungsbehörden waren auf die Globalisierung der Forschung nicht vorbereitet", sagt Kevin Schulman, der an der US-Analyse beteiligt war. In vielen Medikamentenstudien versuchen die Auftraggeber zudem zu verschleiern, wo sie wie viele Teilnehmer rekrutiert haben. In vielen Studien europäischer oder nordamerikanischer Autoren wird dann beispielsweise nur erwähnt, dass auch Länder auf anderen Kontinenten beteiligt waren.

© SZ vom 20.02.2009/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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