Pestizidrückstände:Paprika mit Risiken und Nebenwirkungen

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Häufig sind Lebensmittel belastet - ab welcher Menge die Gesundheit gefährdet wird, ist umstritten.

Nicola Siegmund-Schulze

Viele Verbraucher sind verunsichert. Sie stehen im Supermarkt vor makellos aussehendem Obst und Gemüse und fragen sich, ob sie den schönen Schein nur mit zusammen mit Schutzmitteln bekommen: Oft sind auf Obst oder Gemüse Pestizidrückstände nachweisbar.

(Foto: Foto: AP)

Die Folge: "Das Vertrauen der Verbraucher in die Qualität von Lebensmitteln aus konventioneller Produktion nimmt ab", beklagte kürzlich Volker Koch-Achelpöhler. Der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Agrar (IVA) benannte bei einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main auch eine Ursache dafür: Vor allem Informationsdefizite über die Bedeutung von Rückstandshöchstmengen in Obst und Gemüse seien für den Vertrauensverlust verantwortlich.

Auch die Tatsache, dass die zulässigen Höchstgrenzen für Pflanzenschutzmittel in den Mitgliedstaaten der EU nicht einheitlich sind, verunsichere einige Verbraucher. So sind 247 Pestizid-Wirkstoffe in Deutschland zugelassen, etwa 800 Pestizid-Wirkstoffe werden aber weltweit häufig eingesetzt.

Der letzte Nationale Bericht über Pflanzenschutzmittelrückstände aus dem Jahr 2004 weist in knapp 60 Prozent der Lebensmittel Reste von Pestiziden aus. 40 Prozent der Produkte waren rückstandsfrei. Bei etwa einem Drittel, nämlich 36,5 Prozent der insgesamt 15 977 analysierten Proben, wurden mehrere Pestizide nachgewiesen, von zwei bis knapp 20 verschiedenen Stoffe.

Bei 7,4 Prozent aller von amtlichen Lebensmittelkontrolleuren gezogenen Proben lagen die nachgewiesenen Pestizidmengen über den festgelegten Höchstwerten. Jede Probe wurde im Durchschnitt auf 137 Substanzen untersucht. Insgesamt waren es 634, nach denen die Labors fahndeten. Die meisten Rückstände gab es in frischem Obst und Gemüse, vor allem bei Rucola, Paprika, Johannisbeeren, Tafeltrauben und Gurken.

Wann aber können solche Rückstände die Gesundheit gefährden? Darüber müssen in Deutschland das Institut für Risikobewertung (BfR) in Berlin, auf EU-Ebene die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in Parma entscheiden.

Das Problem: Für den Menschen gibt es - abgesehen von Berichten über akute Vergiftungen bei Anwendern von Spritzmitteln - kaum aussagekräftige Daten. Auch deshalb streiten Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen seit längerem mit den Verbänden der Erzeuger über die Gefahren, die von Pestizidrückständen ausgehen.

Beim IVA heißt es, dass selbst wenn die Höchstmengen überschritten würden im Allgemeinen keine Gefahr für den Verbraucher bestehe. Denn die Höchstgrenzen würden nach dem Vorsorgeprinzip festgelegt und enthielten hohe Sicherheitsspannen. Auch Mehrfachrückstände seien kein Risiko.

Ganz so positiv sieht es das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Bonn - zuständig für den Pestizidrückstands-Bericht und die Zulassung der Substanzen in Deutschland - dagegen nicht: Wenn "eine Vielzahl von Rückständen anzutreffen" sei, könne man dies als Hinweis werten, dass "die gute fachliche Praxis bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln von den Produzenten nicht beachtet wurde".

Doch sowohl BfR als auch BVL betonen, dass Überschreitungen von Rückstandshöchstmengen nicht automatisch mit einer Gesundheitsgefährdung einhergingen. Außerdem seien lediglich in 16 der knapp 16 000 Proben aus dem vorvergangenen Jahr die Grenzwerte so deutlich überschritten gewesen, dass "ein gesundheitliches Risiko für den Verbraucher nicht habe ausgeschlossen" werden können. Umweltschutzorganisationen wie das Pestizid Aktions-Netzwerk PAN oder Greenpeace sehen dagegen latente und auch akute Gesundheitsgefahren durch Pestizide.

Gift durch die Hintertür

Angefacht wird die Diskussion zusätzlich durch die Tatsache, dass die Höchstmengen für einzelne Wirkstoffe in den Ländern der Europäischen Union variieren. Ist ein Pestizid in Deutschland nicht zugelassen oder liegt die Höchstmenge unter dem maximalen Grenzwert anderer Länder, kann ein Importeur über eine Allgemeinverfügung beim BVL beantragen, dass auch Lebensmittel mit Rückständen von Pestiziden eingeführt werden dürfen, die in Deutschland nicht zugelassen sind oder für die geringere Höchstmengen gelten.

Beispiel: das Insektizid Lambda-Cyhalothrin. Es findet sich häufiger in Obst, aber auch auf Kopfsalat, und kann in hohen Dosen beim Menschen die Leber schädigen und die Nervenleitfähigkeit beeinträchtigen. Für Kern- und Steinobst ist die in Deutschland festgelegte Höchstmenge pro Kilogramm Obst halb so hoch wie für Produkte aus anderen Ländern.

Beim Milbenbekämpfungsmittel Hexythiazox liegt die zulässige Höchstgrenze für in Deutschland angebautes Kern- und Steinobst gar um das Fünffache unter der Höchstgrenze, die für Importeure gelten. Hexythiazox steht ebenfalls im Verdacht, in größeren Mengen die menschliche Leber zu schädigen.

"Solche Unterschiede kommen dadurch zustande, dass wir beim Import von Lebensmitteln nur die möglichen Gesundheitsrisiken für den Verbraucher abschätzen müssen. Bei der Anwendung im eigenen Land werden zusätzlich potentielle Schäden für Anwender und Umwelt berücksichtigt", erläutert Ursula Banasiak, Expertin für Pestizidrückstände beim BfR. Und derlei Bewertungen fielen von Land zu Land unterschiedlich aus.

Ein anderes Beispiel ist das Pilzbekämpfungsmittel Procymidon, das deutsche Bauern gar nicht verwenden dürfen. Bei Pilzen hemmt es die Bildung von Membranen und damit das Wachstum. Bei Säugetieren aber wirkt es der Bildung männlicher Hormone entgegen und könnte so zum Beispiel die normale Entwicklung eines Kindes beeinträchtigen. Seit dem Jahr 1997 ist es allerdings durch Allgemeinverfügung erlaubt, mit Procymidon behandeltes Obst nach Deutschland einzuführen.

Deutsche Erzeuger sehen sich denn auch durch die Länder-Unterschiede benachteiligt. Der Industrieverband Agrar drängt auf eine einheitliche Bewertung. "Da gibt es natürlich Regelungsbedarf", sagt Banasiak, "der Prozess der EU-weiten Harmonisierung läuft, mit dem Ziel, dass künftig Allgemeinverfügungen überflüssig sind."

Die EFSA wird die Pestizide in Kooperation mit den Mitgliedsländern bewerten, die EU-Kommission muss das neue Regelwerk verabschieden. Bis es in Kraft tritt, meinen Insider, dürften noch etwa zwei Jahre vergehen.

Profiteur Bio-Branche

Doch das Image von Produkten aus konventionellem Anbau ist längst angekratzt. Erst im November vergangenen Jahres hatte Greenpeace eine Studie veröffentlicht, laut der in deutschen Supermärkten und Discountern die Mengen an Lamda-Cyhalothrin und Procymidon in Weintrauben die so genannte akute Referenzdosis (ARfD) mehrfach überschritten und damit eine Gesundheitsgefahr vor allem für Kinder bestand.

Das BfR hatte Greenpeace bestätigt, dass die Berechnungen zur Einschätzung des Verbraucherrisikos im Wesentlichen korrekt waren. Die ARfD ist die geschätzte Menge eines Pestizidwirkstoffs, die üblicherweise während einer Mahlzeit oder eines Tages aufgenommen werden kann, ohne beim Verbraucher ein erkennbares Gesundheitsrisiko hervorzurufen.

Der überwiegende Teil der festgelegten Höchstmengen liege weit unterhalb der ARfD, so das BfR. Allerdings gibt es nur für etwa 180 Wirkstoffe ARfD-Werte vom BfR oder der Weltgesundheitsorganisation WHO. Und eine große Wissenslücke klafft zu der Frage, wie mehrere Pestizide im Organismus des Menschen zusammenwirken - ein weiteres Forschungs-Großprojekt bei der EFSA.

Großteil aus dem Ausland

Zur Image-Pflege haben viele Supermarktketten inzwischen eigene Standards für Pestizidrückstände aufgestellt, an die sich Lieferanten halten müssen. Allerdings: "Eine systematische Kontrolle der Erzeuger ist nicht zu realisieren, dazu gibt es einfach zu viele", sagt Ulrich Boysen, Geschäftsführer beim Deutschen Fruchthandelsverband, einem Hamburger Großimporteur. Zumal 88 Prozent des in Deutschland verkauften Obstes und 60 Prozent des Gemüses aus dem Ausland stammen.

Viele Verbraucher wählen deshalb einen anderen Weg. "Ein immer größer werdender Anteil der Konsumenten verkürzt die Informationsflut über Chemie in Lebensmitteln zu dem Schluss: 'Wenn ich Bio kaufe, bin ich auf der sicheren Seite'", hat Johannes Simons vom Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik der Universität Bonn festgestellt.

Begünstigt werde diese Einstellung dadurch, dass immer mehr Lebensmittel mit Bio-Siegeln zu annehmbaren Preisen angeboten würden, auch von Discountern wie Plus oder Lidl. Die Haltung der Verbraucher "entkrampft" sich laut Simons. Wer Bio kauft, legt nicht mehr automatisch eine Ideologie in seinen Korb. Doch ganz ohne Chemie kommen auch Bio-Betriebe nicht aus: So werden etwa oft kupferhaltige Pilzbekämpfungsmittel verspritzt, wenn auch in geringeren Mengen als beim konventionellen Landbau.

© SZ vom 12.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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