Patientendaten:Alles auf eine Karte

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Schon ab 2006 sollen Rezepte und Patientendaten auf einem elektronischen Ausweis gespeichert werden: Der sogenannten Gesundheitskarte.

Von Michael Lang

Als Ulla Schmidt am Montag in Hannover einen dicken Stapel Papier entgegennahm, da mag sie an Manfred Stolpe gedacht haben. Der für den Verkehr zuständige Kabinettskollege der Gesundheitsministerin hatte monatelang die Kritik von Opposition und Medien aushalten müssen, weil die beauftragte Firma Toll Collect das System der Autobahnmaut nicht rechtzeitig fertig bekommen hatte.

Ein Muster der Gesundheitskarte, ausgestellt auf Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, wurde am Montag auf der Cebit vorgestellt. (Foto: Foto: dpa)

Und nun pries Ulla Schmidt auf der Computermesse Cebit ein neues Computer-Großprojekt an: die Gesundheitskarte für aller Versicherten.

Der Vergleich zwischen Plastikkärtchen und Mautsystem liegt nahe; Kosten und Zeitdruck sind ähnlich. Die Einführung soll Schätzungen der Kassenärztlichen Vereinigung und des Branchenverbands Bitkom rund 1,7 Milliarden Euro kosten. Dann aber erwarten Gesundheits-Experten eine Ersparnis von einer Milliarde Euro pro Jahr.

Gegenfinanzierung schon in der Einführungsphase

"Allein die Entlastungen durch das elektronische Rezept reichen aus, um die Einführungsphase gegenzufinanzieren", sagte Schmidts Berater, der Kölner Professor Karl Lauterbach, der in Hannover erscheinenden Neuen Presse. 700 Millionen Rezepte pro Jahr wären einfacher und kostengünstiger auszustellen und abzurechnen.

Auch der Zeitplan ist ähnlich ehrgeizig wie bei der Maut. "In diesem Jahr werden wir in Testregionen beginnen", sagte Ulla Schmidt am Montag. "Nächstes Jahr ist auf jeden Fall die Karte da." Und sie werde "weder ein großes, noch ein kleines Toll Collect", versicherte die Ministerin.

"Bei der Gesundheitskarte ist alles gut organisiert", bestätigt Pablo Mentzinis vom Computer-Branchenverband Bitkom. Wie inzwischen bei der LKW-Maut werde es Anfragen aus dem Ausland geben. Die Niederlande interessierten sich bereits für den Datenschutz der Gesundheitskarte.

"Ausgesprochene Sicherheitsarchitektur"

Dieser Faktor dürfte der Schlüsselfaktor für die Akzeptanz der neuen Karte werden. Während einige Organisationen die Sicherheit des Systems vor kurzem kritisiert hatten, sagte Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, am Montag: Die Karte habe "eine ausgesprochene Sicherheitsarchitektur" bekommen, bei der es "keine Missbrauchsmöglichkeiten mehr" gebe.

Die Einzelheiten dazu beschreiben die etwa 1000 Seiten Dokumente, die Ulla Schmidt am Montag bekam: die so genannte Lösungs-Architektur, entwickelt von drei Fraunhofer-Instituten. Sie beschreibt den Aufbau der Karte und enthält Details zum verwendeten Betriebssystem, zum elektronischen Rezept und dem Verschlüsselungsverfahren.

Verborgene Informationen

Denn die neue Karte enthält nicht nur einen Magnetstreifen wie die alte, sondern auch einen kleinen Chip, wie er auf Geldkarten zu finden ist. Darauf passen zum einen mehr Daten, zum anderen auch Verfahren, um die gespeicherte Information vor Unbefugten zu verbergen.

Das ist nötig, weil die Karte nicht nur Verwaltungsangaben enthält. Sie enthält "Fächer" für Pflicht- und freiwillige Daten. Gespeichert werden müssen wie bisher Name und Anschrift des Besitzers, seine Krankenkasse und sein Status dort.

Hinzu kommen Informationen darüber, was der Inhaber zuzahlen muss, sowie ein Passbild. Im freiwilligen Bereich können die Patienten Notfalldaten speichern, einen Organspendeausweis oder eine Patientenverfügung.

Frei entscheiden kann der Nutzer auch, ob er einen Zugang zu einer elektronischen Patientenakte oder zu Arztbriefen schafft. Beide sollen nicht auf der Karte, sondern auf einem zentralen Server in einem Computernetz gespeichert sein.

Damit ein Arzt diese Daten einsehen oder etwas hinzufügen kann, muss der Patient seine Karte in ein spezielles Lesegerät schieben. Der Arzt steckt seine eigene Karte daneben; nur in dieser Kombination wird es möglich sein, zum Beispiel elektronische Rezepte zu erstellen.

Extrem viele Teilnehmer

Die Zahl der Teilnehmer an diesen System ist gewaltig. Zu den zig Millionen Versicherten kommen 120.000 Ärzte, 55.000 Zahnärzte, 21.500 Apotheken, 2200 Kliniken und 300 Krankenkassen. "Damit hat eine unüberschaubare Zahl von Menschen Zugriff auf Patientendaten", kritisiert Cornelia Winter, stellvertretende Geschäftsführerin der Gesellschaft für Informatik (GI).

Zusammen mit der Informationstechnischen Gesellschaft hat die GI vor wenigen Tagen auf der Cebit die Sicherheit des geplanten Systems angezweifelt. "Die digitale Patientenakte sollte auf der Chipkarte gespeichert werden und nicht zentral auf einem Computer im Internet", erklärt sie. Allerdings böten die aktuellen Karten nicht genügend Speicherplatz.

"Kontraproduktiv"

"Von den Thesen der GI ist keine einzige haltbar", erklärt hingegen Jörg Caumanns vom Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik, ein Vorschlag sei sogar kontraproduktiv. So hatten die Informatiker gefordert, der Nutzer der Karte solle den Zugriff auf die Daten zum Beispiel in der Apotheke per digitaler Signatur freigeben.

Caumanns hält das für einen Rückschritt, weil der Patient zusätzliche Daten preisgeben müsse. Auch Pablo Mentzinis von Bitkom sieht bei den Kritikern "eklatante fachliche Mängel". Der Server, der die vertraulichen Informationen enthält, solle eben nicht im Internet erreichbar sein.

Zurzeit wird noch diskutiert, über welche Wege die Kommunikation läuft. Die Kassenärztliche Vereinigung möchte ein vom Internet abgekoppeltes Netzwerk betreiben, mit dem die Ärzte über eine sichere Standleitung verbunden sind.

Feldversuch in Österreich

In Österreich läuft seit wenigen Tagen ein Feldversuch mit über 100.000 Patienten. Dort kommt nicht das Internet nicht Einsatz, sondern ein eigenes Netzwerk, das ein auf Sicherheit optimiertes Linux-Betriebssystem nutzt. Über eine zweite Leitung kommen die Ärzte ins Internet. Die Österreicher legen deshalb so viel Wert auf Sicherheit, weil ihre Karte eine elektronische Signatur enthält, mit der der Besitzer digital unterschreiben kann.

Mit dieser Kombination liebäugelt die Politik auch in Deutschland. Die Gesundheitskarte wäre dann zugleich ein digitaler Personalausweis, mit dem man sich auch bei der elektronischen Steuererklärung legitimiert. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement sieht in der Erweiterung bereits den "Ausweis und Füllfederhalter des 21. Jahrhunderts".

© SZ vom 15.03.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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