Paläoanthropologie:Auf Wanderschaft

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DNA aus Ohrenknöchelchen hat den Durchbruch ermöglicht: Forscher erkunden mit Genanalysen die Vorgeschichte Afrikas. Neue Fragen treten auf: Wieso finden sich Spuren der Khoisan aus Südafrika auch auf Inseln im Indischen Ozean?

Von Hubert Filser

Es ist eine der spannendsten Fragen überhaupt: Wie wurden die Kontinente besiedelt, und welche Völker eroberten wann neue Regionen? Für Europa oder den Nahen Osten kann man das ganz gut beantworten. Zahlreiche Schriftquellen und archäologische Hinterlassenschaften zeichnen ein relativ gutes Bild, wie sich Menschen seit der Sesshaftwerdung und der Erfindung der Landwirtschaft vor etwa 11 000 Jahren ausbreiteten. Doch über Afrika wusste man wenig. Eine im Fachmagazin Cell veröffentlichte Studie bringt nun mithilfe moderner Genanalysen erstmals Licht ins Dunkel der afrikanischen Vorgeschichte.

Genetiker um David Reich und den Jenaer Max-Planck-Forscher Johannes Krause beschreiben darin, wie zum Beispiel vor 3000 Jahren aus Westafrika eingewanderte Bauern und Viehhirten die lokalen Jäger und Sammler in heutigen Staaten wie Malawi in Südostafrika ziemlich schlagartig vertrieben. Oder dass die Wurzeln der Hadza, die heute in Tansania als Nomaden sowie Jäger und Sammler leben, wohl tatsächlich mindestens 50 000 Jahre im menschlichen Stammbaum zurückreichen.

Die Hadza leben noch heute so wie die Menschen vor der Erfindung der Landwirtschaft. Sie stammen wohl von Menschen ab, die Afrika verlassen haben, später haben sie sich praktisch nicht mit anderen Völkern in Afrika vermischt.

Wieso finden sich die Spuren eines geheimnisvollen Volkes nur mehr auf Inseln im Indischen Ozean?

Die neue Analyse ist die erste groß angelegte DNA-Studie überhaupt, die die prähistorischen Wanderbewegungen im Afrika südlich der Sahara ergründet. Die Forscher verglichen dabei das Erbgut von 16 Individuen, die vor 500 bis 8100 Jahren in der Südhälfte Afrikas zwischen Äthiopien und Südafrika gelebt haben, mit dem von 584 heute lebenden Menschen aus ganz Afrika und 300 Personen weltweit.

Genetische Untersuchungen für die vergangenen Jahrtausende gab es bislang kaum, denn das Erbgutmaterial zerfällt schnell im warmen und feuchten Klima Afrikas. Dass die Studie überhaupt möglich war, ist Fortschritten bei der Analyse alter DNA zu verdanken. Zum einen lassen sich mögliche moderne Verunreinigungen besser erkennen, zum anderen haben Forscher entdeckt, dass die Erbgutschnipsel am besten in den kleinen, aber sehr dichten Ohrknöchelchen überdauern. Dort hatte man sie bislang nicht vermutet, eher in den dicken Oberschenkelknochen. Die älteste DNA in der Studie stammt von einer Frau, die vor 8100 Jahren am Mount Hora in Malawi gelebt hat, wie überhaupt Malawi mit sieben Individuen die größte Gruppe stellt. Die Resultate für diese Region sind deshalb die genauesten.

Offenbar wurden die Jäger und Sammler Malawis durch Bauern und Viehhirten vom Volk der Mende verdrängt, die aus Westafrika einwanderten - und zwar komplett. Diese Erkenntnis überraschte die Forscher. So eine tief greifende Veränderung der Bevölkerung habe man bislang noch an keinem anderen Ort weltweit beobachten können, sagt der Genetiker David Reich von der Harvard Medical School.

Die Erkenntnisse aus Malawi halfen den Wissenschaftlern auch, die Abstammung der Khoisan besser zu verstehen, der ältesten noch existierenden im Süden Afrikas lebenden Menschengruppe. Sie sind gemäß den Genanalysen Nachfahren einer geheimnisvollen Population, die einst von der Südspitze Afrikas bis zum Äquator lebte, die aber vor etwa 1400 Jahren fast komplett verschwand. Lediglich auf entlegenen Insel im Indischen Ozean finden sich noch winzige Spuren von ihnen. Was damals passierte, ist völlig unklar.

Die Erbgutdaten zeigen jedoch, dass es vor 3000 und 2000 Jahren immer wieder Einwanderungsbewegungen aus Tansania und Malawi Richtung Südafrika gab. Für detailliertere Analysen brauchen die Forscher deutlich mehr Daten. Dann könnten die Wissenschaftler sogar die Evolution einzelner Gene wie etwa der für die Ausbildung von Geschmacksrezeptoren oder für den Schutz vor UV-Strahlung genauer betrachten.

Auch die regionalen Analysen basieren oft nur auf einem einzigen Menschen aus einer bestimmten Zeit. Wenn man mit derart wenigen alten Proben arbeiten müsse, sei es, "als würden wir Wasser aus einem Stein pressen", gibt denn auch David Reich zu. Hoffnung macht den Forschern allerdings, dass sich die technischen Analysemöglichkeiten von altem Erbgut in den vergangenen Jahren so rasant weiterentwickelt haben. Der Bedarf ist immens. In Afrika findet sich heute die größte genetische Diversität weltweit. Gerade die Anfänge der komplexen Bevölkerungsbewegungen am Ende der Steinzeit liegen noch völlig im Dunkeln. "Wissenschaftlich können wir hier", so Reich, "von einem schwarzen Loch sprechen."

© SZ vom 22.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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