Paarungsverhalten bei Tieren:Krieg der Spermien

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Abgebrochene Sexualorgane, chemische Waffen: Wie Männchen in der Tierwelt mit bizarren Tricks bei der Paarung die Konkurrenz ausbooten.

Monika Offenberger

Wenn Stefan Nessler über seine Arbeit spricht, staunt man über das Vokabular: Von Fesselungsversuchen beim Geschlechtsakt und Genitalverstümmelung ist da die Rede - und von Kannibalismus.

Wespenspinnen (unten das kleine Männchen): Wer beim Sex zu lange braucht bezahlt mit dem Leben. (Foto: Foto: Stefan Nessler)

Nessler ist Biologe und erforscht an der Universität Hamburg das Sexualverhalten der Wespenspinne Argiope bruennichi.

Die Weibchen dieser in Deutschland weitverbreiteten Radnetzspinne sind extrem aggressiv gegenüber den viel kleineren Männchen.

Während er sie begattet, versucht sie ihn zu fressen.

Falls ihm die Flucht gelingt, nähert er sich derselben Partnerin gleich noch einmal - um dann mit Sicherheit in ihrem Magen zu enden. Zuvor bricht er noch die Spitze seiner Genitalien im Leib des Weibchens ab und lässt sie einfach stecken.

,,Da fragt man sich doch: Warum machen die das?'', erklärt Nessler sein Forschungsinteresse. Immerhin hatte der Spinnenmann zwei Chancen, denn er und seine Artgenossen übertragen ihre Spermien nicht wie andere Tiere mit einem Penis. Stattdessen benutzen sie speziell zu diesem Zweck umgestaltete Kieferntaster, von denen sie zwei Stück haben, jeweils eines rechts beziehungsweise links hinter den Mundwerkzeugen. Diese Geschlechtsorgane sind bei allen Spinnen ein wenig anders geformt und passen genau in die Geschlechtsöffnungen der Weibchen.

Überlebensvorteil für Selbstverstümmler?

Einen Taster dort richtig einzuhaken geht schnell. Doch ihn wieder herauszuziehen, kostet das Männchen viel Zeit - und die ist wertvoll angesichts der kannibalistisch veranlagten Partnerin: Wer zu lange braucht, bezahlt mit dem Leben. Trennen sich die Männchen also von Teilen ihrer Taster, um schneller davonzukommen? Stefan Nessler hat diese Vermutung in Experimenten getestet - und dabei keinen Überlebensvorteil für Männchen gefunden, die sich selbst verstümmeln.

Dass ihr Verhalten dennoch sinnvoll ist, zeigte eine zweite Versuchsreihe: ,,Die abgebrochenen Tasterteile behindern nachfolgende Männchen, die deshalb nur kurz kopulieren können'', sagt der Biologe. Die Dauer einer Kopulation ist aber entscheidend für einen Argiope-Mann. Denn je länger sie sich hinzieht, umso mehr Junge kann er dabei im Vergleich zu seinen Konkurrenten zeugen.

Diesen Zusammenhang belegte Jutta Schneider, Verhaltenforscherin am Hamburger Biozentrum Grindel anhand von Vaterschaftsanalysen. Somit erweist sich die bis dato rätselhafte Selbstverstümmelung der Wespenspinnen als einer von vielen Tricks, mit denen Männchen Rivalen ausstechen und ihren Fortpflanzungserfolg steigern wollen.

Verstopfter Geschlechtstrakt

Spermienkonkurrenz nennen Evolutionsforscher diese Form der sexuellen Selektion. Sie findet nicht schon vor der Paarung statt, wie etwa der Schaukampf der Hirsche, sondern nachher, im Dunkel des weiblichen Genitaltrakts. Einige Spielarten der Spermienkonkurrenz sind seit langem bekannt.

Libellen zum Beispiel haben an ihrem Penis spezielle Bürsten, mit denen sie erst die weiblichen Geschlechtsöffnungen von fremden Spermien säubern, bevor sie die eigenen hineinfüllen. Schmetterlinge mischen ihren vitalen Spermien massenweise kernlose und somit unfruchtbare Exemplare bei, damit für nachfolgende Rivalen kein Platz mehr bleibt.

Eine besonders bizarre Variante von Spermienkonkurrenz hat der Freiburger Zoologe Klaus Peschke beim Kurzflügelkäfer Aleochara curtula entdeckt. Das Männchen deponiert bei der Begattung ein Samenpaket im weiblichen Genitalgang, das dort zu einem Schlauch auswächst und so bis zur Samentasche gelangt. Bevor sich die Spermien in dieses Gefäß ergießen, bläht sich der Samenschlauch zu einem Ballon auf, der eventuelle Spermienvorräte aus vorherigen Kopulationen verdrängt.

Während sich also bei den Argiope-Spinnen das erste Männchen den höchsten Anteil an der Vaterschaft sichert, gilt bei Peschkes Käfern das Gegenteil: Genetische Tests zeigten, dass vom zuletzt kopulierenden Männchen im Durchschnitt 83Prozent der Nachkommen eines Weibchens stammen, das mehrere Paarungspartner hatte.

Dass es sich für die Männchen lohnt, beim Wettkampf der Spermien mitzumischen, liegt auf der Hand. Doch welche Rolle spielen dabei die Weibchen? ,,Biologen haben erst spät erkannt, dass Promiskuität sich auch für Weibchen lohnt. Früher dachte man, wenn sie einmal begattet ist, dann hat sie ihr Ziel erreicht'', sagt Dietrich Klusmann, der am Zentrum für Psychosoziale Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf das menschliche Sexualverhalten untersucht.

Doch seit den 1970er Jahren enthüllten eine Reihe von Untersuchungen bei so unterschiedlichen Tierarten wie Fruchtfliegen, Kreuzottern, Meisen oder Wildhunden, dass Weibchen oft fittere Nachkommen haben, wenn sie mit vielen Männchen kopulieren. So gesehen handeln Spinnenweibchen nur zum Wohle ihrer Jungen, wenn sie durch den Mord am ersten Partner weitere Paarungen möglich machen. Kein Wunder also, dass Monogamie im Tierreich extrem selten vorkommt.

Je promisker die Weibchen einer Tierart sind, umso stärker ist die Spermienkonkurrenz unter den Männchen. Das zeigt ein Vergleich innerhalb der Menschenaffen: Während bei Gorillas allein dem dominanten Pascha sämtliche Weibchen eines Harems zustehen, sind bei Schimpansen wechselnde Partnerschaften üblich.

Schnelle Schwimmer

Die unterschiedlichen Paarungssysteme beeinflussen sowohl die Häufigkeit von Kopulationen, als auch die Größe der Geschlechtsorgane: Bis ein Gorillaweibchen trächtig ist, kopuliert es ein bis zwei Mal, ein Schimpansenweibchen dagegen 1000 bis 1500 Mal.

Entsprechend sind bei einem 200 Kilogramm schweren Gorilla Penis und Hoden kleiner als bei einem 40 Kilogramm leichten Schimpansen. Neben der Kopulationshäufigkeit unterscheiden sich auch die Spermien selbst, wie ein Vergleich von 31 Primatenarten mit unterschiedlichen Paarungssystemen zeigte.

Bei promisken Affenarten haben die Spermien - anders als bei monogamen Arten oder solchen, bei denen ein Männchen das Monopol auf die Fortpflanzung hat - ein auffällig großes Mittelstück, das sie zu besonders schnellen Schwimmern macht.

Und wie verhält es sich beim Menschen? Auf der Skala der Promiskuität und was die relative Größe seines Penis betrifft, steht er zwischen Gorilla und Schimpanse. Ob auch die Spermienbeschaffenheit Einfluss auf den Begattungserfolg hat, darüber hüllt sich die Forschung in Schweigen, seit Mitte der 1990er Jahre die Engländer Robin Baker und Mark Bellis die These vom ,,Krieg der Spermien'' in die Welt gesetzt hatten.

Die beiden Reproduktionsbiologen wollen unter dem Mikroskop beobachtet haben, wie die Spermien von zwei verschiedenen Männern sich gegenseitig chemisch lahmlegten. Sogleich war die Idee der Kamikaze-Spermien geboren, die Rivalenspermien niederringen und sich selbst dabei opfern. Tatsache ist, dass das Ejakulat unterschiedlich geformte Spermien enthält. Doch der Rest des Szenarios ließ sich nicht bestätigen und wurde ebenso schnell fallengelassen wie man es zuvor hochgejubelt hatte.

"Männer machen relativ leidenschaftslos ihren Routinesex"

Dietrich Klusmann findet, ,,dass die Idee von Baker und Bellis nun zu Unrecht auf dem Friedhof liegt, weil man sie nicht gründlich genug untersucht hat''. Der Psychologe ist davon überzeugt, dass Spermienkonkurrenz auch beim menschlichen Sexualverhalten eine große Rolle spielt. Allerdings könnte das auch auf viel naheliegendere Weise geschehen als durch Kamikaze-Spermien.

,,Wenn ein Mann mit seiner festen Partnerin zweimal in der Woche schläft, so wie Luther es empfiehlt, (,,der Woche zwier''), dann würde er immer einen gewissen Vorrat von Spermien in ihr halten'', sagt Klusmann, ,,damit würde er den Eisprung nicht verpassen und - im Falle eines Seitensprungs - auch seine Spermien ins Rennen schicken.''

Eine Art Routinesex wäre also eine Methode für den Mann, Konkurrenzsituationen für sich zu entscheiden. Zu dieser Vorstellung passen die Ergebnisse einer Studie, in der Dietrich Klusmann 776 deutsche Männer und Frauen in festen Beziehungen über ihre sexuellen Bedürfnisse und Gewohnheiten befragte . Sie ergab, dass Frauen mit zunehmender Dauer einer Partnerschaft weniger Lust auf Sex haben, Männer aber nicht.

,,Das hat uns überrascht, weil man immer dachte, die männliche Motivation würde abnehmen und sich auf neue Partnerinnen richten'', betont der Wissenschaftler. Doch das eine schließt das andere nicht aus, so Klusmann: ,,Männer machen relativ leidenschaftslos ihren Routinesex und schauen sich durchaus mit schweifendem Blick um''.

© SZ vom 13.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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