Orkney:Reich der Seeschlange

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Neun Monate im Jahr regnet es auf den Orkneys, die übrigen Monate ist das Wetter schlecht. So unken die Bewohner. Ingenieure kommen genau deshalb auf die Inseln vor Schottland: Sie wollen die Energie der rauen See ernten.

Von Christian Heynen

Die Sonne steht tief, als Ingenieur Rob Ionides auf einem Boot den Hafen von Stromness verlässt und auf das offene Meer zuhält. Wie eine Seeschlange dümpelt dort eine Stahlkonstruktion auf den Wellen - ein Kraftwerk, fast 200 Meter lang, 1300 Tonnen schwer, 750 Kilowatt Leistung. "Wenn ich erzähle, ich arbeite für eine Wellenkraft-Firma, denken die Leute, ich bin für die Wellenmaschine in einem Hallenbad zuständig", sagt Ionides.

Orkane gehören hier vor den schottischen Orkney-Inseln zum Alltag. Die Einheimischen kommentieren das so: "Wir haben neun Monate Regen und Wind - und drei Monate schlechtes Wetter!" Strömungen von vier Metern die Sekunde und Wellen mit einer Höhe von bis zu 19 Metern werden gemessen. Ein ideales Forschungslabor für Ingenieure wie Ionides. Was in den Gewässern um Orkney funktioniert, soll eines Tages an allen Küsten der Welt zuverlässig Strom liefern.

2003 wurde auf Orkney EMEC gegründet, das Europäische Zentrum für Meeresenergie. Seitdem forschen Unternehmen dort an Prototypen, um damit die Kraft der Gezeiten und Wellen als regenerative Quelle eines ökologischen Energiemixes zu erschließen.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Ebbe und Flut sind über Jahrtausende im Voraus zu berechnen und garantieren eine konstante Stromversorgung. Um die Gezeiten zu nutzen, werden auf dem Meeresgrund Anlagen montiert, die wie im Meer stehende Windräder aussehen. Energie aus Wellen wiederum lohnt sich, weil sie sich noch brechen, wenn der Wind nachgelassen hat. Wellenkraftwerke bestehen aus beweglichen Elementen an der Wasseroberfläche, wie die Seeschlange, für deren Wartung Rob Ionides verantwortlich ist.

Schon jetzt können diese Kraftwerke so viel Energie wie ein Windrad an Land erzeugen. Aber noch ist kein Prototyp serienreif. Die Kräfte der Natur setzen der Technik im Meer viel stärker zu, die Wartungskosten sind hoch, der großflächige Einsatz lohnt sich für Stromkonzerne noch nicht.

Es sind Pioniertage auf den Orkney-Inseln. Vielleicht entpuppt sich die Vision vom Strom aus dem Meer auch als Sackgasse. Oder Orkney wird als Geburtsort einer neuen Technologie in die Geschichtsbücher eingehen, die in Zukunft viele Küstenländer mit Ökostrom aus dem Meer versorgen wird. Dann wird niemand mehr Rob Ionides' Wellenkraftwerk in einem Hallenbad vermuten.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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