Orientierungshilfe:Kompass im Leib

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Zahlreiche Tierarten orientieren sich mit Hilfe des Erdmagnetfeldes - sogar Fledermäuse. Die Wahrnehmung kommt offenbar auf zwei Arten zustande.

Philipp Berens

Die Tiere waren eindeutig falsch gepolt. Der Kompass im Kopf passte nicht mehr zur Richtung des Erdmagnetfelds, nachdem Forscher sie längere Zeit in einem um 90 Grad verdrehten Magnetfeld leben ließen.

Drei Große Braune Fledermäuse (Eptesicus fuscus) (Foto: Foto: Maarten Vonhof)

Später, beim Freilandversuch in totaler Dunkelheit, 20 Kilometer vom gewohnten Schlafplatz entfernt, wurde ihnen das zum Verhängnis.

Mit winzigen Peilsendern, die den nur 20 Gramm schweren Tieren auf den Rücken geklebt wurden, verfolgten die Forscher wie die Nachtsäuger nach Osten flogen statt nach Süden zum heimischen Schlafplatz.

Für die Biologen aus Princeton ein klarer Beweis: Auch Fledermäuse orientieren sich mittels Magnetsinn.

Die Nachttiere nutzen diese Ortungsmethode offenbar, wenn ihr Ultraschallsonar nicht genügend Informationen für die Navigation bietet (1).

Um Hindernissen auszuweichen, ist die Echo-Ortung zwar optimal geeignet, doch bei Nachtflügen über freies Land hilft sie wenig. Die Schallwellen verlieren sich auf großen Entfernungen.

Mit dieser Fähigkeit sind Fledermäuse in guter Gesellschaft: Im gesamten Tierreich gibt es zahlreiche Arten, die über Magnetsinn verfügen - Zugvögel, Meeresschildkröten, Forellen, Langusten und Graumulle etwa.

Schlecht erforschte Wahrnehmung

Trotzdem gilt der Mechanismus des Orientierungssinns noch immer als schlecht erforschte Wahrnehmung.

Lange zweifelten Wissenschaftler, ob es den Magnetsinn überhaupt gibt: Das Erdmagnetfeld ist schwach, niemand konnte sich vorstellen, wie daraus zuverlässige Signale für die Orientierung zu gewinnen sind. Und wo genau liegen Sinneszellen für den Magnetsinn?

Das Magnetfeld durchdringt den Körper - anders als Ohren und Augen könnten Magnetrezeptoren überall, auch tief im Körperinneren, versteckt sein.

Seit kurzem wissen Forscher, dass Magnetwahrnehmung auf zwei Arten zustande kommen kann.

"Zugvögel können vermutlich sehen, wo Norden ist", sagt der Biologe Henrik Mouritsen von der Universität Oldenburg.

Das ist eines der beiden Systeme: In Sinneszellen überall auf der Netzhaut der Vögel fanden Forscher das Molekül Cryptochrom. Es verändert die Empfindlichkeit der Lichtrezeptoren, je nachdem, wie es zum Magnetfeld ausgerichtet ist.

Die Linien des Erdmagnetfeldes quellen an den Polen fast senkrecht aus der Erdoberfläche, verlaufen am Äquator aber parallel dazu:

Die Richtung Nord sieht der Vogel offenbar als hellen Fleck, am dunkelsten bleiben Ost und West.

Das System dient Tieren als eine Art Richtungsgeber, aber es ist kein Ortungsgerät. Es weist den Weg nach Norden, verrät aber nicht die absolute Position.

Ist der Vogel in absoluter Dunkelheit unterwegs, fällt auch dieser Kompass aus, denn wo kein Licht ist, kann kein Magnetfeld die Lichtwahrnehmung steuern. "Aber sogar in Sternennächten gibt es ziemlich viel Licht", sagt Mouritsen.

Andere Technik bei Graumullen

Welche Tiere mit dieser Art von Magnetsinn ausgestattet sind, testen Biologen um Wolfgang Wiltschko von der Universität Frankfurt am Main, indem sie ihre Probanden einem schwachen elektromagnetischen Feld aussetzen, einer Art Störreiz.

Wird das Feld in Richtung des Erdmagnetfeldes angelegt, ist das Orientierungsvermögen der Tiere normal.

"Nur wenn wir das Wechselfeld in einem Winkel dazu anlegen, kann das Tier sich nicht mehr orientieren", sagt Wiltschko.

Doch einige Tiere lässt das elektromagnetische Ablenkungsmanöver kalt - unterirdisch lebende Graumulle etwa können sich auch dann noch zurechtfinden. Die kleinen Nager sind fast blind für normales Licht; sie leben in ausgedehnten Höhlensystemen mit einem zentralen Gang, der mehrere hundert Meter lang sein kann und fast gerade verläuft.

In einer künstlichen Versuchsarena legen sie diese Bauwerke meist in einer Lieblingsecke an - und finden sich dort auch noch zurecht, wenn die Forscher sie mit dem elektromagnetischen Puls zu verwirren versuchen.

Ihr magnetisches Orientierungsvermögen muss also auf einem anderen Mechanismus beruhen. Winzige Ketten aus einem Eisenoxid, sogenannte Magnetite, messen die Intensität des Feldes und vermitteln dadurch vermutlich eine magnetische Landkarte: Da das Erdmagnetfeld nicht überall gleich stark ist, dienen wahrscheinlich winzige Schwankungen der Feldstärke als Landmarken.

Die Magnetite hängen wie Seile, an denen das Magnetfeld zieht, an kleinen Kanälen in der Zellmembran der Sinneszellen - je nach Stärke des Feldes öffnen sich die Poren und aktivieren die Zellen. Wiltschkos Störreize sind offenbar nicht stark genug, um diese Magnetite zu bewegen.

Bei Graumullen fanden Forscher solche Zellen in der Hornhaut, bei Forellen in der Nasengrube und bei manchen Vögeln im Schnabel.

Obwohl sich die Regionen stark unterscheiden, werden sie alle vom gleichen Nerv versorgt - ein Hinweis, dass das Magnetitsystem bei all diesen Arten ähnlich funktioniert.

"Alles deutet darauf hin, dass wir es mit zwei unabhängigen Systemen zu tun haben", sagt Henrik Mouritsen. So gebe es Vögel, die sowohl über die Cryptochrome auf der Netzhaut als auch über Magnetite verfügen.

Wird der Nerv, der für das Magnetitsystem entscheidend ist, bei ihnen durchtrennt, können sich diese Tiere noch immer orientieren. Möglicherweise helfe die Magnetit-Landkarte den Tieren, sich in der Nähe ihres Nistplatzes zurechtzufinden, wo Feinnavigation gefragt ist, sagt Wolfgang Wiltschko.

Unbekannt ist noch, wie Fledermäuse das Erdmagnetfeld wahrnehmen. Erste Hinweise gibt es. Fledermäuse leben in Südamerika in riesigen, ausgedehnten Höhlensystemen.

"Dort kommt niemals Tageslicht hin - wenn sie sich dort mit Hilfe ihres Magnetsinns orientieren, wie wir vermuten, kommt eigentlich nur das Magnetitsystem in Frage", sagt der Fledermausforscher Hans-Ulrich Schnitzler von der Universität Tübingen.

Bisher sei das aber nicht untersucht. Noch ist demnach offen, ob Fledermäuse nachts mit Kompass, Landkarte oder beidem unterwegs sind.

(1) Nature, Bd. 444, S. 702, 2006

© SZ vom 22.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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