Orientierung von Tieren:Die Kuh als Kompass

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Kühe grasen ihre Weide bevorzugt in eine Richtung ab. Nun haben Wissenschaftler für das Phänomen eine Erklärung gefunden, die sie selbst verwundert.

Hanno Charisius

Die Kühe einer Herde wenden sich beim Weiden bevorzugt in dieselbe Richtung. Die warme Sonne, der kalte Wind und der Herdentrieb mussten bereits als Erklärung dafür herhalten. Alles nicht richtig, sagen jetzt Zoologen um Sabine Begall von der Universität Essen. Fleckvieh und auch Rehe und Hirsche richten sich stattdessen wie Kompassnadeln am Magnetfeld der Erde aus.

Nord-Süd-Richtung bevorzugt: Kühe halten sich an das Magnetfeld der Erde. (Foto: Foto: dpa)

Normalerweise beschäftigt sich Sabine Begall mit dem hamstergroßen afrikanischen Graumull, der sich beim Bau seines unterirdischen Nestes am Erdmagnetfeld orientiert. So entstand die Idee, ob vielleicht auch Herdentiere ähnliches Verhalten zeigen. Um das zu prüfen, studierten die Essener Forscher Satellitenfotos des Computerprogramms Google Earth.

Nachdem sie 8510 Tiere in 308 Herden rund um den Erdball vermessen hatten, stand das Ergebnis fest: "Kühe richten ihren Körper beim Grasen bevorzugt in Nord-Süd-Richtung aus", sagt Begall. Hirsche und Rehe, das zeigten weitere Auswertungen von Satellitenfotos sowie Freilandbeobachtungen im tschechischen Sumava-Nationalpark, machen es genauso.

"Das riecht nach Parapsychologie"

Warum die Tiere das tun? Sabine Begall weiß keine Antwort. "Die Hintergründe dieses Verhaltens sind völlig unbekannt. Ich weiß, das riecht nach einem parawissenschaftlichen Phänomen", lacht sie. Doch die Auswertungen der Satellitenfotos und der Freilanddaten seien "hoch signifikant", also statistisch aussagekräftig. Die Einflüsse von Wind und Sonne seien weitgehend zu vernachlässigen, schreiben die Forscher im Fachjournal PNAS (online).

Auch Messfehler schließt die Biologin aus, obwohl sie wegen ihrer Hypothese voreingenommen an die Sache ging. "Wir haben Studenten gebeten, die Messungen zu wiederholen, ohne ihnen zu erklären, worum es dabei ging." Laut Begall kamen sie in Stichproben zum selben Ergebnis wie sie selbst und ihre Kollegen.

Sie konnten allerdings nicht immer unterscheiden, ob die Tiere nach Norden oder nach Süden schauen. Nur die Körperachse war sicher zu bestimmen. Da konnte der tschechische Kooperationspartner Jaroslav Cervený im Freiland genauer hinsehen: Zwei Drittel des Rotwilds blickte Richtung Norden, während sich der Rest Richtung Süden wandte, sagt er. "Das könnte eine Schutzmaßnahme gegen Raubtiere sein", mutmaßt Begall.

Bauern wissen seit Generationen, dass Kühe ihren Köper bei Kälte so ausrichten, dass ihn möglichst viel Sonne trifft, und dass sie ihren Kopf in den Wind drehen, wenn es auffrischt. Das traditionelle Wissen stehe keineswegs im Widerspruch zu ihren Beobachtungen, sagt Begall. Bei Sonnenauf- und -untergang würden die Tiere mit Nord-Süd-Ausrichtung am meisten Licht abbekommen. Auch gebe es Satellitenfotos, auf denen Herden in Ost-West-Richtung stehen: "Bei starkem Wind drehen sich die Tiere so, dass sie möglichst wenig Angriffsfläche bieten", sagt Begall. Das Erdmagnetfeld scheine dann nachrangig zu sein.

Ob Kühe und Rotwild also wie Vögel mit Hilfe des Magnetfelds ihren Weg finden? Das belege die Essener Untersuchung keineswegs, betont Roswitha Wiltschko von der Universität Frankfurt, deren Mann Wolfgang Wiltschko vor 40 Jahren erstmals nachwies, dass sich Rotkehlchen beim Vogelzug nach dem Magnetfeld der Erde richten. Positionieren würden sich aber viele Tiere entlang der Feldlinien, sagt Wiltschko. Die Essener Studie liefere nun den ersten Hinweis darauf, dass das auch größere Säugetiere tun. "Vielleicht fühlen sie sich wohler so", sagt sie. "Wir wissen es nicht."

© SZ vom 26.8.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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