"Ötzi":Der Zeuge aus dem Eis

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Vor 15 Jahren wurde die berühmte Gletschermumie entdeckt. Seither erforschten Wissenschaftler die Leiche eingehend, es gab Prozesse um den Finderlohn. Schließlich wurde sogar über den "Fluch der Mumie" gemunkelt.

Carola Frentzen

Er ist der älteste Mensch, der es je auf die Titelseite des amerikanischen Nachrichtenmagazins Time schaffte: "The Iceman"s Secrets", stand dort im Herbst 1992 in eisblauen Lettern, darüber der zerschundene Kopf einer 5300 Jahre alten Mumie: "Ötzi". Ein Jahr zuvor hatte das Nürnberger Ehepaar Erika und Helmut Simon den Eismann bei einer Wanderung in den Ötztaler Alpen entdeckt.

"Ich hab was Braunes rausschauen sehen", erinnerte sich der Franke später. Noch ahnten die beiden nicht, welche Sensation unter dem Schneefeld schlummerte. An diesem Dienstag jährt sich der spektakuläre Fund zum 15. Mal.

Seither machten Wissenschaftler Gen-Tests mit der Gletscherleiche und es gab Prozesse, bei denen es um den Finderlohn ging. Schließlich wurde über den "Fluch der Mumie" gemunkelt: Sechs Menschen, die irgendwie im Zusammenhang mit Ötzi standen, sind mittlerweile ums Leben gekommen.

Unter anderen der Finder Helmut Simon, der 2004 nach einem Lawinenunglück tot in einem Gebirgsbach in den österreichischen Alpen gefunden wurde. Ebenso der Urgeschichtler und "Ötzi-Ziehvater", Konrad Spindler, der Anfang 2005 im Alter von 66 Jahren in Innsbruck starb. Spindler war lange einer der Hauptverantwortlichen bei der wissenschaftlichen Arbeit an der Mumie.

Anfangs hatte man angenommen, Ötzi sei vor 100 Jahren gestorben. Wenig später schätzten Forscher, dass er im Mittelalter gelebt hatte. Dem Südtiroler Extrembergsteiger Reinhold Messner schwante: "Mit dem Mandl stimmt was net." In der Tat: Gerichtsmediziner entdeckten schließlich, dass die Leiche aus der Kupferzeit stammt, also aus der Zeit um 3000 vor Christus - die Weltsensation war perfekt.

Doch dann begann der Streit: War der Mann nun Österreicher oder Italiener? Denn er wurde an der Grenze zwischen den beiden Ländern gefunden. Geschwächt, mit Rippenbrüchen und von einem Pfeil getroffen legte er sich - so ergaben Messungen - etwa 90 Meter von der Grenze entfernt auf heute italienischem Gebiet zur letzten Ruhe.

"Historischer Kriminalfall"

Nach langen Untersuchungen in Innsbruck wurde der Mann aus dem Eis schließlich 1998 nach Bozen gebracht, wo er seither bei minus sechs Grad Celsius und bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 98 Prozent in einer Kühlzelle des Archäologischen Museums liegt. Vieles konnte geklärt werden, aber vieles aus Ötzis Leben liegt auch noch im Dunkeln.

Als sicher gilt, dass der Homo tirolensis mit etwa 47 Jahren starb - für steinzeitliche Verhältnisse ein methusalemhaftes Alter. Er hatte Blutspuren an den Händen, die nicht von ihm selbst stammen. Forscher sprachen von einem "historischen Kriminalfall".

Als Kleidung trug er mit Gras gefüllte Schuhe aus Bärenleder, eine Mütze und einen Fellmantel sowie eine Art Leggings aus Pelz. Zudem hatte er eine Axt sowie Pfeil und Bogen dabei. Der Mann hatte zu Lebzeiten Arthritis und verkalkte Adern, Rippenbrüche, Würmer, Durchfall und eine schwarze Lunge vom Rauch offener Feuer.

Schlechte Zähne von "Frozen Fritz"

Auch die Zähne des nur 1,60 großen "Frozen Fritz" - wie Ötzi im angelsächsischen Raum heißt - waren schlecht. Aber viele Fragen bleiben: Warum hat er so viele Tätowierungen? Warum musste er sterben, von einem 21 Zentimeter langen Pfeil in seiner linken Schulter getroffen?

Auch 15 Jahre nach dem Sensationsfund blüht das Geschäft mit der Gletschermumie. In Seefeld/Tirol gibt es ein Ötzi-Museum mit der auf 1700 Meter gelegenen Ötzi-Hütte, die Besuchern ein Panoramarelief der Fundszene und eine täuschend echte Nachbildung der Mumie bietet. Inzwischen gibt es sogar ein Ötzi-Musical: "Frozen Fritz".

© Süddeutsche Zeitung vom 19. September 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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