Ökologie:Safer Sex und ein Hybridauto

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Abseits der offiziellen Politik ihrer Regierung begeistern sich immer mehr Amerikaner für Umweltschutz - vom Hippie bis zum Christen.

Hubertus Breuer

Zehntausende Hippie-Nomaden, Transvestiten, Lifestyle-Provokateure und andere Querköpfe errichten jedes Jahr im August ihr Sodom und Gomorra in der knochentrockenen Wüste von Nevada. "Burning Man" heißt das Spektakel. Im Mittelpunkt steht eine mehr als zehn Meter hohe Holzfigur, die nach mehreren Tagen Bacchanale in Flammen zerbirst. Doch neuerdings trübt eine politisch inkorrekte Kleinigkeit das hedonistische Glück: Zwar picken die Beteiligten vor der Abreise brav allen Müll auf, doch die Verbrennungsaktion an sich bläst tonnenweise Kohlendioxid in den Himmel. Das lässt sich mit einem progressiven Umweltgewissen schlecht vereinbaren, mit dem sich so mancher alternativ Bewegte gerne schmückt.

Der "Burning Man" verschmutzt die Umwelt. Dafür erwerben die Teilnehmer ein CO2-Guthaben. (Foto: Foto: AP)

Doch, auf einer die USA mittlerweile durchströmenden Öko-Renaissancewelle reitend, haben Tüftler aus San Francisco eine Lösung gefunden, den "Cooling Man". Das ist eine Aktion, die jedem Teilnehmer des Wüstenereignisses erlaubt, im Internet zu berechnen, wie viele Tonnen Treibhausgas der Ausflug freisetzt - inklusive Flugreise, Propangaskocher, Stromgeneratoren und natürlich dem Feuerwerk. Der "Burner" kann dann ein entsprechendes CO2-Guthaben kaufen. Das Geld kommt alternativen Energieprojekten zu Gute, die dann wieder einsparen, was der Burning-Man-Ausflug an Treibhausgasen verursacht. Die diesjährigen Spendengelder fördern eine Windturbine auf einem Sioux-Indianerreservat in South Dakota. 200 Tonnen CO2 wurden damit gespart, heißt es, weit mehr als jene 110, die das Treiben Rechnungen zufolge verursachte. "So verwischen wir unsere Spuren in der Atmosphäre" erklärt nicht ohne Stolz David Shearer, Experte für Luftqualität in San Francisco.

Dass die amerikanische Westküstenboheme Umweltschutzprojekte fördert mag noch wenig überraschen, doch in den USA ist landauf, landab seit Beginn des Jahres ein regelrechtes Ökofieber ausgebrochen. Allem voran hat der Dokumentarfilm des ehemaligen Vizepräsidenten Al Gore, "Eine unbequeme Wahrheit", der amerikanischen Öffentlichkeit dargelegt, dass die Klimaerwärmung real und von Menschen mit verursacht ist. Ein Kassenerfolg mit allerdings etwas trockener Dramaturgie: der rote Faden ist eine Powerpointpräsentation des Beinahe-Präsidenten. Am 12. Oktober läuft der Film in deutschen Kinos an.

Umdenken bei Christen

Auch Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger hat kürzlich gegen den Widerstand republikanischer Parteikollegen seinem grünen Gewissen nachgegeben. Er verabschiedete ein in den Staaten bisher einmaliges Gesetz zur Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes und anderer klimaschädlicher Gase. In gut situierten Kreisen in US-Metropolen gehört es inzwischen zum guten Ton, nicht nur den Abfall zu recyceln, sondern auch Produkte aus ökologischem Landbau zu kaufen, das Haus umweltschonend zu errichten oder zumindest mit Sonnenkollektoren nachzurüsten. Sogar evangelikale Christen, Präsident Bushs treueste Stammwähler, mahnen ein Umdenken an. "Creation care" lautet ihr Ruf: die Schöpfung fürsorglich behandeln. In das gleiche Horn stoßen die "Republicans for Environmental Protection". Sie kritisieren, viele ihrer Parteimitglieder würden etablierte "Gesetze für klareres Wasser und saubere Luft, Gesundheit und gesteigerte Lebensqualität" demontieren.

Die aktuelle Bilanz der amerikanischen Umweltpolitik ist gewiss keine Leistungsschau. Die USA sind pro Kopf und in der Summe die größten Ressourcenverschwender der Erde. Niemand verbraucht mehr Wasser und Öl. Mit knapp sechs Prozent der Erdbevölkerung verursachen sie ein Viertel aller CO2-Emissionen. Ein Drittel aller Haushalte verfügt über drei oder mehr Fahrzeuge. Der Straßenverkehr hat in den letzten zwanzig Jahren um achtzig Prozent zugenommen - eine sechsstündige Autofahrt ins Wochenende gilt gemeinhin als Spritztour. Klimaanlagen verwandeln Innenräume in Kühlschränke, und die Bush-Regierung hat sich bislang geweigert, das Kyoto-Protokoll zu ratifizieren. Allerdings hatten auch Clinton und sein Ökovize Gore dieses nur halbherzig unterstützt.

Doch wer die Vereinigten Staaten als Umweltverschmutzer an den Pranger stellen will, sollte wichtige Fakten nicht außer Acht lassen - der Naturschutz hat in Amerika eine lange Tradition. Hier entstand mit Yellowstone 1872 der erste Nationalpark der Welt, 1892 wurde der Sierra Club gegründet, einer der ältesten Umweltschutzverbände der Welt. Die moderne Umweltschutzbewegung Amerikas, die nicht zuletzt auch die Öko-Welle in Deutschland inspirierte, nahm 1962 mit dem Buch "Silent Spring" ("Stiller Frühling") von Rachel Carson ihren Ausgang. Darin deckte die Zoologin (wenn auch nicht unumstritten) Wirkungen der Spritz- und Düngemittel auf Vogelpopulationen in den USA auf. DDT wurde daraufhin in mehreren Ländern verboten. Anfang der siebziger Jahre gründeten die USA eine der ersten Umweltbehörden, die Environmental Protection Agency, EPA. Sie brachte Autohersteller bereits in den 1970er-Jahren dazu, Katalysatoren in Pkws einzubauen. Die Technologie verbesserte die Luftqualität in US-Großstädten merklich - lange bevor deutsche Autohersteller die Schmutzfänger einbauten.

Nun sieht sich das Land einer neuen Bedrohung gegenüber, die vor einem Jahr unübersehbar mit der Tür ins Haus gekracht ist. Auch wenn der ursächliche Zusammenhang zwischen Hurrikan Katrina und der Klimaerwärmung im Detail noch nicht bekannt ist, die Katastrophe von New Orleans hat Amerika wachgerüttelt. Gores vor einer Apokalypse warnender Dokumentarfilm sensibilisierte die Öffentlichkeit weiter. Gleichzeitig springen die Massenmedien auf den Trend auf - so titelte das Time-Magazin im April mit Bezug auf den Klimawandel und neben dem Foto eines auf einer Eisscholle treibenden Eisbären "Seid besorgt, seid sehr besorgt". Bei der Verleihung der MTV-Preise im Juni erreichte der Klimaschutz schließlich die Popkultur. Zum Abschluss ihrer Moderation empfahl die Schauspielerin Jessica Alba: "Praktiziert Safer Sex - und fahrt, wenn möglich, ein Hybridauto."

Ablassbriefe für Bürger

Der Gesinnungswandel schlägt sich nicht nur medial nieder - lange vor Schwarzeneggers Initiative haben sich Bürgermeister von inzwischen 294 Städten (die knapp 50 Millionen US-Bürger umfassen) zum "US Mayors' Climate Protection Agreement" zusammengeschlossen. Der Verband will die Emissionen in den Kommunen gemäß dem Kyoto-Protokoll reduzieren - innerhalb von sechs Jahren auf sieben Prozent unterhalb des Niveaus von 1990. Die Zahl der beteiligten Gemeinden steigt weiter. Wer wie die Fans des "Burning Man" nicht warten will, bis auch die amtierende US-Regierung die Klimagefahr erkennt, kann seinem CO2-Verbrauch zumindest eine Investition in alternative Energiequellen entgegensetzen: Auf gemeinnützigen Webseiten können besorgte Amerikaner eine Art Ablassbrief für Kohlendioxidemissionen kaufen, auf www.carbonfund.org beispielsweise kostet ein Jahr 99 Dollar. Bislang hat der Verein genug Geld eingenommen, um der Atmosphäre mithilfe alternativer Energieprojekte 100 000 Tonnen CO2 zu ersparen.

So sehr die Bush-Regierung der Industrielobby nahe steht, fördert sie doch immerhin Ölalternativen: den Biotreibstoff Ethanol zum Beispiel, der aus Mais gewonnen wird. Bislang werden zwar nur drei Prozent des Benzinverbrauchs - 23 Milliarden Liter - aus Mais gewonnen, doch die Produktion soll steigen. Washington gewährt je Gallone 51 Cent Steuernachlass. Das spiegelt freilich weniger ein geläutertes Umweltbewusstsein als die Suche nach einer Alternative zum Öl aus Arabien. "Wirtschaftlich-technologische Lösungen überzeugen auch Amerikaner; das ist ein deutliches Marktsignal", kommentiert Ernst Ulrich von Weizsäcker, seit Beginn des Jahres Dekan der Bren School of Environmental Science and Management an der University of California, Santa Barbara. Für Autos mit Hybridmotor gibt es bis zu 3400 Dollar Steuernachlass jährlich. Der Autohersteller Ford forciert Hybridversionen des Ford Escape und Mariner Mercury, derzeit allerdings noch mit Verlust. Beim Hybridpionier Toyota Prius gibt es gar Lieferengpässe, so begehrt ist das emissionsarme Vehikel. Die Zahl der verkauften Hybridwagen hat sich im vergangenen Jahr in den USA sogar auf 200 000 verdoppelt. Allerdings überwogen weiterhin die Großstadtpanzer namens SUV im Verhältnis 23:1.

Bio bei Wal-Mart

Dennoch: Etliche Unternehmen setzen auf grün - so will der Einzelhandelsgigant Wal-Mart seine CO2-Emissionen innerhalb von sieben Jahren um 20 Prozent reduzieren. In den Supermärkten bieten sie vermehrt Bioprodukte an, abbaubare Spül- und Waschmittel und Kleidung aus ökologisch angebauter Baumwolle. Das verhilft dem beschädigten Image zu einem umweltfreundlichen Anstrich und scheint sich zudem bezahlt zu machen. Ähnlich denkt auch der Mischkonzern General Electric, der Kampfjets ebenso wie Haushaltsgeräte entwickelt. Derzeit investiert das Unternehmen 1,5 Milliarden Dollar jährlich in Umwelttechnologie. Sogar die Ölindustrie selbst reduziert mittlerweile CO2-Emissionen - womöglich auch, um vorbereitet zu sein, sollte die nächste Regierung strikte Emissionsgesetze erlassen.

Noch wird allerdings darüber gestritten, ob Kohlendioxid offiziell unter die Luftschadstoffe fällt - und deshalb die Umweltbehörde EPA regulierend eingreifen muss oder nicht. Unter Bill Clinton war das Gas 1999 bereits so eingestuft worden, doch im Jahre 2003 revidierte die Bush-Administration diese Entscheidung. Dagegen haben jetzt 13 Bundesstaaten vor dem obersten Gerichtshof geklagt, ein Urteil soll im Laufe des nächsten Jahres fallen. Die maßgeblich von der Industrie finanzierte Washingtoner Lobbyorganisation "Competitive Enterprise Institute" holte freilich schon zum Gegenschlag aus. Sie sendete im Frühsommer mit Bildern lieblicher Blumenwiesen, spielender Mädchen, majestätischer Bäume und trutziger Eisberge durchwirkte Werbefilme. CO2 fände sich überall auf der Welt, ließ eine sanfte Frauenstimme wissen. Und schloss ihre salbadernde Rede leicht gekränkt: "Sie nennen es Luftverschmutzung - wir nennen es Leben."

© SZ vom 16.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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