NMD-Raketenabwehr:Ein Schutzschild für die Waffenindustrie

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Amerikanische und europäische Rüstungskonzerne erwarten Milliardenaufträge

Karl-Heinz Büschemann

(SZ vom 12.5.20901) - Die Börsen riechen den Geldregen schon seit mehr als einem Jahr. Ausgerechnet als Anfang 2000 die Kurse von High-Tech- und Internetfirmen in den Keller fielen, zogen die Papiere amerikanischer Rüstungskonzernen deutlich an. Der Militärflugzeugbauer Lockheed verdoppelte seither seinen Aktienkurs. Gleiches gilt für den Boeing-Konzern. Der Kurs des Rüstungstechnik-Anbieters Northrop Grumman legte in dieser Zeit um rund 50 Prozent zu.

Präsident George W. Bush setzt auf die Raketenabwehr. (Foto: N/A)

Hoffnung auf dicke Aufträge

In der amerikanischen Rüstungsindustrie, die lange Jahre von Frust, Verlusten, sinkenden Waffenaufträgen und Massenentlassungen beherrscht war, ist man wieder optimistisch. Seit Präsident George W. Bush Anfang Mai sein Raketen-Abwehrprogramm ankündigte - das größte militärische Technologievorhaben seit Präsident Ronald Reagan Anfang 1984 die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) startete - hofft die Branche auf dicke Aufträge.

Der Stimmungsumschwung hatte allerdings stattgefunden, noch ehe Bush die komplette Generalüberholung der amerikanischen Verteidigungsstrategie ankündigte. Bereits sein Vorgänger Bill Clinton hatte über einen Raketen- Schutzschild nachgedacht, der die Vereinigten Staaten vor Angriffen aus sogenannten Schurkenstaaten wie Nordkorea oder Irak schützen soll.

Streit um zuverlässige Realisierung

Die Techniker streiten noch darüber, ob das ehrgeizige Programm zuverlässig realisierbar ist. Immerhin ist es schwierig, eine plötzlich auftauchende Atomrakete, die mit 25000 Kilometern pro Stunde auf ihr Ziel zurast, aufzuspüren und unschädlich zu machen. Doch die Industrie hofft auf den großen Geldregen. Fachleute sprechen von einem Auftragsvolumen für die einschlägige Industrie von rund 80 bis 120 Milliarden Dollar, verteilt über 25 Jahre. Im kommenden Jahr will das Pentagon schon fünf Milliarden Dollar für die Entwicklung neuer Technologien ausgeben, vom Jahr 2003 an sogar zehn Milliarden Dollar.

"Dieses Programm wird der Industrie helfen", sagt Ivo Daalder, Wissenschaftler beim Brookings-Forschungsinstitut in Washington DC. "Es wird einiges für die Industrie abfallen", urteilt das Magazin Business Week. Horst Teltschik, der Ex-Sicherheitspolitiker der CDU und Leiter der internationalen Sicherheitskonferenz, die jedes Frühjahr in München stattfindet, ist sogar sicher, dass Bushs neues Raketenabwehrprogramm, nur aus wirtschaftlichen Gründen aufgelegt wird. "Das ist ein riesiges Subventionsprogramm für die amerikanische High-Tech- Industrie".

Nur um die Wirtschaft anzukurbeln

Die Branche hofft schon lange auf einen Auftragsschub. Nach dem Ende des Kalten Krieges ist die einst vom Pentagon verwöhnte Branche durch eine Krise gegangen. Flugzeug- und Raketenbauer fusionierten wie selten zuvor. Die Zahl der Arbeitsplätze schrumpfte dramatisch. Die Rüstungsindustrie macht in Washington aber mächtig Druck, seit sie den Wahlkampf von George W. Bush massiv unterstützte. Das neue Raketenprogramm soll den Waffenschmieden einen warmen Regen bescheren. "Rund fünf Milliarden Dollar pro Jahr sind eine beachtliche Summe", urteilt der Vertreter eines deutschen Rüstungsunternehmens. "Die Regierung hat ganz klar die Vorteile für ihre Industrie im Auge."

Industrie war schon Gewinner des SDI-Programms

Sofort werden Erinnerungen wach an Reagans SDI-Programm, mit dem der frühere Präsident das sowjetische "Reich des Bösen" niederzurüsten versprach und für das anfangs 500 Milliarden Dollar bereit gestellt werden sollten. Militärstrategisch blieb das Star-Wars-Projekt ein Torso. Es wurde technisch nie realisiert, aber die Falken der amerikanischen Politik behaupten bis heute, sie hätten mit SDI die Sowjetunion zu Tode gerüstet und das Ende des Kommunismus herbeigeführt. Unumstritten ist dagegen, dass die Waffen- und Elektronik-Industrie der eindeutige SDI-Gewinner war. Vor allem die EDV machte durch das Geld der amerikanischen Steuerzahler einen Riesensprung. Ein Teil des zurückliegenden Booms in der US-Wirtschaft lässt sich auf diese Entwicklungshilfe zurückführen. "Das brachte einen riesigen Technologieschub", weiß Uwe Nerlich, Direktor bei dem Münchner Technologieunternehmen IABG.

Auch die Europäer hoffen

Daher hoffen auch die europäischen Hersteller von Raketen-Abwehr- Technologie auf einen Teil vom großen amerikanischen Geldsegen. Rainer Hertrich, Chef des europäischen Flugzeug- und Waffenkonzerns EADS ist sicher, dass die Aufträge nicht nur an US-Firmen gehen werden. "Wenn das ein Programm wird, in das die Nato-Partner einbezogen werden, dann wird es auch für uns Aufträge geben."

Allerdings ist unklar, woher das Geld für die Raketenabwehr kommen soll. Das Pentagon ist in Geldnot. Die Führung der US-Streitkräfte schätzt, dass im Etat des Verteidigungsministeriums bald eine Lücke von rund 20 Milliarden Dollar klaffen könnte. Da Bush gleichzeitig eine Senkung der Steuern verspricht, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er die Mittel für das NMD-Programm durch Einsparungen bei anderen Rüstungsprojekten einsparen muss.

Die Europäer sollten sich keine zu großen Hoffnungen auf dicke Aufträge machen. Die Regierungen in Washington haben in der Vergangenheit stets Wert darauf gelegt, zuerst die eigene Industrie zu fördern. Aber immerhin kann die EADS, an der DaimlerChrysler zu gut 30 Prozent beteiligt ist, Vorteile erwarten. Der deutsch-französisch-spanische Gemeinschaftskonzern kann sich Chancen ausrechnen, schon in einem sehr frühen Stadium beteiligt zu werden - wenn es darum geht, der US-Regierung erst einmal Machbarkeitsstudien zu präsentieren. Die Europäer hätten damit schon einmal einen Fuß in der Tür, wenn es später darum geht, echte Entwicklungsaufträge an Land zu ziehen.

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