Nitrofen-Skandal:Wie ein Blitz traf es den Bauernhof

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Warum ein niedersächsischer Ökolandwirt nach dem Nitrofen-Skandal alle seine Hühner töten musste und nun von vorn anfängt.

Arne Boecker

Die letzte Fahrt der Hühner führte aus dem Stall der Familie Klopp über Wittorf, Düsternheide und Hassel in die Tierkörperbeseitigung. 650 tote Tiere in einem silbrig schimmernden Container. Bedeckt mit den Schalen, bekleckert mit dem Gelb und dem Weiß von 11 000 Eiern, die man obendrauf geworfen hatte. Darüber ein blaues Leichentuch aus Plastik.

Als die toten Tiere vom Hof waren, wurden die Bauersleute krank. Nicole Klopp fing sich eine Grippe ein, die sie lange mitschleppte, Joachim Klopp fuhr der Stress ins Kreuz. Ein paar Tage ging er krumm, so als laste ihm irgendetwas auf den Schultern.

Joachim und Nicole Klopp - er 36, sie 34 - wirft eigentlich so schnell nichts um. Und Tiere erst zu mästen, um sie dann zu töten, nährt den Landstrich nordwestlich von Hannover seit Generationen. Warum also ging den beiden die eklige Fuhre so nahe? Weil es sich bei den 650 toten Hühnern nicht um reguläres Schlachtvieh handelt.

Brandenburgischer Öko-Weizen war im mecklenburgischen Malchin ausgerechnet in einem früheren Lager für Herbizide zwischengelagert worden; Nitrofen, eine giftige Altlast aus DDR-Zeiten, stäubte die Charge ein. Die niedersächsische GS agri machte Mischfutter draus, das sie unter anderem an die Klopps verkaufte. Aber wo Öko drauf stand, war nicht Öko drin.

"Es ist, als habe auf unserem Hof der Blitz eingeschlagen", sagt Klopp. Neben Mecklenburg-Vorpommern ist besonders Niedersachsen von der Affäre betroffen. In 38 Betrieben - allesamt ökologische - ist das Nitrofen nachgewiesen worden, was bisher 16500 Hennen, 5000 Hähnchen und 2500 Puten vor der Zeit das Leben kostete; 13 Bauern warten noch auf das Test-Ergebnis.

Eier aus der BlechboxVor sieben Jahren hat das Ehepaar Klopp den Hof in Visselhövede-Nindorf übernommen. Diplom-Agraringenieur Joachim Klopp züchtet vor allem Hühner und Sauen. "Frische" lautet das Argument, mit dem die Klopps Eier verkaufen. Die Kunden können sich direkt "an unserem point of sale" bedienen, wie Nicole Klopp liebevoll spöttelt - im Bauch einer Holzkiste liegen abgepackte Eier.

Das Geld werfen die Selbstbediener in die Blechbox neben der schönen, schweren Bauernhaustür. So ein Öko-Ei kostet etwa doppelt so viel wie ein Supermarkt-Ei. "Wir dürfen das Dumping nicht mitmachen", sagt Joachim Klopp. "Qualität hat ihren Wert, aber auch ihren Preis."

Als Joachim Klopp am 23. Mai erstmals das Wort "Nitrofen" hört, ahnt er nicht, dass er zwei Wochen später eigenhändig 650 Hühner töten wird. Ein Anruf der Mischfutter-Fabrik GS agri informiert ihn darüber, dass an ihn gelieferte Ware mit dem verbotenen Herbizid belastet ist. Am 31. Mai teilt das Veterinäramt Klopp mit, dass in seinem "Produkt: 1 x 10 Eier (Mastix)", das die Probennummer "90/02 A" trägt, Nitrofen mit dem "Gehalt: 0,116 Milligramm pro Kilogramm" stecke, zehnmal mehr als erlaubt.

Der Hof wird gesperrt, seitdem kleben im Stall rote Warnhinweise. Über die Medien erfährt Klopp, dass die GS agri das Problem seit langem kennt, den verdorbenen Mix dennoch weiter verkauft hat. Der sture Niedersachse Klopp fährt zum Hauptsitz der GS agri nach Schneiderkrug bei Cloppenburg und stellt sein Auto vor dem Werkstor quer. Er will, dass die Firma ihm den Ersatz des Schadens zusichert. Als das "heute-journal" die Bilder im Kasten hat, beendet er die symbolische Blockade.

Am 7. Juni um acht Uhr morgens treibt Joachim Klopp mit seiner Frau Nicole und einer Amtstierärztin die Hühner zu Grüppchen zusammen. Eines greift er heraus und schlägt ihm mit einem Holzscheit auf den Kopf, um es zu betäuben. Dann packt er das Huhn am Kopf und dreht ihm den Hals um. "Deluxieren" nennt man die als tierfreundlich geltende Tötungsart. 650 mal wiederholt Klopp den Handgriff, der das Rückenmark der Tiere durchtrennt. Zwei Stunden dauert das Töten.

Einige Hühner laufen noch für ein paar Sekunden umher, weil Reflexe durch ihre Nervenbahnen zucken. Selbst die Tierärztin muss schlucken, Nicole Klopp weint. "Hühner stinken und sind vielleicht nicht sonderlich schlau", sagt sie, "aber wie kann es denn sein, dass man sie tötet, nur um sie dann auf den Müll zu werfen?"

Die Klopps sind keine weltfremden Öko-Sektierer. Für das Kraftfutter der GS agri - immerhin ein Öko-zertifizierter Betrieb - hat sich Joachim Klopp entschieden, damit die Hennen ein Ei pro Tag schaffen. "Die müssen immerhin mit jedem Ei fünf Prozent ihres Körpergewichts aus sich heraus pressen." Aber einem Futtermittel-Multi, der Komponenten in ganz Deutschland zusammen klaubt, will er sich nie wieder ausliefern. "Künftig möchte ich bis auf den letzten Halm wissen, was da rein kommt." Jetzt sucht er eine Futtermühle in der Umgebung, die ihm das garantieren kann.

Seinen Verlust schätzt Joachim Klopp auf über 10 000 Euro. Er hat einen Rechtsanwalt beauftragt, mit der GSagri um Schadensersatz zu streiten. Sobald die Affäre ausgestanden ist, will er 600 neue Hennen "aufstallen", schön gestaffelt, damit er ein Sortiment aus kleinen, mittleren und großen Eiern vermarkten kann. Derweil fährt Klopp zu einem benachbarten Öko-Bauern und kauft ihm etwa 2000 Eier pro Woche ab. Mit den fremden Eiern, die er verlustreich weiterverkauft, hofft er, wenigstens seinen Kundenstamm halten zu können.

Die Degradierung zum Zwischenhändler macht dem Landwirt jedoch zu schaffen. Von seinen 650 Hühnern ist nichts übrig geblieben außer einem Ordner mit Faxen und Briefen.Der Tod der Vorgängerinnen blieb absurd bis zum allerletzten Akt: Der Abdecker verarbeitete die Kadaver zu Tiermehl, das umgehend in der Müllverbrennung landete. Als Futtermittel darf es nicht mehr verkauft werden, weil es unter dem Verdacht steht, BSE auszulösen.

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