New Orleans:Die angekündigte Katastrophe

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Was würde passieren, wenn ein starker Hurrikan genau über das Stadtzentrum zöge? Das hatten sich Experten schon lange gefragt und jedes mögliche Detail untersucht.

John Travis

Manchmal lägen Wissenschaftler lieber falsch. Zum Beispiel Ivor van Heerden. Der Direktor des Instituts der Louisiana State University, das die Auswirkungen von Hurrikanen auf das öffentliche Gesundheitswesen untersucht, leitet seit drei Jahren ein interdisziplinäres Forscherteam, das Katastrophenszenarien für New Orleans erarbeitet.

Was würde passieren, wenn ein starker Hurrikan genau über das Stadtzentrum zöge, fragten sich die Forscher und untersuchten jedes mögliche Detail von einer Überflutung der Stadt, bis hin zur Organisation der Evakuierung.

Ein Ergebnis ihrer Arbeit: Etwa ein Viertel aller Einwohner würden sich der Evakuierung widersetzen oder könnten ihre Häuser gar nicht verlassen.

21 Prozent wollten bleiben

"Das Traurige ist, dass wir damit zu 100 Prozent richtig lagen", sagt van Heerden. Denn tausende Bewohner von New Orleans ignorierten am Morgen des 28. August, kurz bevor Katrina das Festland erreichte, die behördliche Anordnung, die Stadt zu verlassen.

Manche wollten nicht, andere konnten nicht. Keine Überraschung für van Heerden: In der Umfrage, die sein Institut kürzlich unter Einwohnern von New Orleans gemacht hatte, erklärten 21,4 Prozent der Befragten, dass sie die Stadt nicht verlassen würden, wenn wegen eines Sturms evakuiert würde. Dabei gaben besonders die ärmeren Einwohner von New Orleans an, dass sie gar nicht die Möglichkeit hätten oder ihnen die Mittel dazu fehlten, sich vor dem in Sicherheit zu bringen, was nun als eine der schlimmsten Naturkatastrophen in der Geschichte der USA wahr geworden ist.

Die heftigsten unmittelbaren Zerstörungen richtete Katrina zwar an der Küste der Bundesstaaten Mississippi und Louisiana an. Am Tag darauf brachen jedoch an mehreren Stellen Dämme, die New Orleans hätten schützen sollen. Die Stadt, die zu 80 Prozent unterhalb des Meeresspiegels liegt, lief mit Wasser voll.

Wahrscheinlich hat die Flut seitdem Tausende Menschen getötet und viele mehr obdachlos gemacht. Doch zahlreiche Studien hatten genau dieses Szenario skizziert und viele Wissenschaftler vor der vorhersehbaren Katastrophe gewarnt. "Wir hatten genug Datenmaterial, um zu wissen, dass diese Katastrophe irgendwann eintreten würde", sagt Rick Leuttich von der Universität North Carolina, der an einer Flut-Simulation für New Orleans mitgearbeitet hat.

Zwar war Katrina sicherlich ein außergewöhnlicher Sturm, nur wenige Hurrikane haben die Golf-Küste zuvor mit derartiger Wucht getroffen. Gleichzeitig sei die Kraft des Sturms aber auch keine Überraschung gewesen, sagen Meteorologen.

Plötzlich ganz stark

Nachdem Katrina noch als Hurrikan der schwächsten Kategorie über Florida gezogen war, nahm der Sturm durch die warmen und feuchten Luftmassen über dem Golf von Mexiko schnell an Kraft zu. Schon am 27. August war Katrina zu einem Sturm der Kategorie 3 angeschwollen, am Tag darauf erreichte er die höchste Kategorie 5. "Dass ein Sturm so schnell an Kraft gewinnt, sieht man sehr selten", sagt Timothy Olander, Sturm-Experte an der Universität von Wisconsin-Madison.

Überraschend sei das im Falle Katrinas jedoch nicht gewesen. Zwei bekannte Faktoren, sagt Olanders Kollege James Kossin, haben Katrina schnelles Wachstum gefördert: das "phänomenal warme Wasser" im Golf von Mexiko und die Tatsache, dass der Sturm nicht auf schon vorhandene Winde traf, die ihn hätten bremsen können.

Auch dass der Hurrikan seinen Kurs in Richtung Osten änderte, kurz bevor er New Orleans erreichte, war alles andere als eine Überraschung. Es ist bekannt wie sich Wirbelstürme, die vom Meer kommen, über dem Festland verändern: "Hurrikane drehten oft nach rechts ab, wenn sie auf die Küste treffen", sagt der Meteorologe Hugh Willoughby von der Florida International University (FIU).

Zuerst schien es also so, als ob Katrinas Kursänderung und die leichte Abschwächung auf Kategorie 4 das verhindert hätten, was viele als New Orleans "Alptraum Szenario" bezeichnet hatten. Die Stadt ist bei Hurrikanen vor allem von Sturmfluten bedroht. Denn weil sich Wirbelstürme über dem Atlantik gegen den Uhrzeigersinn drehen, wird das meiste Wasser in Richtung Norden geschoben.

Da New Orleans zum Großteil unterhalb des Meeresspiegels liegt, ist die Stadt besonders von den Sturmfluten bedroht, die vom Golf aus in den Lake Ponchartrain drücken. In den vergangenen Jahrzehnten wurde mit einigen Computersimulationen gezeigt, wie ein Hurrikan, der genau auf den See trifft, das Wasser über die im Schnitt fünf Meter hohen Dämme spült.

Im vergangenen Jahr wurde dann auch bei einer Katastrophenübung, bei der nur von einem Sturm der Kategorie 3 ausgegangen wurde, klar, dass die Dämme New Orleans kaum vor einer Flut schützen würden. Diese Ergebnisse widersprachen jedoch den offiziellen Modellen der Behörden, laut denen auch die Sturmflut, die nun Katrina auftürmte, die Stadt nicht unter Wasser hätten setzen dürfen.

Dabei hatte man angenommen, dass der Wasserpegel an den südlichen Rändern des Sees nur etwas über einen Meter steigen würde, also nicht hoch genug, um über die Dämme zu laufen. Statt dessen brachen nun aber an mehreren Stellen die völlig durchweichten Dämme, das Schicksal der Stadt war besiegelt. Wahrscheinlich habe der erhöhte Wasserspiegel den Druck auf die Deiche so erhöht, dass das Erdreich unter Betonplatten, die zur Verstärkung der Anlagen eingezogen worden waren, weggesackt sei, sagt Stephen Leatherman, Direktor des Hurrikan-Forschungszentrums der FIU.

Die folgenden Verwüstungen, könnten nun das Interesse wiederbeleben, die Feuchtgebiete südlich von New Orleans auszubauen, denn diese wirken bei einem Sturm als natürliche Barriere. Nach Schätzungen gehen jedoch jährlich etwa 100 Quadratkilometer dieser Pufferzone an der Küste verloren: Vor allem, weil der Mississippi durch den Menschen so verändert wurde, dass der Fluss immer weniger Sedimente in den Golf von Mexiko schwemmt.

Schon 1998 hatten deshalb einige Bundes- und Staatsbehörden ein 14 Milliarden Dollar Programm angeregt, um die Feuchtgebiete an der Küste Louisianas zu schützen und zu revitalisieren. Washington verweigerte dem Projekt, das bis heute nicht über die Planungsphase hinausgekommen ist, jedoch die Finanzierung. Auch nach der Katastrophe dürfte das Vorhaben nun vorerst nicht realisiert werden, denn die Aufräumarbeiten und der Wiederaufbau von New Orleans werden Jahre dauern.

So vergeht Zeit, in der Wissenschaftler und die Einwohner der Stadt unruhig auf den Golf von Mexiko blicken. Die Hurrikan-Saison in diesem Jahr ist noch nicht vorüber, und einige Forscher sagen, dass sich die USA in einer Phase befänden, in der sie noch mit mehreren Stürmen vom Kaliber Katrinas zu rechnen haben. "Das kann einem wirklich Angst machen", sagt Olander. "Wer weiß, was uns noch erwartet."

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