Neue Schutzhülle:Der zweite Sarkophag

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In Tschernobyl droht ein zweites Unglück - nun soll eine neue Schutzhülle für die nächsten hundert Jahre halten.

Wolfgang Roth

Was den zertrümmerten Reaktorblock nun schon fast 20 Jahre lang im Korsett hält und umhüllt, konnte zwangsläufig nicht auf Dauer angelegt sein. Es ist bautechnisches Flickwerk, von den so genannten Liquidatoren unter Einsatz ihrer Gesundheit errichtet, um Schlimmeres zu verhindern. Auch Roboter kamen zum Einsatz, wo das möglich war.

Auf diese Weise kam der Sarkophag zustande, unter Verwendung von Stahlträgern, Metallplatten und reichlich Beton. Ende November war das Bauwerk vollendet. Viele Teile mussten auf den bestehenden Resten gegründet werden, wobei eine genauere Untersuchung ihrer Standfestigkeit der starken Strahlung wegen unmöglich war.

Dieser Sarkophag hat mittlerweile Löcher und Spalten, durch die radioaktive Partikel entweichen können und Wasser eindringen kann. Der Statik ist nicht zu trauen, manche Träger liegen nur knapp auf den alten Lüftungsschächten. Die schlimmste Befürchtung ist, dass ein erheblicher Teil des Komplexes einstürzen könnte.

Im Inneren befinden sich nach den meisten Schätzungen noch ungefähr 96 Prozent des ursprünglichen Brennstoffs, der zertrümmert, mit anderen Materialien verschmolzen und verklumpt ist. Man rechnet auch damit, dass tonnenweise radioaktiver Staub herumliegt, der bei einem Einsturz aufgewirbelt würde.

Dies wäre ein hohes Risiko für die etwa 3500 Arbeiter im Werk, die dort benötigt werden, um auch die anderen drei Blöcke nach ihrer Abschaltung in sicherem Zustand zu halten. Drei Optionen waren in der Diskussion, um Zeit zu gewinnen: Das vollständige Verfüllen mit Beton, eine weitere Stabilisierung des Blocks von außen oder eine zweite Hülle.

Sarkophag über dem Sarkophag

Im Jahr 1997 wurde in internationalen Vereinbarungen mit der Ukraine der Shelter Implantation Plan (SIP) entwickelt, der einen Sarkophag über dem Sarkophag vorsieht. Die Kosten sollen von den G-7-Staaten und der Europäischen Union getragen werden, die Gelder werden von der Europäischen Bank für Wiederaufbau verwaltet. Man rechnet mit einem Finanzvolumen von mindestens 1,1 Milliarden US-Dollar.

Die Ausschreibung läuft und soll angeblich im Frühjahr entschieden werden. Sie sieht eine riesige Halbröhre in Stahlkonstruktion vor, die außerhalb des alten Bauwerks errichtet wird, um die Strahlenbelastung der Arbeiter zu minimieren.

Das Ganze soll dann auf Schienen über den alten Sarkophag geschoben werden. Der neue Sarkophag wird etwa so hoch werden wie die Freiheitsstatue in New York mitsamt ihrem Sockel - etwas mehr als 100 Meter. Ist die Stahlhülle an Ort und Stelle und direkt an den benachbarten Block drei gesetzt, kann die Vorderseite geschlossen werden. Damit, so der Plan, könnten die radioaktiven Stoffe für 100 Jahre eingeschlossen bleiben, selbst wenn das Innere einstürzt.

Wann und wie damit begonnen werden kann, die brennstoffhaltigen Massen zu bergen, das ist dagegen weitgehend ungeklärt und eine ungeheure Herausforderung, die es in der Geschichte der Kernenergie noch nie gab.

© SZ vom 25.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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