Neandertaler-Genom:Gene aus der Steinzeit

Lesezeit: 3 min

Leipziger Forschern ist es in dreijähriger molekularer Puzzlearbeit gelungen, aus 38.000 Jahre alten Knochenresten weite Teile des Neandertaler-Erbguts herauszulesen.

Hanno Charisius

Drei Knochensplitter, zermahlen zu feinem Pulver. Nicht mehr als ein halbes Gramm davon soll genügen, um Licht in ein entscheidendes Kapitel der Menschheitsgeschichte zu bringen. Die drei Fragmente stammen aus einer Höhle in Kroatien, sie sind 38.000 Jahre alt und gehörten einmal zu den Skeletten von mindestens zwei Neandertalerfrauen.

"Homo neanderthalensis" ist enger mit uns verwandt ist als jeder heute noch lebende Menschenaffe. (Foto: Foto: dpa)

Dem Paläogenetiker Svante Pääbo ist es in dreijähriger molekularer Puzzlearbeit gelungen, weite Teile ihres Erbguts aus dem Knochenstaub herauszulesen.

Am Donnerstag präsentierte der Forscher vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) mit seinen Kollegen die erste Rohversion eines Neandertalergenoms. Diese Sequenzen könnten nun mit den bereits sequenzierten Genomen von Menschen und Schimpansen verglichen werden, um festzustellen, an welchen Stellen sich die Gene der ausgestorbenen Neandertaler von denen des heutigen Menschen unterscheiden, sagte Pääbo auf einer Pressekonferenz.

Weil Homo neanderthalensis enger mit uns verwandt ist als jeder heute noch lebende Menschenaffe, wird der Vergleich zwischen beiden Genomen vielleicht klären können, welche genetischen Veränderungen uns zu dem gemacht haben, was wir sind.

Pääbo spricht vorsichtig von einer "ersten Version". Seine Zurückhaltung ist begründet. Etwa drei Milliarden genetische Grundbausteine haben seine Sequenziermaschinen aus den Zellresten ausgelesen. Das Genom des Menschen ist nur wenig größer aber normalerweise verkünden Forscher die Entzifferung eines kompletten Erbguts erst, wenn sie jedem Genbaustein nach mehreren Lesedurchgängen einen eindeutigen Platz haben zuweisen können.

Pääbo und seine Kollegen konnten das aus mehr als einer Milliarde DNS-Bruchstücken bestehende Erbgut der Steinzeitdamen bislang nur einmal lesen und sie haben reichlich doppelte Sequenzen in ihrer Sammlung. Pääbo schätzt, das sie bislang erst 60 Prozent des Neandertalergenoms gesehen haben.

Dennoch ist er zuversichtlich, noch in diesem Jahr Mensch, Affe und Neandertaler genetisch vergleichen zu können. An ein paar Stellen konnten die Forscher Neandertaler-Gene bereits den menschlichen gegenüberstellen. Aus Unterschieden leiten die Forscher ab, dass sich beide Linien vor etwa 800.000 Jahren genetisch voneinander getrennt haben, was dem bisherigen Wissensstand entspricht.

Mutationen oder Altersspuren?

Auch zu der oft diskutierten Frage, ob Neandertaler und Menschen Sex miteinander hatten, gibt es Hinweise: Wahrscheinlich nicht. Falls doch, hatten sie nicht viele gemeinsame Kinder. Denn genetische Spuren des Cousins aus der Steinzeit konnten Forscher bislang nicht im Erbgut des modernen Menschen finden.

Auszuschließen sei eine gelegentliche Vermischung beider Linien aber nicht, sagt Pääbo, "und es wird auch nie möglich sein". Doch je kleiner der genetische Beitrag aus dem Neandertal zur Menschwerdung, desto unwichtiger werde diese Frage - "biologisch gesehen".

Für Anthropologen mindestens genauso aufregend wie die Sexfrage ist das FOXP2-Gen. Es spielt beim Spracherwerb eine wichtige Rolle und taucht in nahezu identischer Form auch im Neandertaler-Erbgut auf. Ob unser früher Verwandter überhaupt sprechen konnte, lässt sich allerdings nicht aus den Genen lesen. Und die Weichteile des Stimmapparats sind zu empfindlich, als dass man auf einen Fossilfund hoffen dürfte.

Weil der Neandertaler wohl motorisch unbegabt war, Handgesten aber wichtig sind für den Spracherwerb im Kindesalter, unterstellen manche Forscher dem Neandertaler rudimentäre rhetorische Fähigkeiten.

Solange das Genom des Neandertalers aber noch nicht mehrfach sequenziert worden ist, müsse man skeptisch bleiben, warnen Experten. Zwar waren die Knochen mit 38000 Jahren für Neandertalergebeine relativ jung. Aber noch vor wenigen Jahren war es unvorstellbar, DNS aus so altem Material zu gewinnen.

Erst als es Pääbo und Matthias Krings - damals noch an der Ludwig-Maximilians-Universität München - gelang, 400 genetische Bausteine aus der Neandertaler-DNS auszulesen, begann die Paläogenomik. Pääbo entwickelte eine Reinraumtechnik, um Verschmutzungen des uralten Erbguts mit moderner Menschen-DNS zu verhindern - sowie ein Markierungsverfahren, mit dem sich alte von junger DNS unterscheiden lässt.

Aber auch an dem Erbmolekül DNS gehen die Jahre nicht spurlos vorüber. Sie zerfällt mit der Zeit und so können sich die Forscher nicht sicher sein, ob sie gerade auf eine evolutionäre Veränderung blicken oder ob es nur eine Alterserscheinung im Erbgut ist. Diese Frage wird sich erst klären lassen, wenn auch DNS von anderen Neandertaler-Fossilien entziffert wurde und sie mit vorhandenen Daten übereinstimmt.

Wenn das geschehen ist, wird es sicher wieder eine Pressekonferenz in Leipzig geben. Dieses Mal hatte die amerikanische Wissenschaftsgesellschaft AAAS auf das Medienereignis gedrängt, um die Aufmerksamkeit auf ihre Jahrestagung in Chicago zu lenken. Das Neandertalergenom mit seinen offenen Fragen an die Evolution gibt so noch ein schönes Geschenk für Charles Darwin ab, dessen 200. Geburtstag am Donnerstag gefeiert wurde.

© SZ vom 13.02.2009/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: