Naturkatastrophen:Risikofaktor Megacity

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Städte sind durch Naturkatastrophen besonders bedroht. Doch die Einwohner von Paris, London oder Berlin müssen Sturm oder Trockenheit kaum fürchten. Leiden müssen andere.

Petra Steinberger

Stadthasser und Vorstadtbewohner werden sich freuen. Recht hatten sie, da draußen wohnen zu bleiben vor den Toren des Molochs. Jetzt haben offenbar auch die Vereinten Nationen erkannt, dass Stadtleben gefährlich ist.

Gefährdet durch Naturkatastrophen sind vor allem schnell und unkontrolliert wachsende Städte wie Kalkutta. (Foto: Foto: Reuters)

Naturkatastrophen, scheint es, richten noch mehr fürchterlichen Schaden an, wenn sie über die Städte herfallen. Ganz so einfach ist es nicht.

Fest steht zwar, dass sich die Wirkung von Umweltkatastrophen verstärkt, wenn sie auf Städte treffen. Aber nicht jede Stadt, nicht jedes Land ist gleich stark betroffen.

Was der gerade veröffentlichte UN-Bericht mit dem etwas ungelenken Titel "2009 Global Assessment Report on Disaster Risk Reduction" nun kompakt mit Daten und Statistiken untermauert zusammengetragen hat, ist eine Einschätzung des weltweiten Risikos durch Naturkatastrophen - und, vor allem, ihre Verteilung.

Da zeigen sich schnell die neuralgischen Gebiete. Betroffen ist ein bestimmter Typus der Städte: die Megacities, die Stadtregionen, die sich manchmal über Hunderte von Kilometern in alle Richtungen erstrecken, ohne Plan, ohne Infrastruktur, oft ohne funktionierende Verwaltung.

Es ist der große Bogen, der sich über Iran bis nach Japan zieht; die großen Stadtlandschaften Südostasiens gehören dazu, der Westen Südamerikas, Nordafrika.

Gefährdete Slumbewohner

Der Report hat zum ersten Mal jenen ursächlichen Zusammenhang belegt, der zwischen einer Urbanisierung besteht, die unkontrolliert abläuft, zwischen wirtschaftlicher Schwäche und der Zerstörung der Ökosysteme. Das aber findet nicht bei jenen statt, die wiederum den Klimawandel hauptsächlich verursachen: den reichen Industrieländern der nördlichen Halbkugel.

Gefährdet von Sturm und Wasser und Trockenheit ist ja nicht der Pariser, der die Stadt am Wochenende in riesigen Autokolonnen verlässt. Auch nicht der Londoner mit dem Häuschen in der Provence. Leiden werden andere.

Gefährdet sind all diejenigen, die in den letzten Jahrzehnten jenen Wildwuchs um die Städte der Dritten Welt errichteten, die man als Slums oder Favelas bezeichnet. Gefährdet sind die Armen, die sich an den Berghängen vor den lateinamerikanischen Städten ansiedeln und bei m nächsten schweren Regen von Schlammlawinen überrollt werden können.

Gefährdet sind die Landflüchtlinge Indonesiens, die die Mangrovendickichte entlang der Küste abholzen und dort ihre Hütten hinbauen, weil sonst kein erschwingliches Bauland mehr zu finden ist an den Rändern Jakartas oder Kuala Lumpurs. Diese Hütten werden beim nächsten Taifun von den Wassermassen hinweggerissen, die, nun unbehindert durch die natürliche Barriere der Mangroven, weit ins Land hineinfluten.

Gefährdet waren auch die chinesischen Arbeiter, die in Wohnungen lebten und ihre Kinder in Schulen schickten, die gerade durch eine allzu schnelle, unkontrollierte Entwicklung von derart schlechter Bausubstanz waren, dass man auf die Katastrophe warten konnte, die schließlich vor einem Jahr ganze Städte zerstörte.

Drei Risikoverstärker

Jeweils noch einmal verstärkt durch den Klimawandel, macht der Report jene drei "primären Risikoverstärker" aus, die vor allem ein Problem der armen Staaten und der Entwicklungsländer sind: unkontrollierte Stadtentwicklung, Armut, Umweltzerstörung.

Denn die reichen Staaten sind einerseits Hauptverursacher, andererseits haben sie längst die finanziellen und technischen Möglichkeiten, sich und ihre Bewohner zu schützen vor den neuen Bedrohungen durch die sich wandelnde Natur.

Doch ist das Risiko auch menschengemacht. "Selbst ohne den Klimawandel", sagt Andrew Maskrey, einer der Autoren des Reports, "nimmt das Risiko von Zerstörung durch Naturkatastrophen zu. Wenn man den Klimawandel noch dazurechnet, entsteht ein ziemlich katastrophales Szenario."

Je schneller die Städte hingebaut wurden, desto größer das Risiko. Da fehlen ausreichende Entwässerungsanlagen und Abflussmöglichkeiten. Und so werden aus Rinnsalen, die eigentlich im Boden versickern könnten, reißende Ströme, die dann in den engen Gassen alles mitreißen, was im Weg steht.

Eine Milliarde Menschen lebt heute schon in Slumgebieten, ihre Zahl wird mindestens bis zur Mitte des Jahrhunderts rasant wachsen; allein in Indien wird die Stadtbevölkerung bis 2050 um 500 Millionen Menschen zunehmen.

Die Vereinten Nationen wären nicht sie selbst, wenn sie ihren Report nicht mit einem hoffnungsvollen Aktionsplan beenden würden: Die Folgen des Klimawandels müsse man kalkulieren, schwache Volkswirtschaften stärken und Graswurzelprojekte fördern, ordentliche Verwaltungs- und Regierungsstrukturen einrichten und, vor allem, in nachhaltige Maßnahmen zur Risikoverminderung investieren.

Aber gerade weil es die Vereinten Nationen sind, erscheinen solche Sätze wie das alte Ritual einer Kirche, der der Glaube abhanden gekommen ist, und die Vorschläge ähneln eher Fürbitten als konkreten Handlungsanweisungen.

Gemäß dem Ritual haben denn auch Wissenschaftler und NGOs den Report bereits kritisiert - er sei voller Versprechen, denen der politische Wille zur Umsetzung fehle. Das wiederum mag daran liegen, dass der Wille und die Macht bei denen liegt, die sich in Paris, London oder New York nicht zu fürchten brauchen vor der Natur.

© SZ vom 20.05.2009/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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