Müllverbrennung in Deutschland:Gift vom anderen Ende der Welt

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22.000 Tonnen hochgiftiger Müll aus Australien sollen in Deutschland verbrannt werden - weil dies hier mit höheren Umweltstandards möglich ist. Jetzt regt sich Widerstand.

Martin Kotynek

Die umstrittene Verschiffung von 22.000 Tonnen hochgiftigen Mülls aus Australien nach Deutschland ist näher gerückt. Das australische Umweltministerium beantragte bei den Bezirksregierungen von Münster, Düsseldorf und Köln eine Einfuhrgenehmigung.

Die Australier planen, den mit der Chemikalie Hexachlorbenzol kontaminierten Bauschutt einer ehemaligen Fabrik mit vier Schiffsladungen über einen Zeitraum von 21 Monaten hinweg nach Brunsbüttel zu transportieren. Dort sollen 10.000 Tonnen verbrannt werden.

Der Rest soll mit dem Zug zu den Anlagen des Bayer-Konzerns nach Leverkusen und Dormagen, sowie zum Entsorgungsunternehmen AGR nach Herten gelangen.

"Müll verbrennen, wo er produziert wurde"

Der nordrhein-westfälische Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) sprach sich am Dienstag gegen die Verschiffung aus: "Der Müll soll in der Nähe jenes Ortes verbrannt werden, wo er produziert wurde. Die lange Transportstrecke ist nicht verantwortbar."

Für Mitte Juni erwartet er ein Rechtsgutachten, das klären soll, ob und wie der Import verhindert werden kann. Hexachlorbenzol (HCB) steht im Verdacht, Krebs zu erregen und das Erbgut zu verändern.

"Hexachlorbenzol gehört zu den zwölf gefährlichsten Stoffen überhaupt", sagt Ina Walenda vom Umweltverband BUND. Bis 1981 wurde es in Deutschland als Pflanzenschutzmittel eingesetzt, weltweit ist die Herstellung und Anwendung von HCB seit 2001 verboten. Ein internationales Abkommen verpflichtet die Länder, ihre Lagerbestände zu vernichten.

"Aber warum soll Deutschland den Sondermüll Australiens entsorgen?", fragt Walenda. Weil dies in deutschen Verbrennungsanlagen mit höheren Umweltstandards möglich sei als in Australien, antwortet Markus Gleis vom Umweltbundesamt: "Australien verfügt nicht über Entsorgungsanlagen, die technisch so gut ausgerüstet sind wie die deutschen."

Es sei daher umweltfreundlicher, die HCB-haltigen Abfälle in Deutschland zu verbrennen, heißt es aus dem Umweltbundesamt, das den Import befürwortet.

Der BUND sieht jedoch Bedrohungen für Mensch und Umwelt in Deutschland: "Die Verbrennung von Sondermüll birgt grundsätzlich Risiken", sagt Walenda: "Es kann immer passieren, dass das HCB nicht vollständig verbrennt und in die Umwelt gelangt."

Die Folge wären Störungen des Nervensystems, massive Atembeschwerden und Hautreizungen bei der Bevölkerung, sagt der Toxikologe Hermann Kruse von der Universität Kiel: "Die Gefahren durch die Verbrennung sind noch viel höher als die des Transports."

Doch Joachim Beyer, der die Müllverbrennungsanlagen von Bayer Industry Services leitet, beruhigt: "HCB kann bei uns gar nicht unvollständig verbrannt werden. Wir verwenden sehr hohe Temperaturen und reinigen das Abgas mit aufwendigen Filterverfahren. Dabei wird nichts dem Zufall überlassen."

Die Verbrennung des mit HCB verunreinigten Bauschutts, der derzeit am Hafen von Sydney lagert, soll in vier Schritten erfolgen: Die ungeöffneten Fässer werden in den sogenannten Drehrohrofen gekippt.

Dieser ist knapp zwölf Meter lang und dreht sich alle zwei Minuten einmal um die eigene Achse. Dadurch wird der Schutt durchmischt, sodass Hitze und Sauerstoff überall hin gelangen. Langsam bewegt sich das Brennmaterial dabei durch den gesamten Ofen.

Heißer als Magma

Vor der Flamme herrschen Temperaturen von etwa 1050 Grad Celsius, in der Flamme sogar 1500 Grad - das ist heißer als vulkanisches Magma. "Bei Temperaturen von mehr als 500 Grad Celsius bricht die chemische Struktur von HCB zusammen und die Moleküle lösen sich in ihre ungefährlichen Bestandteile auf", sagt Gleis.

Kommt es zu einem Zwischenfall, werde die Zufuhr zum Ofen sofort unterbrochen, sagt Beyer: "Die Anlage stellt dabei sicher, dass sämtliches Material, das sich noch im Ofen befindet, restlos verbrannt wird."

Pro Stunde kann ein Ofen drei bis vier Tonnen Material verbrennen - dabei wird der HCB-Abfall mit anderen, weniger gefährlichen Stoffen vermischt. Übrig bleiben nicht mehr brennbare Stoffe, wie etwa Silikate, die am Ende des Ofens als Schlacke herausfallen, sowie das bei der Verbrennung entstandene Rauchgas.

Das Gas gelangt in die Nachbrennkammer, eine neun bis zwölf Meter hohe Säule, in der die verbliebenen brennbaren Inhaltsstoffe vernichtet werden sollen. Bei Bayer herrschen dort Temperaturen von etwa tausend Grad, gesetzlich vorgeschrieben sind 850 Grad. "Nach zwei Sekunden sind 99,99 Prozent der verbliebenen Gefahrenstoffe verbrannt", sagt Gleis.

Was dann noch übrig ist, gelangt in den Staubabscheider, wo über elektrische und chemische Verfahren die meisten Staubteilchen aus der Abluft gefiltert werden. Übrig bleiben hochgiftige Filterstäube, die aus der Anlage entnommen werden.

Anschließend wird die Abluft noch durch einen Aktivkohlefilter geblasen, um Dioxine und Furane zu entfernen. Diese giftigen Stoffe entstehen bei jeder Verbrennung. Laut Verordnung darf nur 0,1 Nanogramm pro Kubikmeter Abgas in die Luft abgegeben werden. "Unsere Anlage in Dormagen emittiert bei 61.000 Tonnen Sonderabfällen pro Jahr nur so viele Dioxine und Furane, wie bei der Verbrennung von 217 Tonnen Holz entstehen."

Für den Kieler Toxikologen Kruse ist das zu viel: "Selbst in guten Anlagen haben wir im Rauchgas einen Cocktail an gefährlichen Substanzen gefunden." Von den meisten kenne man weder ihr Verhalten in der Umwelt, noch ihre Giftigkeit. "Selbst wenn die Grenzwerte eingehalten werden, kommen unzulässig viele Giftstoffe aus dem Schlot", sagt Kruse.

Markus Gleis vom Umweltbundesamt beteuert hingegen, dass die Anlagenbetreiber in Deutschland die Grenzwerte ohnehin nur zu 20 Prozent ausschöpften: "Mit den aufwendigen Filtermethoden entfernen die Betreiber alles, was technisch möglich ist. Zudem haben wir in Deutschland die strengsten Grenzwerte weltweit."

"Spitzentechnologie exportieren statt fremden Giftmüll zu importieren"

Umweltschützer warnen aber eher vor den Schlacken und hochgiftigen Filterstäuben, die nach der Verbrennung des HCB-haltigen Abfalls zurückbleiben - davon fallen noch dazu eine ganze Menge an: Beim australischen Bauschutt könnten es nach Angaben des Umweltbundesamtes sogar bis zu 70 Prozent des Ausgangsmaterials sein.

"Schlacke und Stäube sind kein Biokompost, denn die darin enthaltenen restlichen Schadstoffe können sich lösen und in die Umwelt gelangen", sagt Walenda. Deshalb werden die Filterstäube auch in ehemaligen Bergwerken gelagert. "Im Gegensatz zu Filterstäuben enthält Schlacke kaum Gefahrenstoffe. Sie liegen um den Faktor Tausend unter dem gesetzlichen Maximalwert", sagt Beyer von Bayer Industry Services: "Wir könnten die Schlacke sogar als Produkt für den Straßenbau verkaufen, brauchen sie aber selbst für den Deponiebau."

Für Walenda sind das keine guten Aussichten: "Dann verunstalten die Reste der Verbrennung des australischen Mülls deutsche Landschaften."

Für die Zukunft macht der Toxikologe Kruse einen Alternativvorschlag: Er empfiehlt, in Australien Verbrennungsanlagen nach deutschem Standard zu bauen. "Wir sollten deutsche Spitzentechnologie exportieren statt fremden Giftmüll zu importieren." Denn die 22.000 Tonnen HCB-kontaminierter Abfall seien bestimmt nicht die letzten gewesen, die in australischen Deponien auf ihre Vernichtung warten.

© SZ vom 31.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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