MP3-Player:Vom Schicksal geshuffelt

Lesezeit: 4 min

Ist die Zufallswiedergabe eines MP3-Players wirklich zufällig? Ein Selbstversuch von Max Scharnigg

Keine Ahnung, ob Friedrich Nietzsche einen iPod hatte. Ich weiß es nicht. Es steht sicher in der Nietzsche-Biographie von Rüdiger Safranski, irgendwo hinten, aber ich bin noch nicht weiter als Seite elf. Seit Monaten. Denn immer, wenn ich auf Seite zwölf blättern will, spielt mein iPod Shuffle "Norwegian Wood".

Hübsch ist er ja der iPod, aber auch funktional? (Foto: Foto: ddp)

"Random your Life"

"Norwegian Wood" ist, wie jeder weiß, ein Lied der Beatles. Ein iPod Shuffle ist, wie vielleicht auch schon jeder weiß, ein begehrenswertes weißes Gerät, lang wie ein Zigarette, flach wie ein Doppelkeks, insgesamt einem Legostein ähnlich.

Man kann bis zu dreihundert Lieder aus dem Computer auf diesen Legostein speichern und dann überall anhören. Die Firma Apple, die ihn verkauft, bewirbt den iPod Shuffle mit dem Spruch "Random your Life", was nur bedeutet, dass das Ding die gespeicherten Lieder in zufälliger Reihenfolge abspielt.

Es ist erfrischend dreist von Apple, damit eine Funktion anzupreisen, über die schon meine Kinderstereoanlage aus der Kaufhalle verfügte. So erfrischend, dass ich sofort einen iPod Shuffle haben und da hinein ein einziges Beatles-Lied speichern wollte. Außerdem 274 andere Lieder von anderen Bands.

Der iPod mag Safranski nicht

Trotzdem kommt immer, wenn ich das Nietzsche-Buch aufschlage "Norwegian Wood". Das ist verrückt, aber: zufällig. Und es ist unpraktisch, denn wenn ich "Norwegian Wood" höre, muss ich sofort an J. denken, die damals monatelang das Murakami-Buch "Norwegian Wood" mit sich rumtrug.

Und wenn ich an J. denke, kann ich überhaupt keine Safranski-Biographien mehr lesen, sondern muss an die frische Luft, oder noch besser: ein bisschen heulen. Deswegen bin ich nur auf Seite elf. iPod lässt mich nicht Safranski lesen.

"Dinge nach dem Grade der Lust"

Leider ist es mir auch nicht möglich, ohne iPod in den Lesesessel zu steigen, aus zwei komischen Gründen. Erstens, Nietzsche selber hat in seiner Notiz "Dinge nach dem Grade der Lust" (auf eben jener Seite elf) eine Art Lebenswertliste erstellt, die sieht so aus:

Platz 1: musikalisches Improvisieren

Platz 2: Musik von Wagner und Beethoven

Platz 3: gute Einfälle beim Spazieren gehen haben

Platz 4: Wollust.

Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn er Wollust auf Eins gesetzt hätte. So aber finde ich es eine nette Idee, zur Nietzsche-Lektüre, wenn schon nicht selber, so doch den iPod musikalisch improvisieren zu lassen. Nur dass der eben gar nicht improvisiert, sondern immer nur "Norwegian Wood" spielt.

Der zweite Grund, warum ich die weißen Ohrstöpsel nicht mal ein Stündchen aus den Ohren nehme, ist der gleiche, aus dem ich sie auch zum Rasieren, zum "heute-Journal" und zum Schlafen nicht rausnehme: Weil ich sie immer drin habe. Weil ich auf "Apples & Oranges" warte.

Das ist ein Lied der kleinen schottischen Band Dogs Die In Hot Cars. Kein großes Lied, keine große Band, nur so ein entzückendes Stück Pop eben und ich will es endlich hören. Dass es auf der Playlist drauf ist, weiß ich. Aber es kommt nie.

iPod will mir Leid antun

Und in ganz schwachen Momenten, kurz vor dem Einschlafen, wenn sich mein iPod stillvergnügt durch einen aussichtslosen Blur-Fantastische-Vier-Johnny Cash-Strudel shuffelt, denke ich: Mein iPod will nicht, dass ich mich freue. iPod will mir ein Leid antun.

Skippe ich dann kaltwütig jedes Lied weiter, das nicht "Apples & Oranges" ist, wird der iPod selber auch bockig. Bringt stundenlang Roni Size Reprazent-Tracks, von denen ich dachte, sie wären längst gelöscht.

Oder er lässt nur ein ganz dunkles Brummen vernehmen, bei dem ich nie sicher weiß, ob es von der Einstürzenden Neubauten-Platte stammt, oder ein tatsächliches Knurren des Gerätes ist. Jedenfalls: Skippend schlafe ich ein, seit Wochen und fühle mich vom Schicksal geshuffelt.

Stunden inniger Dreisamkeit

Dabei erleben wir auch Stunden inniger Dreisamkeit, der iPod, die Zufallsfunktion und ich. Auf dem Nachhauseweg, zum Beispiel, wenn die beiden mir ein bisschen Cardigans gönnen.

Beim ersten Mal habe ich mich so darüber gefreut, dass ich bereit war, in meine Lust-Liste ganz nach Herrn Nietzsche einzutragen: Platz eins: gute Einfälle beim Spazieren gehen mit Cardigans-Sängerin Nina Persson.

Seither allerdings schickt mir der iPod immer, kaum bin ich der S-Bahn entstiegen, beifallheischend Fräulein Persson und ihre Cardigans aufs Ohr. Nett gemeint, wenn ich nur nicht schon wüsste, was danach kommt: Eskobar, Air und bei Bernd Begemann schließe ich dann die Haustür auf.

Seitdem kann ich Bernd Begemann nicht mehr recht leiden, weil er immer nach Air so unpassend quäkt. Ich kenne ihn nur noch so. Der iPod shuffle hat erreicht, dass ich Bernd Begemann blöd finde. iPod beeinflusst mein Sozialverhalten.

Der iPod mag Bloc Party

Vielleicht ist er auch nur ein schlechter DJ. Er spielt Folgen von bis zu fünf Lieder mehrmals in exakt gleicher Reihenfolge, er bevorzugt ganze Bands schamlos, Bloc Party zum Beispiel. Mit Zufall hat das doch nichts mehr zu tun, eher mit einem kleinen Egotrip von Sir Shuffle.

Natürlich wehre ich mich auch nicht richtig dagegen. Ich könnte mich einen Nachmittag hinsetzen und nur gute Lieder aussuchen, in angenehme Reihenfolge bringen, das ganze auf den iPod schieben und: die Zufallsfunktion ausschalten.

Dann muss er knechtend alles hintereinander abspielen, Dienst nach Vorschrift tun, der miese Flash-Player. Aber will man so unlocker sein? Will man den Köter immer nur an der Leine führen?

Nein, hopsen und tanzen soll er und mich überraschen und endlich mal Morrissey spielen, wenn ich durch die Maximilianstraße gehe. Oder endlich das verdammte "Apples & Oranges", während ich auf Seite zwölf der Nietzsche-Biographie blättere. Ha, wäre das aber ein Zufall!

© SZ vom 19.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: