Mount St. Helens:Korken im Krater

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Der Mount Saint Helens im US-Staat Washington ist eine gewaltige Bombe. Lediglich ein Steinpfropfen, ein so genannter Dom, im Krater verhindert derzeit, dass der Vulkan explodiert.

Axel Bojanowski

Kontinuierlich strömt von unten Magma in den Berg und schiebt das bereits hochhausgroße Gesteinspaket aus dem Krater heraus. Immer wieder brechen Teile des Doms ab und stürzen in den Schlund. Doch noch hält der Pfropfen dem Druck stand.

Das Anschwellen des Doms vollzieht sich auf gespenstische Weise. Obgleich der Pfropfen mitunter mehrere Meter pro Tag nach oben wächst, sind die steten Bewegungen auf Video nicht zu erkennen. Hören könne man sie jedoch, schreiben Wissenschaftler um Richard Iverson vom Geologischen Dienst der USA im Magazin Nature (Bd.444, S.439, 2006).

Die Seismologen haben im Berg mit Erdbebenmessgeräten ein regelmäßiges Rumpeln registriert. Wie der Pauker einer Marschkapelle sendet der Mount Saint Helens alle paar Minuten einen Schlag aus.

Es handele sich um ein Geräusch, das entsteht, wenn zwei harte Substanzen aneinander vorbeischrammen. Als Quelle dieser schwachen Beben der Stärke 2 tippen Iverson und Kollegen auf den Dom, der sich mit jedem Stoß um Millimeter hinausschiebe.

Vorboten großer Katastrophen

Der Gesteinspfropfen kann nicht vollständig aus dem Berg herauswachsen, denn an seinem unteren Ende lagert sich stetig frisches Gestein an: Das zähflüssige Magma im Berg, das nicht auslaufen kann, weil der Krater verstopft ist, erstarrt zu Dazitgestein und vergrößert den Dom.

Derzeit scheint so viel Magma nachzuströmen wie Gestein nach oben austritt - das System stünde demnach im Gleichgewicht, berichten Iverson und Kollegen.

Ein größerer Ausbruch sei daher momentan unwahrscheinlich. Denn weder wurden Erdbeben in größerer Tiefe registriert noch Verformungen des Bodens, die Anzeichen dafür wären, dass sich der Magmastrom aus der Tiefe vergrößere.

Ein alarmierendes Aufheizen des Vulkans wurde ebenfalls nicht festgestellt. Zuletzt habe sich die Bergspitze sogar auf unter 100 Grad Celsius abgekühlt, berichteten im Oktober Forscher in den Geophysical Research Letters (Bd.33, L20303, 2006).

Bereits mehrfach waren solche Dome allerdings Vorboten großer Katastrophen. 1902 etwa wuchs auf dem Vulkan Mont Pelée auf der Karibikinsel Martinique ein mehr als 300 Meter hoher Gesteinspfropfen. Nachdem er kollabiert war, schossen Glutlawinen aus dem Vulkan und zerstörten die Stadt Saint Pierre, 26000 Menschen starben.

Zuweilen hat eine Kuppe auch für die Ewigkeit Bestand. Der Drachenfels bei Bonn etwa besteht aus einem 25Millionen Jahre alten Dom, der sich bildete, als das Siebengebirge vulkanisch aktiv war.

Warten auf den großen Knall

So lange wird der Dom auf dem Mount Saint Helens nicht halten, denn der Vulkan bleibt noch lange Zeit aktiv. Jederzeit könnten größere Magmamengen ausbrechen. Zuletzt schossen vor anderthalb Jahren Aschewolken aus dem etwa 2500 Meter hohen Berg hervor, eine Magma-Explosion schien bevorzustehen.

Im Oktober 2004 wurde am Mount Saint Helens sogar kurzzeitig höchste Alarmstufe ausgerufen. Die Südflanke des Berges hatte sich um 50 Meter gehoben, örtlich riss der Gipfel auf. Doch der Vulkan beruhigte sich, was nicht unbedingt ein gutes Zeichen ist, denn so wurde der Druck nicht abgebaut - er könnte sich später in einer größeren Eruption entladen.

Einen großen Knall wie vor 26 Jahren, als der Mount Saint Helens bei einer der größten Vulkanausbrüche der vergangenen Jahrhunderte explodierte, erwarten Experten gleichwohl nicht. Am 18. Mai 1980 sprengte nach mehr als 123-jähriger Ruhephase Magma die Kuppe des Berges.

Die gesamte Nordflanke rutschte mit 300 Stundenkilometern zu Tal, der Mount Saint Helens verlor 400 Meter an Höhe. Von der Auflast befreit, schossen Glutlawinen, Lava und Asche hervor. Trotz Vorwarnung und obwohl der Berg in einem wenig bevölkerten Naturschutzgebiet liegt, starben 57 Menschen. Sogar in 30 Kilometer Entfernung gab es Opfer.

Hätte sich die Eruption nicht an einem Sonntag ereignet, wären wahrscheinlich weitaus mehr Menschen gestorben. An einem Werktag wären Hunderte Waldarbeiter in der Todeszone tätig gewesen. Noch in 150 Kilometer Entfernung ging dichter Ascheregen nieder und legte das öffentliche Leben tagelang lahm.

Für eine ähnlich große Eruption sei noch nicht genug Magma nachgeströmt, beruhigen Vulkanologen. Dennoch könnte es jederzeit gefährlich werden. Unter Umständen genüge ein ausdauernder Regen, um den Dom einstürzen zu lassen, meint Derek Elsworth von der Pennsylvania State University.

Regenwasser verstopfe die Gesteinsporen, sodass Gas nicht mehr entweichen könne. Der Druck im Berg würde größer und könnte sich in einer Explosion entladen.

© SZ vom 24.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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