Medizin und Ethik:Der Preis des Lebens

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Ärzte fordern eine öffentliche Diskussion darüber, bei welchen Patienten oder Leistungen gespart werden könnte.

Von Klaus Koch

Ein Arzt bewegt sich oft auf abgründigem Terrain. Auf schmalen Pfaden zwischen tiefen Kluften. Immer dann, wenn er im Krankenhaus oder in seiner Praxis einen Patienten behandelt, trifft er zugleich eine Entscheidung über Geld.

(Foto: Foto: dpa)

Manchmal geht es dabei nur um wenige Euro, doch häufig kosten Medikamente mehrere tausend Euro im Jahr. Eine Krebstherapie zum Beispiel addiert sich schnell auf 20.000 Euro, eine Transplantation leicht auf 100.000.

Und es gehört zu den Konsequenzen des laufenden Kosten-Streits im Gesundheitswesen, dass sich Mediziner zunehmend dem schleichenden Verdacht ausgesetzt sehen: Sie verweigerten bestimmten Patienten notwendige Leistungen, weil eine Behandlung zu teuer sei, und ließen einen Menschen im Extremfall sogar sterben.

"Dieses Misstrauen droht das Verhältnis von Arzt und Patient zu belasten", stellt der Internist Manfred Weber von der Universität Köln mit Sorge fest.

Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin hat in dieser Woche auf ihrem Kongress in Wiesbaden die Flucht nach vorn angetreten: Statt Ärzte solchen Verdächtigungen auszusetzen, "brauchen wir eine breite Diskussion über Rationierung", sagt Weber, der auch Vorsitzender der Fachgesellschaft ist.

"Denn die Frage, wie knappe Ressourcen verteilt werden sollen, können Ärzte nicht alleine entscheiden."

Ob der Aufruf jedoch tatsächlich auf Resonanz stößt, ist fraglich. Keine Partei möchte mit dem Vorschlag identifiziert werden, bestimmten Patienten Leistungen vorzuenthalten. "In Deutschland ist die Diskussion besonders schwierig", sagt Christian Köck von der Universität Witten-Herdecke.

Erinnerungen an Nazi-Parolen von "unwertem Leben" etwa sorgten für Berührungsängste.

Tatsächlich sind Knappheit und Zuteilung aber längst handfeste Realität für jene 85 Prozent der Deutschen, die bei gesetzlichen Krankenkassen versichert sind.

Das deutsche Kassensystem ist eine Solidargemeinschaft; die Gesunden und Besserverdienenden tragen die Kosten der Kranken und Ärmeren mit. Doch diese Solidarität hat Grenzen. Das Sozialgesetz legt fest, dass die Kassen nur Leistungen bezahlen dürfen, die "hinreichend", "notwendig" und "wirtschaftlich" sind. Der Gemeinsame Bundesausschuss, dem vor allem Ärzte und Vertreter der Krankenkassen angehören, entscheidet, was Kassenleistung wird.

Ist eine Leistung aber einmal in den Kassenkatalog aufgenommen, liegt die Entscheidung, welcher Patient sie erhält, alleine beim Arzt. "Bislang treffen Ärzte solche Entscheidungen verdeckt", erklärt der Mediziner Christian Köck, "ohne dass ihre Kriterien ersichtlich werden."

Im Fall einer öffentlichen Diskussion sollten sie daher auf unangenehme Fragen vorbereitet sein: Hat ein Arzt nur das Budget, um einem von zwei Kranken das Leben zu retten - welchen soll er retten? Oder: Wenn ein alter und ein junger Patient als Empfänger eines Organs in Frage kommen - wer soll es erhalten?

David Schwappach aus Köcks Gruppe stellt bereits seit einigen Jahren solche Fragen an Gesunde. Er erhebt die öffentliche Meinung im Internet (www.gesundheitspanel.de). Dabei zeige sich, dass "die meisten Menschen sehr klare Vorstellungen davon haben, wo sie Prioritäten setzen würden", sagt Schwappach.

Die Antworten seien durchaus "als vernünftige Grundlage für eine Diskussion geeignet". So hat die Hilfe für Schwerkranke laut Erhebung für die Mehrheit der Deutschen Priorität. Auch wenn die Betreuung das Leben gar nicht oder nur wenig verlängert, ist eine Mehrheit bereit, für die Versorgung Schwerkranker viel Geld auszugeben.

Dafür würde sie dann bei der Behandlung von leichteren Erkrankungen und bei den Ausgaben für Vorbeugung sparen.

Bei der Bewertung des Alters ist sich nach Schwappachs Schilderung die Mehrheit indes einig, dass sie im Zweifel jüngeren Patienten den Vorzug vor Älteren geben würde - wobei es durchaus unterschiedliche Schwerpunkte gibt: Eine Gruppe ist bereit, für Kinder das 10- bis 20-fache auszugeben wie für einen 80-Jährigen.

Eine andere Gruppe würde sich eher auf die 20- bis 30-Jährigen konzentrieren. Allerdings lehnt die Mehrheit fixe Altersgrenzen ab. "Wir können davon ausgehen, dass der Preis, den wir für die Verlängerung eines Lebens zu zahlen bereit sind, je nach Situation des Patienten sehr unterschiedlich sein wird", sagt Schwappach.

Auch unter Wissenschaftlern findet die Idee wenig Zustimmung, die Leistungen für Ältere radikal zu rationieren. Nach Prognosen, die Hilke Brockmann von der Universität Bremen vorgestellt hat, könnte der durch die Altersverschiebung bedingte Anstieg der Kosten im Gesundheitswesen moderat ausfallen.

Nach ihren Modellrechnungen steigen mit dem Altern der geburtenreichen Jahrgänge der Fünfziger und Sechziger Jahre die Ausgaben bis 2040 je nach Szenario um etwa 50 bis 120 Prozent.

Dass sich die steigende Zahl der Alten nicht stärker auf die Kosten auswirke, liege daran "dass nicht das Alter an sich der Grund ist, warum ältere Menschen teurer sind, sondern die Nähe zum Tod", erklärt Brockmann. Nach verschiedenen Untersuchungen fallen ein bis mehr als zwei Drittel der Gesundheitskosten, die ein Mensch während seines gesamten Lebens in Anspruch nimmt, in den letzten zwei Jahren vor dem Tod an.

Vor allem, weil sich mehr Menschen unter 80 Jahren in dieser Phase befinden als unter 40-Jährige, sind alte Menschen teurer.

Für die Idee, von einer festen Altersgrenze an auf Leistungen zu verzichten, sieht Brockmann deshalb keine Grundlage: "Das würde ohnehin nur zu Vorzieh-Effekten führen."

Gäbe es beispielsweise eine Regelung, Patienten vom 75. Lebensjahr an keine künstlichen Hüftgelenke mehr einzusetzen, müsse man damit rechnen, dass die Operation auf 74-Jährige vorgezogen würde.

Statt Leistungen für Ältere zu beschränken, schlägt sie vor, durch Änderung der Beitragsregeln "Ältere stärker an Kosten zu beteiligen".

Zu den unangenehmen Fragen gehört aber auch, ob es eine feststehende Schwelle dafür geben sollte, was es kosten darf, ein Leben um ein Jahr zu verlängern.

Auch hier beginnt die öffentliche Diskussion zurzeit. Als Beispiel dient oft die Dialyse, weil niemand auf die Idee käme, einem Nierenkranken die regelmäßige Blutwäsche zu entziehen, die ihn am Leben hält. Die Behandlung kostet etwa 50.000 Euro pro Jahr.

Für Ökonomen ist das jedoch eher die untere Grenze der Spanne, die akzeptiert wird. Andere Schätzungen laufen auf bis zu 175.000 Euro pro gewonnenem Lebensjahr hinaus, sagt Afschin Gandjour von der Universität Köln: "Letztlich ist auch das eine gesellschaftliche Entscheidung."

Entsprechend scheuten die Teilnehmer der Wiesbadener Diskussion klare Vorschläge, welche Leistung sie welchem Patienten streichen würden. Lediglich der Rechtsanwalt Leif Steinecke, selbst Empfänger einer Niere und Vorstandsmitglied im Bundesverband der Organtransplantierten, legt sich fest: Er würde "nirgendwo" streichen, sondern mehr Geld ins Gesundheitswesen fließen lassen.

"Auf diejenigen, die jetzt krank sind, wirkt jede Diskussion über Rationierung bedrohlich", sagt er.

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