Medizin:Theater in der Klinik

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In den Universitätskliniken schildern neuerdings Simulationspatienten ihre Leiden den angehenden Ärzten. Damit sollen junge Mediziner besser auf ihre zukünftigen Patienten vorbereitet werden.

Edith Schmied

Erika Schuster plagen Kreuzschmerzen. Sie kann sich kaum bewegen, stöhnend deutet sie dahin, wo es ihr weh tut. Kniebeugen? "Das kann ich nicht", jammert sie. Die 80-jährige pensionierte Bankbeamtin spielt ihre Leiden so überzeugend, dass mancher Medizinstudent nach der Prüfung von ihr wissen will: "Sind sie jetzt echt oder nicht?"

Alles nur Simulanten - neuerdings bereiten Schauspieler junge Mediziner auf ihre späteren Patienten vor. (Foto: Foto: dpa)

Sie ist nicht echt. Die aktive Seniorin gehört zu einem Team von mittlerweile 80 Simulationspatienten (SP) am Innenstadtklinikum der Universität München, die helfen, die neue Ärztegeneration besser auf die praktischen Herausforderungen ihres Berufes vorzubereiten.

Angehende Ärzte, die ihren Patienten gegenüber sitzen und Kaugummi kauen, oder die Erika Schuster auffordern muss, "schauen Sie mich an, wenn's mit mir reden", soll es nach den Vorstellungen von Martin Fischer in Zukunft nicht mehr geben.

Schutz der Gesellschaft vor inkompetenten Ärzten

Das Ziel des 41-jährigen Internisten am Münchner Universitätsklinikum Innenstadt lautet: "Wir müssen die Gesellschaft vor inkompetenten Ärzten schützen." Nach der 2002 neu formulierten Approbationsordnung für Ärzte gibt es jetzt immerhin an den meisten Medizinfakultäten problemorientierten Kleingruppenunterricht. Dabei lösen acht bis zehn Studenten weit gehend eigenständig Fälle, und der Dozent moderiert lediglich.

Neben den neuen Unterrichtsformen haben sich auch die Prüfungen geändert. Um sicherzustellen, dass jeder Student korrekt eine Krankengeschichte erheben oder bei Atemnot die Lunge richtig untersuchen kann, wurde der OSCE eingeführt.

Die Abkürzung steht für objektive strukturierte klinische Prüfung. Bei dieser Prüfungsform mit verschiedenen Stationen erfolgt die Bewertung über Checklisten, die auch von den Simulationspatienten erstellt werden. Sie lassen sich befragen, werden untersucht und bewerten danach die Leistungen der Prüflinge.

"Wir sind doch keine Fachhochschule"

"Zunächst gab es starke Bedenken, wie bei vielen Änderungen in der Medizin", sagt Fischer. Die Skepsis "banale Dinge" zu üben, manifestierte sich in Äußerungen wie "wir sind doch keine Fachhochschule".

Die OSCE mit den Simulationspatienten ist eine organisatorische Herausforderung. Aber der Aufwand lohnt sich offenbar. "Wir können Fälle kreieren und den Schwierigkeitsgrad festlegen", argumentiert die Psychologin Johanna Kretschmann, die an der Berliner Charité Simulationspatienten auf ihren Einsatz vorbereitet und ärztliche Gesprächsführungskurse für Studenten gestaltet.

Ein intensives Trainingsprogramm der Simulationspatienten wie an der Charité scheiterte in München bisher an der Infrastruktur. "Wir haben jeden Raum drei Mal besetzt", beschreibt Internist Fischer die Misere.

Vorreiter im SP-Programm waren die Privatuniversität Witten-Herdecke und als eine der ersten staatlichen Unis die Berliner Charité. Annette Fröhmel, die in Berlin das SP-Programm koordiniert, ist stolz, dass mittlerweile Simulationspatienten in die Abschlussprüfungen aller Semester und in Kurse zur Gesprächsführung integriert sind, sowie in verschiedene Fachbereiche des Regelstudienganges.

Die Münchner Universität wählte von Anfang an einen anderen Weg: "Machbare Innovationen in kleinen Schritten, aber für alle Studierenden", sagt Martin Fischer. Die Simulationspatienten kommen inzwischen in fast allen wichtigen Fächern und bei Prüfungen zum Einsatz.

Stefan Schewe hat sich intensiv darum bemüht, dass die Studenten mehr Patienten zu sehen bekommen - wenn auch manchmal nur solche, die Krankheiten nachahmen. Der 61-jährige Rheumatologe klapperte Schauspielschulen, Seniorenheime und Altentreffs ab und warb um Simulationspatienten.

"Um ein gutes Werk zu tun"

Wie Erika Schuster stellten sich viele Mitstreiter zunächst unentgeltlich zur Verfügung, "um ein gutes Werk" zu tun. "Die meisten Patienten bleiben uns treu", sagt Schewe. Die wenigen, die nur über ihre eigene Krankheit sprechen wollten, sortierte Schewe rasch aus.

Neben den Patienten aus Fleisch und Blut stehen Münchner Studenten mehr als 200 computergestützte Fallbeispiele zur Verfügung, damit sie lernen, bei Diagnose und Therapie richtige Entscheidungen zu treffen.

Damit die Ausbildung der Ärzte verbessert wird, gibt es seit 2004 den weiterführenden Studiengang Master of Medical Education (MME). "Gute Lehre fällt nicht vom Himmel", sagt Internist Fischer. Er selbst hat diese zusätzliche zweijährige Qualifikation im Oktober 2002 in der Schweiz beendet, wo es das Angebot schon länger gibt.

Auf Initiative des Medizinischen Fakultätentages wurde ein deutscher MME Studiengang initiiert, der an der Universität Heidelberg angesiedelt ist. Unter dem Motto "train the trainer" wird an sieben miteinander vernetzten deutschen Fakultäten Medizindidaktik gelehrt.

Der Etat von einer dreiviertel Million Euro kommt vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und der Heinz- Nixdorf-Stiftung. Er fließt zum Großteil in Stipendien. Die Hälfte der Studiengebühr in Höhe von 9000 Euro übernimmt die medizinische Fakultät für ihre Teilnehmer.

"Lehre gewinnt zunehmend an Bedeutung", sagt Fischer, "weil es dabei inzwischen auch ums Geld geht." Für manche Universität ist der Unterricht zur Überlebensfrage geworden, nachdem die Mittelvergabe im Bereich Forschung und Lehre leistungsorientiert erfolgt. Bern und Dresden sind laut Fischer konkrete Beispiele. "Die haben in erster Linie über die verbesserte Lehre ihr Profil geschärft."

© SZ vom 12. Juli 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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