Medizin:Sport statt Skalpell

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Etwa 650.000 Menschen in Deutschland haben ein Problem am Hals: Ihre Halsschlagader ist auf die Hälfte verengt. Doch es wird zu viel operiert.

Felicitas Witte

Etwa 650.000 Menschen in Deutschland haben ein Problem am Hals, ohne es zu merken. Ihre Halsschlagader ist auf die Hälfte verengt - meist durch eine Arteriosklerose.

Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen weist eine Verengung einer Halsschlagader auf, die operiert werden soll. (Foto: Foto: AP)

Die Karotis-Stenose, wie Ärzte die Verengung nennen, birgt eine hohe Gefahr, denn statistisch bekommen jedes Jahr 13.000 dieser 650.000 Menschen einen Schlaganfall, weil sich ein Blutgerinnsel aus der Verengung löst oder der Blutstrom zum Gehirn unterbrochen wird. Bis vor kurzem rieten viele Ärzte Patienten, die Verengung durch eine Operation beseitigen zu lassen, um Schlaganfälle zu verhindern.

Doch der Eingriff ist wohl in 95 Prozent der Fälle nicht nötig, denn mit Medikamenten und einem veränderten Lebensstil ist die Wahrscheinlichkeit für einen Schlaganfall geringer als das Risiko von OP-Komplikationen. Dies zeigt eine Studie aus Kanada, die kürzlich auf dem Internationalen Schlaganfallkongress in Wien vorgestellt wurde.

David Spence von der University of Western Ontario in Kanada hatte 468 Patienten mit KarotisStenose untersucht, die keine Beschwerden hatten. 199 wurden vor dem 1. Januar 2003 untersucht, 269 danach. Der Neurologe hatte den Stichtag gewählt, weil danach die Therapie nochmals verbessert wurde - genauere Blutdruckeinstellung, Senkung des Cholesterins, Bewegung und gesündere Ernährung. Die bessere Behandlung hatte Erfolg: Vor 2003 hatten vier Prozent der Patienten innerhalb eines Jahres einen Schlaganfall, danach knapp ein Prozent. Vermutlich werde die Karotis-Stenose zu häufig operiert, so das Fazit von Spence.

Dies scheint auch in Deutschland der Fall zu sein. 2007 wurden 13.800 Menschen diesem Befund operiert. Aus bisherigen Studien wissen Ärzte aber, dass nur bei 160 dieser Patienten ein Schlaganfall im ersten Jahr verhindert wurde. Umgekehrt heißt dies, dass 13.640 Patienten operiert wurden, bei denen auch ohne Operation kein Schlaganfall aufgetreten wäre.

Individuelle Entscheidungen notwendig

"Wenn man eine Karotisstenose hat, die keine Beschwerden macht, geht das in mehr als 90 Prozent der Fälle ohne OP gut", sagt Martin Grond von der Deutschen Schlaganfallgesellschaft. Die Stenose sei vielmehr ein Warnzeichen, dass es überall in den Blutgefäßen Verengungen geben könnte. "Die Gefahr, durch Gefäßverkalkung einen Herzinfarkt zu bekommen, ist zudem viel größer als das Schlaganfallrisiko", sagt Grond. Man müsse den ganzen Körper behandeln, nicht nur das Problem am Hals.

Welcher Patient sich operieren lassen sollte, muss individuell entschieden werden. Eine große Rolle spielt das Operationsrisiko. Bei guten Chirurgen kommt es in drei Prozent der Fälle zu einem Schlaganfall oder Todesfall innerhalb eines Monats nach der OP. Bei unerfahrenen Chirurgen beträgt das Risiko fünf Prozent oder mehr.

Wird die Verengung mit einem Katheter aufgedehnt und ein Drahtgeflecht eingelegt, kann das Risiko für Komplikationen bei unerfahrenen Ärzten bis zu zehn Prozent betragen. Demgegenüber steht das geringe Schlaganfallrisiko von weniger als einem Prozent pro Jahr, wenn der Patient auf den Eingriff verzichtet. "Wir wissen, dass vor allem die profitieren, die jünger als 65 Jahre alt sind, deren Halsschlagader zwischen 60 und 80 Prozent verengt ist und die einen stark erhöhten Cholesterinspiegel haben", sagt Grond. Auch bei Männern lohne sich eher eine Operation.

"Ich würde mich nur von Ärzten operieren oder aufdehnen lassen, die viel Erfahrung haben und die in einem Register dokumentieren, wie häufig es zu Komplikationen kommt", sagt Neurologe Grond. Ob eine Operation besser ist als ein Drahtgeflecht, soll im kommenden Jahr in einer Studie untersucht werden. Besser als jede Therapie ist es jedoch, die Gefäßverkalkung zu vermeiden: Rauchen, Übergewicht und Bluthochdruck sind die größten Risikofaktoren - Sport treiben und gesunde Ernährung beugen vor. Damit hält man sich so manches Problem vom Hals.

© SZ vom 30.09.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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