Medizin:Chirurgie im Mutterleib

Lesezeit: 4 min

Ein Bonner Kinderarzt operiert Babys noch bevor sie auf die Welt kommen, doch die Eingriffe sind umstritten.

Von Nicola Kuhrt

Das Kind im Mutterleib schien gesund, und doch war es todkrank. In der 22.Schwangerschaftswoche entdeckten Ärzte bei dem Baby von Sabine M. ein Loch im Zwerchfell. Magen, Leber und Darm drangen in die Brusthöhle ein und drückten die Lungen zusammen.

Zerbrechlich: Können Babys schon im Mutterleib operiert werden? (Foto: Foto: dpa)

Das Baby wäre nach der Geburt gestorben, weil die Lungen wegen des Drucks nicht wachsen konnten und viel zu klein zum Atmen waren. Doch Angelina ist inzwischen zwei Monate alt und kann selbstständig atmen. Dreimal musste die Kleine operiert werden - davon zweimal im Mutterleib.

Seit knapp drei Jahren operiert der Kinderarzt Thomas Kohl an der Universitätsklinik Bonn fehlgebildete Föten, die nach der Geburt nicht lebensfähig wären oder denen erhebliche Behinderungen drohen. Kohl ist der einzige Mediziner in Deutschland, der die ebenso riskanten wie umstrittenen Operationen macht.

Erst 400 Kinder weltweit

Vor kurzem hat er den 50.Eingriff vorgenommen. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass weltweit bisher nur rund 400 Kinder im Mutterleib operiert wurden.

Neben Bonn gibt es nur vier weitere Zentren, die Fetalchirurgie betreiben: In San Francisco hat ein Team Anfang der 80er-Jahre den ersten Fötus operiert, es folgten Eingriffe in Philadelphia, in Nashville und im belgischen Leuven.

Selbst im Ursprungsland USA sind fetalchirurgische Operationen bis heute nur experimentelle Behandlungsversuche. Noch fehlen wissenschaftliche Studien, die rechtfertigen, dass die schweren Eingriffe letztlich von Nutzen sind.

Besonders belastend für Mutter und Kind sind die "offenen Operationen", bei denen das Baby durch einen Schnitt in Bauch und Gebärmutter der Schwangeren hervorgeholt und dann außerhalb des Uterus behandelt wird. Viele Pränatalmediziner sehen die vorgeburtlichen Operationen kritisch.

Sie befürchten, dass es in der Folge zu einer Frühgeburt kommt. Dann müssen die Babys künstlich beatmet werden, was zu Behinderungen und Augenschäden führen kann.

Geringes Risiko?

Thomas Kohl wehrt sich gegen diesen Vorwurf: "Vielen Kollegen ist noch nicht bewusst, dass die meisten Kinder nach fetalchirurgischen Operationen heutzutage jenseits der 30. Schwangerschaftswoche geboren werden", sagt er. "Zu diesem Zeitpunkt ist das Risiko für zusätzliche Schäden gering."

Um das Frühgeburtsrisiko weiter zu senken, hat Kohl gemeinsam mit Kollegen aus San Francisco und Münster eine minimal-invasive Operationstechnik entwickelt. Die Schnitte durch Bauch und Gebärmutter sind nur wenige Millimeter lang.

Das soll beide Patienten entlasten, die Mutter und den Fötus, weil die Durchblutung von Gebärmutter und Mutterkuchen besser erhalten bleibt. Grundlage der Technik ist ein spezielles Operationsgerät, ein Fetoskop.

Es ist so dünn wie eine Kugelschreibermine und wird durch ein kleines Röhrchen im Bauch der Mutter bis in die Gebärmutter geschoben, bei komplizierten Eingriffen setzt Kohl bis zu drei dieser Röhrchen ein.

Bis in den Mund des Fötus

Wenn ein Kind, so wie die kleine Angelina, ein Loch im Zwerchfell hat, tastet sich Kohl mit dem Fetoskop bis in die Luftröhre des Fötus vor. Dort bläst er einen Mini-Ballon auf, der die Luftröhre verschließt.

"Die Lunge jedes Ungeborenen produziert ständig Wasser. Wegen des Ballons kann es nicht mehr abfließen, sodass sich ein Druck aufbaut, der die Lungen zum Wachsen anregt", erklärt Kohl.

"Wir ringen um jeden Milliliter." Bis zu drei Wochen bleibt der Ballon in seiner Position, bei einem zweiten Eingriff wird er dann entfernt, denn bei der Geburt müssen die Atemwege wieder frei sein.

45Ungeborene hat Kohl in seinen 50Operationen behandelt. Neben Kindern mit einem Loch im Zwerchfell waren auch Babys mit Herzklappenfehler, Kehlkopfverschluss, offenem Rücken und verschlossenen Harnröhren darunter.

Der Arzt hat nur Föten behandelt, deren Schäden im Mutterleib so erheblich waren, dass sie ohne Eingriff gestorben oder schwer behindert zur Welt gekommen wären. 26 dieser Kinder konnte er helfen.

Keine Garantie fürs spätere Leben

Doch auch wenn die Operation glückt: Dass ein Kind fortan ein Leben ohne Einschränkungen führen kann, lässt sich nicht garantieren. Kohl operiert deshalb nur Föten, deren Eltern sich entschieden haben, das Kind auf die Welt zu bringen, auch wenn es behindert ist.

In diesen Fällen muss die Ethikkommission zustimmen und die Eltern eine 13 Seiten starke Einverständniserklärung abgeben. "Ich wollte das Gefühl haben, alles für mein Kind getan zu haben", sagt Sabine M. "Ich würde es immer wieder tun."

Wie groß die Erfolgsaussichten sind, ist jedoch ungewiss. Denn die bisher vorliegenden Studien, in denen Fetaloperationen in den USA ausgewertet wurden, werden unterschiedlich bewertet. So ergab eine Studie, die 2003 im New England Journal of Medicine publiziert wurde, dass Föten mit einem Loch im Zwerchfell nach einer Operation im Mutterleib die gleichen Überlebenschancen haben wie ohne den Eingriff.

In diese Auswertung seien aber vornehmlich Kinder einbezogen worden, die ohnehin eine eher günstige Prognose hatten, sagt Kohl. Er selbst operiere nur Kinder mit dieser Fehlbildung, die ohne den Eingriff so gut wie keine Überlebenschance hätten. Vier der sechs todgeweihten Kinder, die er operiert hat, überlebten.

Klarheit erst im Jahr 2008

Auch bei Kindern mit offenem Rücken ist der Nutzen der frühen Operation nicht sicher belegt. Bei dem auch Spina bifida genannten Leiden ist das Rückenmark nicht vollständig von den Wirbeln umschlossen.

Den Kindern drohen Lähmungen der Beine, Inkontinenz und Fehlbildungen des Gehirns, die nach der Geburt nicht selten zu lebensgefährlichen Regulationsstörungen von Atmung, Kreislauf und Schutzreflexen führen.

Den bisherigen Studien zufolge sind die Lähmungen nach einer Operation vor der Geburt jedoch genauso stark ausgeprägt wie bei den nicht operierten. Allerdings gibt es Hinweise dafür, dass die Gehirnfehlbildungen milder ausfallen. Klarheit soll eine randomisierte Vergleichsstudie des amerikanischen National Institute of Child Health bringen. Die Auswertung soll 2008 vorliegen.

Bis dahin wollen viele deutsche Mediziner lieber abwarten. "Die Frage ist doch, wie gut die Verbesserung für das Kind ist. Das muss zunächst geklärt sein", sagt Tobias Schuster von der Kinderchirurgischen Klinik in Augsburg.

Auch Norbert Teig von der Neugeborenen-Station der Universität Bochum ist vorsichtig: "Die Idee der fetalen Chirurgie klingt bestechend. Aber man muss äußerst sorgsam beobachten, welche der vielen Möglichkeiten den Kindern wirklich einen Vorteil bringt."

© SZ vom 6.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: