Medikamentensicherheit:Späte Nebenwirkungen gefährden Kinder

Lesezeit: 2 min

Kinder nehmen Medikamente anders auf als Erwachsene. Das kann verheerende Folgen haben, die sich häufig erst spät zeigen.

Werner Bartens

Wenn Kinder krank sind, reicht es nicht, Tabletten von Erwachsenen dem geringeren Körpergewicht anzupassen. Kinder nehmen Medikamente anders auf, ihre Lebern und Nieren sind aktiver als bei Erwachsenen. Das kann verheerende Folgen haben.

Die Forschung zur Medikamentensicherheit bei Kindern steckt noch in den Anfängen. (Foto: Foto: dpa)

Doch die Forschung zur Medikamentensicherheit bei Kindern steckt noch in den Anfängen. Eine Studie in der Septemberausgabe des Fachmagazin Pediatrics (online) zeigt, dass viele Nebenwirkungen erst bekannt werden, wenn die Medikamente schon auf dem Markt sind.

Kinderärzte um Brian Smith von der Duke University in North Carolina haben 130 Fälle nachgezeichnet, in denen zusätzliche Warnhinweise nötig wurden. In den USA schreibt die Kontrollbehörde FDA seit 2002 vor, Arzneien nach der Marktzulassung genauer zu überprüfen. Dafür wird der Patentschutz verlängert.

Bei Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI musste auf eine erhöhte Suizidgefahr bei Jugendlichen hingewiesen werden, bei schmerzstillenden Opioid-Pflastern auf Unverträglichkeitsreaktionen, die bis zum Tode führten. Das unter dem Namen Ritalin bekannte Methylphenidat erhöhte das Risiko für psychiatrische Störungen.

"Wenn ein Mittel klinisch getestet wurde, heißt das nicht, dass man sein Nebenwirkungsprofil kennt", sagt Danny Benjamin, der an der Studie beteiligt war. "Bevor es den verlängerten Patentschutz gab, wurden Mittel für Kinder gar nicht systematisch überprüft."

Die Europäische Union hat erst 2007 eine Verordnung in Kraft treten lassen, die Kinder besser schützen soll. Obwohl Ärzte wissen, dass der wachsende Organismus anders reagiert als der ausgewachsene, sind viele Medikamente nicht für Kinder getestet.

In Kinderkliniken liegt die Rate der unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei sechs Prozent, wenn nicht zugelassene Medikamente verwendet werden. Werden Arzneien verabreicht, die für diese Indikation auch zugelassen sind, liegt die Rate der Nebenwirkungen bei 3,9 Prozent.

"Je kränker sie sind, desto schlechter sind Medikamente für Kinder untersucht", beklagt Hannsjörg Seyberth, ehemaliger Direktor der Universitätskinderklinik Marburg. Im Ernstfall würden Kinder so unfreiwillig zu Versuchskaninchen. Gründlich getestet seien Mittel gegen banale Erkrankungen wie Husten, Schnupfen, Heiserkeit. "Das ist ja auch ein großer Markt", sagt Seyberth.

Für Kinder mit seltenen oder schweren Leiden wie Herzerkrankungen, Epilepsie oder Krebs, die oft im Krankenhaus sein müssen, wurden jedoch 50 bis 80 Prozent der Arzneien nicht gründlich geprüft.

Auch in Europa wurde die Verordnung zum Schutz der Kinder nur mit Hilfe eines massiven Anreizes möglich: Den Arzneimittelherstellern wurde ein um sechs Monate verlängerter Patentschutz in Aussicht gestellt. In den USA wurde dies bereits ausgenutzt. Der Pharmakonzern Eli-Lily etwa hat das Antidepressivum Prozac auch an Kindern getestet. Den geringen Ausgaben für diesen Test standen Gewinne von mehreren hundert Millionen Dollar durch den verlängerten Patentschutz für den Arznei-Bestseller gegenüber.

© SZ vom 02.09.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: