Medienkrimi in Frankfurt:Wer wann was wusste

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Wie ein Todesfall nach einer Gentherapie zunächst verheimlicht und bei Wikipedia anonym öffentlicht gemacht wurde - für 16 Minuten.

Nicola Siegmund-Schultze

Zufall? Vielleicht. Jedenfalls trennten nur wenige Minuten die Ausführungen der Referenten beim Internistenkongress in Wiesbaden am 25. April: Erst lieferte Dieter Hoelzer von der Universitätsklinik Frankfurt die Hiobsbotschaft, einer der beiden von seiner Arbeitsgruppe mittels Gentherapie behandelten Patienten sei seit zwei Wochen tot (SZ vom 27.4.).

Kurz darauf betonte Christopher Baum, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Gentherapie, Berichte über negative Folgen der Gentherapie würden der Forschung nicht schaden und dürften deshalb nicht zurückgehalten werden.

Wie passt das zusammen? Warum haben Hoelzer und seine Kooperationspartner am Frankfurter Georg-Speyer-Haus nicht am 10. April, gleich nach dem offenbar überraschenden Tod des 28-jährigen Mannes aus Düsseldorf die Öffentlichkeit informiert? Und warum wurden die bei einer Pressekonferenz am 5. April in Frankfurt versammelten Medien im Unklaren darüber gelassen, dass ausgerechnet der Patient im Krankenhaus lag, über dessen positive Blutwerte nach der Gentherapie gerade berichtet wurde?

Die beiden Patienten, an denen die neuartige Gentherapie erprobt wurde, litten an Chronischer Granulomatose (CGD), einer Erbkrankheit, die zu Immundefekten mit lebensbedrohlichen Infektionen führt. Erst nach der Pressekonferenz habe sich der Gesundheitszustand des Mannes rasant verschlechtert, zitiert die Neue Zürcher Zeitung Hoelzers Mitarbeiterin Marion Ott (online 3. Mai 2006).

Anonyme Information von Journalisten-Account

Die Geschichte liest sich inzwischen wie ein Medienkrimi. Schon am 12. April hat ein Unbekannter einen Artikel über Gentherapie in der Datenbank Wikipedia um den Satz ergänzt, einer der beiden Patienten sei am 12.4. aus unklaren Gründen gestorben. Nur 16 Minuten lang stand dieser Satz dort. Dann wurde er herausgenommen mit der Bitte an den Schreiber, die Quelle für seine Information zu nennen. Eine Antwort kam nicht.

"Jeder Wikipedia-Nutzer wird aufgefordert, die Richtigkeit und Belegbarkeit der Informationen zu prüfen und eventuell Korrekturen vorzunehmen", sagt Mathias Schindler, Administrator bei Wikipedia. Durch Quellenangabe wolle man das Risiko für Falschmeldungen reduzieren. Frühe Versionen eines Artikels bleiben bei Wikipedia längere Zeit abrufbar.

Sensibilisiert für mögliche Falschmeldungen war man bei Wikipedia, weil kurz zuvor Journalisten des Media-Service-Center RM (MSCRM), einer Fernsehproduktionsgesellschaft in Mainz, die auch für SAT1 arbeitet, kritisiert hatten, Wikipedia schütze seine Nutzer nicht ausreichend vor Vandalismus. Die Information vom 12. April, dass ein Patient der CGD-Studie gestorben sei, stammt von einem Account von MSCRM, so viel lässt sich zurückverfolgen.

Noch am 18.4. hatte SAT1 in seiner Regionalsendung "17:30 live" über die Frankfurter Gentherapie berichtet und Hoelzer zu Wort kommen lassen. Im Vorgespräch habe Hoelzer den Tod des Patienten erwähnt. Es sei aber besprochen worden, diese Information aus dem Beitrag auszuklammern, da die Todesursache unklar war, so ein Mitarbeiter des Senders. Erst in einer Talkrunde am 24.4. bei "17:30 live" habe Hoelzer das Ableben des Patienten erwähnt.

Noch ist unklar, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Tod des Patienten und der Gentherapie gibt. In der kommenden Woche, sagt Studienleiter Hoelzer, würden alle Informationen zusammengetragen und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Etwa zwei Jahre lang hatte der junge Mann ebenso wie ein zweiter Patient offenbar von der Behandlung profitiert. Erstmals seit seiner Kindheit war er über Monate frei von schweren Infektionen.

Im Januar 2006 entzündete sich nach einer Zahnoperation sein Kiefer. Als die Ärzte glaubten, die Infektion besiegt zu haben, gab es Komplikationen mit der Milz, die entfernt werden musste. Dann bekam der Patient eine Dickdarmentzündung. Diese führte zum Durchbruch der Darmwand, Keime gelangten in Bauchhöhle und Blut. Der Mann starb schließlich an einer Blutvergiftung mit Organversagen.

Gentherapeutisch veränderte Zellen im Leib

In Deutschland dürfen nur Patienten an Studien zur Gentherapie teilnehmen, die lebensbedrohlich krank sind und keine Behandlungsalternative haben. Deshalb muss der Todesfall nicht im Zusammenhang mit der Gentherapie stehen, erläutert Klaus Cichutek, Vorsitzender der Kommission Somatische Gentherapie bei der Bundesärztekammer. Der jetzt gestorbene Patient hatte zum Zeitpunkt seines Todes noch gentherapeutisch veränderte Zellen in seinem Körper, erklärte Hoelzer.

Möglicherweise seien diese nicht mehr funktionsfähig genug gewesen, um wie in den Monaten zuvor Keime im Körper abzutöten. Menschen mit Chronischer Granulomatose fehlt ein Enzymkomplex, der in den Fresszellen des Immunsystems Sauerstoff in Sauerstoffradikale umwandelt und damit den Erregern den Garaus macht. Ist diese Waffe stumpf, schleppen die Zellen die Keime durch den Körper, statt sie zu killen.

Hoelzer ist vorsichtig geworden. "Woran der Patient gestorben ist, wissen wir inzwischen. Jetzt erwarten wir Aufschluss darüber, wie es zu diesem Krankheitsgeschehen kam. Und wir müssen bis zur vollständigen Aufklärung auch in Betracht ziehen, dass sich in den gentherapeutisch veränderten Zellen Vorgänge abgespielt haben könnten, die für den Patienten ungünstig sind."

© SZ vom 10. Mai 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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