SZ: Der Sohn des wegen Tierquälerei vorbestraften "Hühnerbarons" Anton Pohlmann plant in Westböhmen eine Legebatterie mit 1,8 Millionen Hühnern. Nun haben mehr als 200 deutsche und tschechische Ärzte vor Gesundheitsgefahren durch die Agrarfabrik gewarnt. Sind ihre Bedenken berechtigt?
Gefahr von Allergien
Hartung: Tatsächlich finden sich in Tierställen große Mengen an Stoffen, die allergisierend wirken können - und zwar sehr viel konzentrierter als in der Umgebung. Auch haben einige dieser Stoffe mit Sicherheit ein krank machendes Potenzial. Man weiß, dass Arbeiter in den Ställen häufig an Atemwegsbeschwerden wie Bronchitits oder auch der "Farmerlunge" leiden. Und schließlich sind auch bei den Tieren selbst die Atemwege häufig krankhaft verändert.
SZ: Seit der so genannten Morbus-Studie von 1992 ist zudem bekannt, dass in ländlichen Gebieten mit einer Vielzahl an Mastbetrieben - wie Cloppenburg und Vechta - mehr Kinder an Asthma und Atemwegsproblemen leiden als in den niedersächsischen Großstädten. Sollte das nicht Warnung genug sein?
Die Morbus-Studie
Hartung: Das ist umstritten. Bei der Morbus-Studie handelte es sich nur um eine Befragung der niedergelassenen Kinderärzte, nicht um eine Messung im engeren Sinne. Es fehlen uns derzeit noch experimentelle Befunde darüber, wie und wie weit sich allergene Substanzen aus Stallanlagen ausbreiten.
Zehntausende von Keimen pro Stunde
SZ: Studien zufolge belasten 40 000 Hähnchen die Luft pro Stunde mit 75 Milliarden Keimen. Man kann sich schon vorstellen, dass davon noch ein paar in den umliegenden Wohnhäusern ankommen.
Hartung: Dass Milliarden von Keimen in solchen Anlagen entstehen, ist sicherlich richtig. Aber dabei handelt es sich um Keime, die nicht krank machen. Und wenn sie in die Umwelt gelangen, sterben ohnehin die meisten ab. Nach 250 Metern in der Außenluft wird in der Regel der übliche atmosphärische Gehalt an lebenden Keimen erreicht. Wie viele abgestorbene Partikel übrig bleiben, dazu gibt es keine Daten.
Der Wind als Transportmittel
SZ: Neben den abgestorbenen Keimen bleiben aber noch ihre gesundheitsschädlichen Toxine und auch Viren, Pilze und Sporen. Und die können vom Wind kilometerweit getragen werden.
Hartung: Für Einzelstoffe in Einzelfällen gilt das sicher. Den Rekord halten die Viren, die die Maul- und Klauenseuche verursachen. In den 70er-Jahren wurden sie von einer britischen Insel auf eine andere, 50 Kilometer entfernte Insel getragen, obwohl es nachweislich keinen Verkehr zwischen beiden Inseln gab. Diese speziellen Viren spielen in Hühnerställen und beim Asthma aber keine Rolle.
SZ: Das heißt, man weiß bis heute nicht, wie weit man beim Bau solcher Anlagen Abstand von Wohnhäusern halten sollte?
Abstand zu Hühnerhaltungsbetrieben nicht festgelegt
Hartung: Derzeit wissen wir lediglich, wie die Konzentrationen an Keimen und Stäuben in den Ställen sind. Dazu haben wir eine europaweite Untersuchung für die EU gemacht. Auf Grund von bodennahen Ausbreitungs-Rechenmodellen verfügen wir auch über ganz gute Anhaltspunkte, wie weit die Stoffe dann transportiert werden.
SZ: Und wie weit?
Hartung: Das ist für jeden Stall anders, weil es von der Größe der Betriebe abhängt, von der gehaltenen Tierart und von der Lüftung im Stall. Auch braucht man für eine genaue Berechnung Wetterdaten, die Auskunft über die Verteilung der Windrichtungen im Umfeld des Stalls geben. Kürzlich haben wir die Ausbreitung der Stoffe aus einer großen Schweineanlage berechnet und sind auf 600 bis 1000 Meter gekommen. Dabei spielen aber die meteorologischen Bedingungen eine ganz entscheidende Rolle: Bei einer Inversionswetterlage zum Beispiel können sich die Partikel auf eine bodennahe Luftschicht auflagern und dann sehr viel weiter getragen werden.
SZ: Auch außerhalb eines so errechneten Sicherheitsabstands bleibt es aber für diejenigen Anwohner, die schon unter einer Allergie leiden, problematisch.
Hartung: Ja, das ist letztlich eine politische Frage. Der Gesetzgeber muss entscheiden, wie weit ein landwirtschaftlicher Betrieb vom Wohnhaus eines Allergikers entfernt sein muss, um diesen zu schützen. Das kann ich nicht beantworten, ich kann nur die Daten liefern.
Gegen die Angst der Bevölkerung
SZ: Verstehen Sie denn die Ängste der Bevölkerung, die sich in Bürgerinitiativen gegen den Bau von solchen Großanlagen in ihrer Nachbarschaft wehrt?
Hartung: Ja, sehr gut. Deshalb versuchen wir auch, Licht in dieses Dunkel zu bringen. Erfreulicherweise unterstützt das niedersächsische Landwirtschaftsministerium unsere Untersuchungen.
SZ: In manchen Regionen - vor allem an der Nord- und Ostseeküste - entstehen derweil zahlreiche neue Betriebe mit Abertausenden von Tieren. Sollte man nicht erst diese Untersuchungen zu Ende bringen, bevor man fleißig weiterbaut?
Hartung: Das wäre tatsächlich sinnvoll. Aber man muss natürlich auch die Interessen der Stallbetreiber verstehen. Tierhaltung ist ein wichtiger Wirtschaftszweig.
Die Fragen stellte Christina Berndt