Lebenskünstler:Bärchen im Weltall

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Sie sehen aus wie knubbelige Gummibären, aber Bärtierchen sind richtig hart im Nehmen. Selbst einen Ausflug ins All überstehen sie - trotz Vakuum und Strahlung.

Wiebke Rögener

Schweine im Weltall gab's nur in der Muppet-Show. Bärtierchen dagegen kamen jetzt von einer erfolgreichen wissenschaftlichen Mission aus dem All zurück.

Bärtierchen (Tardigrada) haben sogar den Ausflug in den Weltraum überlebt. (Foto: Foto: Marie Lemloh/Karl-Heinz Hellmer)

Forscher um den Biologen Ralph Schill von der Universität Stuttgart hatten die etwa einen Millimeter großen mehrzelligen Lebewesen im vergangenen Jahr vom Weltraumbahnhof Baikonur aus mit der Mission FOTON-M3 auf die Reise geschickt.

Nachdem die Tierchen den lebensfeindlichen Verhältnissen des Weltraum ausgesetzt waren, sind sie nun wieder in Stuttgart eingetroffen, und die Forscher stellten fest: Vakuum hin, kosmische Strahlung her - ein merklicher Anteil der winzigen Organismen kam lebend zurück. "Damit haben zum ersten Mal Tiere Weltraumbedingungen überlebt", sagt Schill.

Bärtierchen, die unter dem Mikroskop etwas verunglückten Gummibärchen ähneln, gibt es fast überall: im Meer, im Süßwasser und auf dem Land, sofern sie dort einen dünnen Wasserfilm vorfinden - etwa in Moospolstern.

Keine Probleme mit Trockenzeiten, Hitze oder Kälte

Trockenzeiten überstehen sie ebenso problemlos wie große Hitze oder Kälte. Sie bilden dann ein tönnchenförmiges Dauerstadium fast ohne jede Lebensregung. Sobald die Umweltbedingung sich bessern, wachen sie innerhalb von einer knappen halben Stunde auf und krabbeln wieder auf ihren acht kurzen, dicken Beinen umher.

Das Forscherteam um Ralph Schill und seinen schwedischen Kollegen Ingemar Jönsson von der Universität Kristianstad wollte nun wissen, ob die widerstandfähigen Winzlinge auch im Weltraum überleben. Zehn Tage lang umkreisen zwei Arten von Bärtierchen - eine aus Deutschland, eine aus Schweden - die Erde in 270 Kilometer Höhe.

Anders als 1957 die berühmte russische Weltraumhündin Laika oder die Affen, die die Amerikaner bald darauf als Astronauten ausschickten, waren die Bärtierchen nicht in einer Weltraumkapsel geschützt, sondern in dem Modul BIOPAN-6 dem offenen Weltraum ausgesetzt.

Manche von ihnen mussten, von verschiedenen Filtern abgeschirmt, nur Vakuum und Schwerelosigkeit ertragen, andere zusätzlich die Weltraumstrahlung in unterschiedlicher Intensität.

Das Vakuum allein, das zu extremer Austrocknung führt, machte den Bärtierchen kaum etwas aus. Dagegen dezimierte die Strahlung im All, die sich aus ultraviolettem Sonnenlicht, Gammastrahlung und dem Teilchenhagel der kosmischen Strahlung zusammensetzt, die Besatzung von BIOPAN-6 erheblich.

Unterschiedlich robust

Dabei erwiesen sich die beiden Arten von Bärtierchen als unterschiedlich robust: Die deutschen ( Milnesium tardigadum) ertrugen das UV-Licht recht gut, während ein Großteil der schwedischen Verwandten ( Richtersius coronifer) einging.

Einige wenige Exemplare von Milnesium tardigadum überstanden sogar die volle, ungefilterte Weltraumstrahlung: Etwa jedes fünfzigste dieser Bärtierchen ließ sich danach wiederbeleben. (Current Biology, Bd.18, Nr.17, 2008).

Bisher war nur bekannt, dass manche Bakterien und Flechten derart harsche Bedingungen überstehen können.

Gerda Horneck, inzwischen pensionierte Expertin für extraterrestrische Biologie beim Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) in Köln, schickte seit den Apollo-Missionen der siebziger Jahren immer wieder solche Lebensformen ins All und stellte fest: Ein merklicher Anteil überlebt Kälte, Vakuum und Strahlung.

Diese Ergebnisse bestärkten Horneck in ihrer Vermutung, dass das Leben auch auf anderen Himmelskörpern entstanden sein könnte und womöglich mit Meteoriten durch den Weltraum reist.

"Das Experiment zeigt, wie weit wir die Grenzen für Leben stecken können", kommentiert Horneck die Mission der Bärtierchen, an der auch das DLR beteiligt war. "Das ist besonders wichtig, wenn wir uns damit beschäftigen, wo anderswo im Sonnensystem Lebensformen existieren könnten."

Ein Bärtierchen mit Eiern (Foto: Foto: Andy Reuner)

Allerdings dürfe man aus diesen Versuchen nicht schließen, dass sich Bärtierchen für den Transport von Lebenskeimen zwischen Planeten eignen. "Das halte ich für reine Spekulation", betont die Weltraumbiologin.

Die Belastungen beim Herausschleudern aus der Atmosphäre, etwa durch einen Kometen, oder beim Einschlag auf einen anderen Himmelskörper dürften die Tiere, anders als Bakterien, kaum überleben, vermutet sie.

"Instant-Zellen für Weltraumexperimente"

Auch Schill glaubt nicht daran, das Bärtierchen ungeschützt Langzeitflüge durch den Kosmos ertragen. "Unsere Versuchstiere waren gerade mal zehn Tage im All, und nur zwei Prozent haben die harten Weltraumbedingungen überlebt", sagt er. Keine Chance also, dass die kleinen Bären eine jahrelange Reise zu fremden Planeten überstehen.

Schills Interesse gilt anderen Fragen. Vor allem möchte er ergründen, wie die Bärtierchen es anstellen, Kälte, Vakuum und Strahlung zu trotzen, und welche Gene und Enzyme daran mitwirken, dass sie so problemlos einschrumpeln und wieder auferstehen.

"Das wäre nützlich zu wissen, wenn man beispielsweise für die Krebsforschung Gewebeproben so einfrieren will, dass dabei die Lebensfähigkeit der Zellen erhalten bleibt", erläutert Schill. Auch die Tiefkühllagerung von Eizellen oder Spermien ließe sich verbessern, hofft er.

Biologische Experimente im All, etwa auf der Weltraumstation ISS, könnten ebenfalls von den Überlebenskünsten der Bärtierchen profitieren. Bisher müssen für solche Arbeiten Zellkulturen mitgeführt werden, die aufwändig zu pflegen sind, auch wenn kein Experiment läuft.

"Künftig könnten Wissenschaftler eine Dose getrockneter Bärtierchen mitnehmen. Bei Bedarf wird dann einfach Wasser hinzugefügt, und fertig sind die Zellen für alle möglichen Versuche", schlägt Schill vor. "Man hätte damit sozusagen Instant-Zellen für Weltraumexperimente."

© SZ vom 10.09.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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