Krebszellen:Der Feind des Teufels

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Auf der australischen Insel Tasmanien verbreitet sich unter Raubtieren eine rätselhafte Krebskrankheit wie eine Seuche. Den Tieren wird ihr Essverhalten zum Verhängnis.

Birgit Herden

Nicht der Mensch ist des Teufels Untergang; es sind seine rüden Essmanieren. Seit rund zehn Jahren breitet sich ein unheimlicher Gesichtskrebs unter den Beutelteufeln auf der australischen Insel Tasmanien aus.

Er hat in manchen Gebieten schon 80 Prozent der Tiere getötet. Nun haben Wissenschaftler endlich die Ursache für die rasante Verbreitung der Krebskrankheit gefunden: Es sind wilde Raufereien um die Beute.

Zwar geht der Tasmanische Teufel am liebsten allein auf die Pirsch. Doch wenn er etwas erlegt hat, lockt das schnell bis zu einem Dutzend weiterer Raubbeutler an. Dann kämpfen die kleinen, schwarzen Tiere unter kilometerweit hörbarem Gekreische mit wilden Drohgebärden und weit aufgerissenen Mäulern um die besten Stücke.

Hier, und auch bei den heftigen Kämpfen um die Gunst der Weibchen, nimmt das Unheil seinen Lauf: Durch die ständigen Bisse vornehmlich ins Gesicht werde der Gesichtskrebs übertragen, wie Forscher vom tasmanischen Umweltministerium jetzt berichten ( Nature, Bd. 439, S. 549, 2006).

Die erkrankten Beutelteufel bieten bald einen grotesken, erbarmungswürdigen Anblick: Die Krebsgeschwulste breiten sich häufig bis in die Augenhöhlen hinein aus und drücken manchmal sogar die kräftigen Zähne der Räuber aus dem Gebiss. Zunehmend behindern die Geschwüre am Hals und im Gesicht die Tiere beim Fressen, die meisten sterben binnen sechs Monaten an Auszehrung.

Wie eine Seuche

Der Gesichtskrebs des Tasmanischen Teufels ist eine biologische Kuriosität und galt bislang als Rätsel. Damit eine Körperzelle entartet, müssen viele kleine, zufällige Schäden zusammentreffen, die die strengen Sicherungssysteme des Körpers gegen unkontrolliertes Wachstum außer Kraft setzen.

Zudem werden Tumorzellen in den meisten Fällen vom Immunsystem erkannt und beseitigt. Aus diesem Grund tritt Krebs bei Tier und Mensch vor allem im hohen Alter auf. Bekannt sind Tumore deshalb vor allem von Haustieren. "Unter Wildtieren ist Krebs selten, weil sie oft nur einen Bruchteil ihrer möglichen Lebensspanne erreichen", sagt Johannes Hirschberger, Tumorexperte an der Medizinischen Tierklinik der Universität München.

Die Tasmanischen Teufel haben in freier Wildbahn normalerweise eine Lebenserwartung von etwa fünf Jahren. "Derzeit sieht man aber selten ein Tier, das älter als drei Jahre ist", so Billie Lazenby vom wissenschaftlichen Überwachungsteam in Tasmanien.

Weshalb sich der ungewöhnliche Gesichtskrebs plötzlich wie eine Seuche unter jungen Wildtieren ausbreitet, wurde den tasmanischen Forschern bei einem genaueren Blick ins Erbgut der Tumorzellen klar. Sie untersuchten Krebszellen, die sie im Laufe eines Jahres im gesamten Ostteil der großen Insel kranken Teufeln entnommen hatten.

Normalerweise besitzen die Beuteltiere 14Chromosomen. Aber bei den entarteten Tieren waren es nur 13 - und die sahen unter dem Mikroskop auch noch sehr lädiert aus.

Das Erstaunliche ist, dass alle Krebszellen von allen Tieren exakt die gleichen Chromosomenveränderungen aufwiesen; es fanden sich keinerlei Anfangs- oder Übergangsstadien. Demnach handelt es sich immer um ein und denselben Tumor: Offenbar breitet sich eine entartete Zelllinie wie ein Parasit unter den Beuteltieren aus. Demnach können die Zellen, wenn sie in die Bisswunden der Beuteltiere gelangen, in ihrem neuen Wirt Fuß fassen und weiter wuchern.

Dass Krebs ansteckend sein kann, ist grundsätzlich keine neue Entdeckung. In fast allen anderen Fällen aber sind Viren die Ursache dafür. So führen manche Papilloma-Viren bei Frauen zu Gebärmutterhalskrebs. Die Erreger werden durch Geschlechtsverkehr übertragen, nisten sich im Körper ein und können dann einen Prozess in Gang setzen, der Jahre später entartete Zellen hervorbringt.

Eine direkte Übertragung von entarteten Zellen aber war bisher nur von einer einzigen Krankheit bekannt: dem Sticker-Sarkom, das unter Hunden durch Sexualkontakte übertragen wird. "Diesen Krebszellen fehlen die Oberflächenmarker, an denen sie der Körper normalerweise als fremd erkennen würde", sagt Hirschberger. Deshalb werden sie vom Immunsystem nicht bekämpft.

Auf ähnliche Weise könnte den Tasmanischen Teufeln ihre nahe Verwandtschaft untereinander zum Verhängnis werden: Weil ihre genetische Vielfalt durch jahrelange Inzucht gering ist, stoßen sie die Zellen ihrer Artgenossen nicht so leicht ab - und damit auch die Krebszellen nicht. Ob der größte noch lebende Raubbeutler noch zu retten ist oder ob er das Schicksal des ausgestorbenen Tasmanischen Tigers teilen wird, ist ungewiss.

Als Soforthilfe haben australische Biologen vor kurzem auf einer unzugänglichen Halbinsel alle krebskranken Tiere getötet. Den einzigen Zugang über eine Landbrücke wollen sie nun gegen neue Einwanderung kranker Beutelteufel abschotten, um wenigstens eine Population des nur in Tasmanien beheimateten Raubtiers vor den parasitischen Krebszellen zu bewahren.

© SZ vom 2.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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