Krebsstudie:Forscher und Phantast

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Nach der Aufregung um die Stammzell-Lügen des Südkoreaners Hwang Woo Suk hat sich nun auch ein norwegischer Krebsforscher mehr als Prophet denn als Wissenschaftler entpuppt.

Mitte Oktober hatte der Epidemiologe Jon Sudbø vom Radiumhospitalet in Oslo in der angesehenen Fachzeitschrift Lancet eine Studie zum Einfluss von Schmerzmitteln auf das Krebs- und Herzinfarktrisiko veröffentlicht. Demnach konnten Menschen das Risiko für Mundkrebs auf die Hälfte senken, wenn sie Medikamente wie Paracetamol über lange Zeit einnahmen.

Das sollte auch für Raucher gelten, die von der seltenen Krebskrankheit am häufigsten betroffen sind. Sudbø gab an, dass er die Daten der Patienten mit Mundkrebs, auf denen seine Schlussfolgerungen basierten, dem norwegischen CONOR-Register entnommen habe. Doch: Das Register war zu dem Zeitpunkt, als die Patienten an Krebs erkrankten, noch gar nicht geöffnet worden. Das erregte verständlicherweise Verdacht.

Alles Schwindel

Tatsächlich zeigte sich nun: Jon Sudbø hat die Daten seiner 908 angeblichen Versuchspersonen frei erfunden. "Er hat sich alles ausgedacht: Namen, Diagnosen, Geschlecht, Gewicht, Alter, Medikamentengebrauch", sagte Stein Vaaler, einer der Direktoren des Radiumhospitalet. "Jeder Patient in dieser Veröffentlichung ist Schwindel."

Besonders viel Phantasie hat der 44-jährige Sudbø dabei allerdings nicht bewiesen. So gab er allein 250 seiner imaginären Probanden denselben Geburtstag.

"Wir können nicht glauben, was passiert ist und warum er es tat", sagt Vaaler fassungslos. Auch die Koautoren der Lancet-Publikation zeigten sich geschockt. Offenbar hat außer Sudbø selbst niemand von dem Betrug gewusst - auch Sudbøs Ehefrau und sein Zwillingsbruder nicht, die beide mit ihm zusammengearbeitet haben.

Das Radiumhospitalet lässt nun alle Forschungsarbeiten des in Ungnade gefallenen Wissenschaftlers durch eine Kommission vom Karolinska-Institut in Stockholm untersuchen. 38 Artikel hatten Jon Sudbø in den vergangenen acht Jahren zu einem international angesehenen Wissenschaftler gemacht. Sudbø hat sich bisher nicht öffentlich zu den Vorwürfen geäußert. Er ist derzeit krankgeschrieben. Eine Sprecherin des Radiumhospitalet sagte jedoch, dass er die Fälschungen zugegeben habe.

Der Chefredakteur des Lancet, Richard Horton, sagte, er wolle die Koautoren der Studie um Erlaubnis bitten, die Veröffentlichung zurückzuziehen. Die Fälschung sei eine "schreckliche persönliche Tragödie" Sudbøs, so Horton. Er könne allerdings nicht verstehen, weshalb die 13 Koautoren den Schwindel nicht durchschaut hätten. "Dieser Fall ist einzigartig."

Horton verteidigte zugleich das Gutachterverfahren seiner Zeitschrift. Die Begutachtung durch unabhängige, ebenbürtige Wissenschaftler sei "gut, um schlechte Studien zu entdecken", sagte Horton. "Aber sie ist nicht dafür gedacht, gefälschte Forschungsarbeiten ausfindig zu machen."

© SZ vom 18.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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