Kommentar:Das Recht auf Unbehagen

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(Foto: N/A)

Hinter der Ablehnung der "Genschere" Crispr-Cas steckt eine menschliche Urangst. Politiker wie Experten müssen sie ernstnehmen.

Von Werner Bartens

Deutschland ist unsanft als Fußballweltmeister entthront worden; die Germanen bleiben allerdings unangefochten Spitzenreiter in Sachen Unbehagen. Skepsis gegenüber neuen Technologien ist eine Paradedisziplin vieler Bundesbürger. In ihrer Position sehen sie sich denn auch bestätigt durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von dieser Woche, wonach Pflanzen, die mit neuartigen Methoden wie der "Genschere" Crispr-Cas gezüchtet worden sind, als Gentechnik zu regulieren sind.

Man mag diese ablehnende Haltung als Fortschrittsfeindlichkeit von Bedenkenträgern abtun, aber das trifft es nicht. Es geht weniger darum, im Gestus des Besserwissers darüber aufzuklären, dass die neuen Eingriffe ins Erbgut feiner dosiert werden können als frühere Verfahren, vermutlich weniger Nebenwirkungen haben und im Ergebnis oft nicht von konventionellen Züchtungen oder Mutationen, die einer Laune der Natur entsprungen sind, zu unterscheiden sind. Das ist gut zu wissen, zielt aber am Kern der Einwände und Zweifel vorbei.

Wer etwas nicht will, will eben nicht. Das hat nichts mit trotziger Ignoranz zu tun. Man muss nicht davon überzeugt sein, dass mithilfe der Crispr-Cas-Technik "editiertes" Pflanzen-Erbgut - mit dieser Metapher wird die Methode gern umschrieben - des Teufels und gesundheitsschädlich ist, um dagegen zu sein. Auch wenn sie weder medizinisch noch biologisch zu begründen sind, haben derartige Vorbehalte ihre Berechtigung und sollten ernst genommen werden.

Die alten Ängste - aber auch übertriebene Hoffnungen - im neuen Gewand

Sie künden schließlich von einer Sorge um die Unversehrtheit unseres Essens und der Angst vor Manipulationen auf dem Teller. Diese Befürchtungen haben eine lange Tradition, sind spätestens mit der Erfindung von Kunstdünger und Pflanzenschutz aufgekommen und wurden bei technischen Weiterentwicklungen oft reaktiviert. Natürlich ist fast alles, was wir essen, durch Eingriffe des Menschen und gezielte Veränderungen entstanden - lange bevor es die Gentechnik überhaupt gab. Der gängige Naturbegriff ist eine romantische Illusion und aus wissenschaftlicher Sicht vor allem irrationale Schwärmerei. Dahinter steckt eher die Angst, die Kontrolle über "künstliche" Neuschöpfungen zu verlieren.

Offenheit gegenüber neuen Techniken lässt sich erreichen, wenn Politiker wie Experten immer wieder jene Mythen, Ideologien und Denkmuster aufgreifen, die hinter alten Ängsten (und übertriebenen Hoffnungen) stehen. Diese tief verwurzelte irrationale Disposition zeigt sich am Beispiel der "Genschere" nur im modernem Gewand. Nur wer den uralten Befürchtungen auf den Grund geht, kann sie entkräften und aufgeschlossen für Neues werden - womöglich sogar, wenn es sich um Gentechnik handelt.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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