Körpergewicht:Speckgürtel im Erbgut

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Gene beeinflussen das Körpergewicht - eine Entschuldigung für Übergewicht bieten sie allerdings nicht.

Birgit Herden

Wer sich schon immer machtlos gegenüber Hungergelüsten wähnte, darf sich bestätigt fühlen - zumindest zu 2,5 Prozent. So groß ist der Einfluss einer Genvariante auf das Körpergewicht, die eine internationale Forschergruppe unter deutscher Beteiligung neu entdeckt hat.

Eine einzige Punktmutation, bei der ein Basenpaar im genetischen Code gegen ein anderes vertauscht ist, macht den Unterschied: Bei jedem zehnten Menschen stehen an einer Stelle die Basenpaare CC, bei allen anderen CG oder GG. Menschen mit der CC-Variante bringen im Durchschnitt zwei Kilogramm mehr auf die Waage, wie Hans-Erich Wichmann und Thomas Meitinger vom GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit nahe München an rund 4000 Freiwilligen aus Augsburg nachgewiesen haben.

"Die Probanden wogen im Durchschnitt 75 Kilogramm, mehr als zwei Prozent von diesem Gewicht bestimmt also die CC-Variante", rechnet Meitinger vor. Er betont aber auch: "Für den Einzelnen bedeutet das überhaupt nichts."

Das Gewicht beeinflussen noch viele weitere genetische und äußere Einflüsse. "Wenn man das Erbgut von 1000 SZ-Lesern analysieren würde, darunter 100 CC-Menschen gefunden hätte und sie auf eine riesige Balkenwaage stellen würde, müsste man 102 Menschen mit den anderen Genvarianten auf die andere Seite stellen, um das Gewicht auszugleichen", sagt Meitinger. Aber natürlich gäbe es auf jeder Seite Dicke und Dünne.

Die Gene entscheiden zu 50 Prozent über das Gewicht

Insgesamt entscheiden die Gene zu etwa 50 Prozent über das Gewicht. "Der Einfluss der Gene ist aber keinesfalls eine Entschuldigung für Übergewicht", sagt Hans-Erich Wichmann.

"Durch die veränderten Lebensgewohnheiten hat sich die Zahl der Fettleibigen in Deutschland in den letzten 20 Jahren verdoppelt, jede dritte Frau und jeder vierte Mann sind hierzulande adipös."

Die eigentliche Bedeutung ihres Fundes sehen die Forscher in den Erkenntnissen, die sich langfristig ableiten lassen. Denn die Punktmutation liegt nahe des schon länger bekannten Gens INSIG2 (insulin-induced gene 2), das die Synthese von Fettsäuren und Cholesterin hemmt.

Ob die Punktmutation selbst einen Einfluss auf das Gen hat oder ob sie nur ein Marker für eine andere Mutation auf dem Gen selbst oder in dessen Nachbarschaft ist, weiß man noch nicht. Doch in jedem Fall könnte sich der von INSIG2 bestimmte Stoffwechselweg als bedeutsam für die Entstehung von Übergewicht und Fettleibigkeit erweisen und vielleicht auch ein Angriffspunkt für künftige Medikamente sein.

Bedeutsam ist der Fund auch, weil er die Wirksamkeit der Untersuchungsmethoden unter Beweis stellt, mit denen Humangenetiker die Gene auf relevante Variationen durchforsten. An etwa zehn Millionen Stellen unterscheidet sich das menschliche Erbgut und mit modernen DNS-Chips kann man es inzwischen in großem Maßstab analysieren.

Auf die INSIG2-Variante waren zunächst Forscher von der Universität Boston gestoßen, die Gene und BMI (Body Mass Index) von 700 Probanden miteinander verglichen. Dabei benutzten sie einen Chip, mit dem man 100.000 Punktmutationen auf einmal untersuchen kann.

"Inzwischen verwenden wir schon Chips für 500.000 Mutationen, und bis zum Jahresende soll ein Chip mit eine Million Mutationen auf den Markt kommen", sagt Meitinger.

Starken Einfluss auf das Gewicht haben nur wenige, äußerst selten auftretende Mutationen, unter ihnen manche, die krankhafte Fettleibigkeit verursachen. Daneben gibt es aber noch viele Punktmutationen, die in der Bevölkerung häufig sind, aber jeweils nur geringen Einfluss auf das Gewicht ausüben.

Die jetzt gefundene ist die zweite Genvariante, die sich auf das Körpergewicht auswirkt, und hat von beiden die weitaus größere Wirkung. Doch auch um diese nachzuweisen, mussten die Forscher insgesamt 13000 Menschen analysieren.

Sie fanden die CC-Variante in Schwarzen genauso häufig wie in Europäern - es muss sich daher um eine alte Mutation handeln, die schon existierte, bevor sich die Menschheit von Afrika aus über die ganze Welt verbreitete. Johannes Hebebrand von der Universität Duisburg-Essen wies mit seinem Team überdies nach, dass die CC-Variante auch überdurchschnittlich häufig bei fettleibigen Kindern zu finden ist.

Neben INSIG2 dürfte es aber noch bis zu hundert weitere Mutationen geben, die in einem komplexen Wechselspiel über dick oder dünn entscheiden.

Wenn Genforscher mit immer leistungsfähigeren Chips weitere relevante Genvarianten entdecken, könnte eines Tages ein differenziertes Genprofil darüber Auskunft geben, wie gefährlich Hamburger und Pommes für den Einzelnen sind. Immerhin scheinen Menschen auf das Wissen um den Einfluss der Gene nicht mit Resignation zu reagieren, wie die Psychologin Anja Hilbert herausgefunden hat, die an der Universität von Marburg eine Forschungsgruppe zur Adipositas leitet.

"Die Menschen überschätzen häufig sogar den Einfluss der Gene", so Hilbert. "Aber nach unseren Untersuchungen hat das keine Auswirkung auf das Diätverhalten."

© SZ vom 18.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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