Klimawandel:Grüne Lunge im Kraftwerk

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Deutschlands Stromkonzerne wollen Kohlendioxid in ihren Kraftwerken einfangen. In einem Hamburger Pilotprojekt versuchen sie, Kohlendioxid mit Hilfe von Algen aus Abgasen herauszufiltern.

Philipp Jarke

Deutschlands Stromkonzerne haben einen Traum: Sie wollen das CO2-freie Kraftwerk. Allerdings sehnen RWE, Vattenfall &Co. nicht Sonnenenergie, Windkraft oder Biogas herbei; sie möchten lieber ihre Kohlekraftwerke vom Image der Klimaschänder befreien.

Dazu wollen sie deren Kohlendioxid einfangen und in der Erdkruste oder Tiefsee versenken, damit es nicht mehr in die Atmosphäre gelangt. Wie das technisch am besten geht und ob es letztlich gelingen wird, ist ungewiss. Sicher ist nur so viel: Die CO2-Speicherung wird viel Geld und Energie verschlingen und frühestens in 15 Jahren funktionieren. Zeit genug, um Alternativen zu testen.

Eine dieser Alternativen startet in diesen Tagen: das Projekt "Technologien zur Erschließung der Ressource Mikroalgen", kurz TERM. Ein Konsortium von Forschungsinstituten und Unternehmen züchtet in Hamburg-Reitbrook ein Meer von Algen heran, das die Abgase eines Blockheizkraftwerks vom Kohlendioxid befreien soll. Auf einer Fläche von einem Hektar schwimmen schon bald mikroskopisch kleine Algen in Bioreaktoren, die vom Abgas durchströmt werden. Sie sollen das CO2 aufnehmen und in Biomasse verwandeln, die zu Treibstoff und Biogas weiterverarbeitet wird.

"Mikroalgen können bis zu 80 Prozent des Kohlendioxids aus Kraftwerksabgasen herausfiltern", sagt Projektleiter Martin Kerner. Bei dem Angebot konnten zwei große Energiekonzerne nicht widerstehen: Neben Eon Hanse, das außer den Abgasen das Gelände und finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, ist laut Kerner ein Mineralölkonzern bei TERM eingestiegen, der aus den Algen Treibstoffe herstellen will.

Im Labor haben Algen ihr Potential als CO2-Senke bereits bewiesen: Pro Jahr nimmt ein Hektar Algenkultur bis zu 450 Tonnen des Treibhausgases auf und produziert 150 Tonnen Biomasse. Damit übertreffen Algen selbst die ertragreichsten Landpflanzen um den Faktor zehn.

Außerdem bestehen die Algen zu einem Großteil aus Ölen, die sich leicht in Treibstoffe umwandeln lassen. "Ein Hektar Raps wirft 1800 Liter Biodiesel ab, mit Mikroalgen sind Erträge von 10.000 Litern möglich", sagt Kerner. Dritter Pluspunkt der Algen: Im Gegensatz zu konventionellen Energiepflanzen sind sie nicht auf fruchtbare Äcker angewiesen. Die Bioreaktoren können auch auf schlechten, kontaminierten oder versiegelten Böden stehen.

Biodiesel als Nebenprodukt

Trotz aller Vorzüge bleibt ungewiss, ob Algen den CO2-Ausstoß großer Kohlekraftwerke tatsächlich deutlich senken werden. Da ist zum einen die Platzfrage: Ein modernes Steinkohlekraftwerk mit einer Leistung von 800 Megawatt stößt jährlich 4,5 Millionen Tonnen CO2 aus.

Soll diese Menge komplett von Mikroalgen eingefangen werden, wäre eine Fläche von 100 Quadratkilometern nötig. Solche Flächen in direkter Nachbarschaft zu den Kraftwerken bereitzustellen, erscheint ziemlich unrealistisch.

Ein weiteres Hindernis sind die Kosten der Technik. Der Geowissenschaftler Laurenz Thomsen, der an der Jakobs-Universität Bremen Mikroalgen als CO2-Senke erforscht, schätzt die Investitionssumme auf 10 bis 15 Millionen Euro pro Quadratkilometer.

"Jährlich kommen noch drei bis vier Millionen Euro Betriebskosten pro Quadratkilometer hinzu", meint Thomsen. Zwar lassen sich durch den Verkauf von Kraftstoff, Biogas und Nebenprodukten wie Vitaminen und Enzymen auch Einnahmen erzielen. Dennoch: "Unter dem Strich kostet es etwa 36 Euro, um mit Mikroalgen eine Tonne Kohlendioxid einzufangen", schätzt auch Kerner.

Diese Kosten sollen durch den Verkauf von Emissionszertifikaten gedeckt werden. Momentan bringen die Zertifikate im Termingeschäft der Leipziger Strombörse etwa 22 Euro pro Tonne eingespartem CO2, die Algentechnik bliebe also ein Verlustgeschäft. Ab 2008 sind die Emissionsrechte der Stromkonzerne aber deutlich knapper bemessen, wodurch der Zertifikatepreis steigen und die Algentechnik aus der Verlustzone heben könnten.

Auch ohne die Hilfe von der Börse soll die Algentechnik aber profitabler werden. Ein Ansatzpunkt ist, den Algenpark künftig nicht mehr manuell, sondern vollautomatisch zu steuern. Zudem suchen Botaniker der Universität München nach Algen, die schneller wachsen und mehr CO2 aufnehmen als ihre bisher bekannten Artgenossen; sie würden also weniger Platz benötigen.

Bliebe das Problem, dass das CO2 nach der energetischen Nutzung der Algen schließlich doch in die Atmosphäre gelangt. Die Kohlekraftwerke wären also keinesfalls CO2-frei, es würden lediglich die Emissionen pro Kilowattstunde sinken. Der Geowissenschaftler Thomsen will deshalb einen Teil der Algen zu Baustoffen verarbeiten: "Nur so wäre das CO2 für lange Zeit neutralisiert" - und der Traum vom CO2-freien Kraftwerk ein Stück näher gerückt.

© SZ vom 2.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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