Klimawandel:Deichbauer müssen nachlegen

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Neueste Daten zeigen: Die Zahlen im Bericht des Weltklimarates zum Meeresspiegelanstieg sind noch zu niedrig.

Christopher Schrader

Zahlen leben oft länger als Worte, jedenfalls im öffentlichen Gedächtnis. Das dürfte manchem Klimaforscher in Zukunft Kummer bereiten, denn so könnte der Eindruck entstehen, der Weltklimarat IPCC habe die Prognose für den Meeresspiegelanstieg entschärft.

Um 18 bis 59 Zentimeter dürfte das Wasser zum Ende des Jahrhunderts steigen, hatte das Gremium am Freitag in Paris gesagt. Der Report von 2001 hatte Werte zwischen neun und 88 Zentimetern genannt.

Besonders Klimaforscher in den USA haben die Zahlen kritisiert. Michael MacCracken, unter Präsident Clinton für Forschung zur globalen Erwärmung zuständig, hat laut New York Times gewarnt, die niedrigeren Zahlen würden "bei Politikern und in der Öffentlichkeit ein gravierendes Missverständnis auslösen".

Zum Teil erklären sich die Werte durch einen Wechsel der Methodik: Die Forscher haben nicht mehr bis 2100 gerechnet, sondern zur Mitte der 2090er Jahre, also fünf Jahre kürzer. Auch deutsche Wissenschaftler erwarten aber, dass die Ozeane stärker anschwellen als der neue IPCC-Bericht annimmt.

Zumal die tatsächlichen Messwerte inzwischen die - höheren - Projektionen des Berichts von 2001 nahezu gesprengt haben, wie Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung am Freitag in Science vorgerechnet hat (online).

Die Klimaforscher sind sich des Mankos bewusst. "Die Zahlen zum globalen Meeresanstieg enthalten keine Daten zur zukünftigen, womöglich rasanten Veränderung im Eisfluss", hatte Susan Solomon vom IPCC bei der Vorstellung gesagt.

Faustformel für den Meeresspiegelanstieg

Das Abschmelzen großer Eisfelder in Grönland beschleunigt sich offenbar, hatten im vergangenen Jahr mehrere Arbeitsgruppen berichtet. "Diese Daten waren dem IPCC noch nicht gesichert genug", sagt Eberhard Fahrbach vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.

Dem stimmt Stefan Rahmstorf zu: "Die großen Eisfelder sehen heute unsicherer aus als beim letzten Bericht von 2001."

Um das Dilemma zu lösen, hatte Rahmstorf vor kurzem eine Faustformel vorgeschlagen: Pro Grad Erwärmung steige der Meeresspiegel um 3,4 Millimeter im Jahr ( Science, Bd. 315, S. 368, 2007).

So hatte er bis zu 1,4 Meter Anstieg errechnet. Allerdings glauben seine Kollegen nicht, dass der simple Ansatz korrekt ist. "Der Meeresspiegelanstieg zurzeit erklärt sich stark durch das Abschmelzen kleiner Gletscher", sagt Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. "Aber die sind irgendwann weg und dann gilt die Formel nicht mehr."

Die kleinen Gletscher erklären auch, warum die Berechnungen den Messwerten hinterherhinken. "Computersimulationen können die kleinen Gletscher nicht darstellen", sagt Marotzke. Die Superrechner teilen die Erde in ein Raster auf, das für Eiszungen in Bergtälern zu grob ist - sie unterschätzen den Anstieg der Meere systematisch.

Die Zahlen im IPCC-Bericht sollten daher niemanden beruhigen. Im Gegenteil: Sollte es der Menschheit 2100 gelingen, die Eingriffe ins Klima zu stoppen, könnte der Ozean bis 2300 noch einmal um 80 Zentimeter steigen.

© SZ vom 6.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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