Klimaschutz:Einsichten in das Machbare

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Niedrigenergiehäuser gelten als Zeichen höchster Tugendhaftigkeit. Doch die Reduktion des Energieverbrauchs allein ist zu wenig. Eine Kritik der gegenwärtigen Klimaschutz-Politik.

Nico Stehr und Hans von Storch

Das Niedrigenergiehaus sei ein unverzichtbarer Beitrag zum Klimaschutz, sagen Politiker, Klimaforscher und Umweltorganisationen immer wieder. Mit Aufrufen wie diesem zielen die jüngsten nationalen und internationalen Initiativen der Bundesregierung gebetsmühlenartig auf ein einziges Ziel: die Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen.

Energiesparen ist nicht alles. Wir müssen uns auch auf den Klimawandel einstellen. (Foto: Foto: AP)

Im Rahmen der herrschenden, einseitigen Diskussion des Klimaschutzes geraten Erbauer von Niedrigenergiehäusern in den Anschein höchster Tugendhaftigkeit.

Ob ihr Haus allerdings den möglichen Wetterextremen der kommenden Jahrzehnte standhalten wird und beispielsweise an hohe sommerliche Temperaturen angepasst ist, bleibt eine weitgehend verdrängte Frage.

Sie sollte aber zu ernsthafter Sorge Anlass sein. Gegen Stürme, Überschwemmungen, Brände, Hitze, Starkregen ist das heutige Passivenergiehaus nicht unbedingt gewappnet. Es ist nur für einen Zweck optimiert: den Energieverbrauch zu mindern.

Wir sollten aber fragen: Was bringt eine Klimapolitik, die sich fast ausschließlich mit dieser Reduktion beschäftigt? Und welchen Nutzen hat eine natur- und sozialwissenschaftliche Klimaforschung, die einseitig diese Handlungsoption einfordert und medienwirksam begleitet?

Statt zu fragen "Wie gehen wir mit jenem Klimawandel um, den wir nicht mehr vermeiden können", ist die öffentliche Debatte beherrscht von Auseinandersetzungen mit sogenannten Skeptikern, die den Mechanismus des menschgemachten Klimawandels leugnen.

In Deutschland sind diese Skeptiker Alt-herrenklubs pensionierter fachferner Akademiker, denen man nachsehen sollte, wenn sie schräge Gedanken in ihren Wohnzimmern diskutieren. Ihre Vorbehalte verfehlen das eigentliche Thema, über das man sich streiten sollte. Sie tragen letztlich nur zur Stärkung der schon heute traditionellen Einstellung bei, nach der Klimaschutz im Wesentlichen in der Emissionsminderung von Treibhausgasen besteht.

Gravierende Klimaänderungen sind nicht mehr zu verhindern

Doch eine sich endlos wiederholende Diskussion darüber, ob es eine vom Menschen verursachte Klimaerwärmung gibt, nützt niemandem. Es ist festzuhalten, dass gravierende Klimaänderungen in den kommenden dreißig Jahren praktisch nicht mehr verhindert werden können.

Bereits heute sichtbare Auswirkungen der Klimaänderung werden sich in verstärktem Maße in Mitteleuropa und anderswo zeigen. Ein Erfolg in der Vermeidungspolitik - im Sinne einer Begrenzung, aber nicht einer Verhinderung von menschgemachten Klimaänderungen - wird sich erst später in diesem Jahrhundert einstellen. Diese Begrenzung wird dringend nötig sein, aber sie hilft uns kaum dabei, mit den akuten Klimarisiken umzugehen.

Die aktuelle Politik tabuisiert das für die Wohlfahrt der Gesellschaften der kommenden Jahrzehnte entscheidende Thema der Vorsorge.

Al Gore - Opfer einer historisch gescheiterten Ideologie? (Foto: Foto: AP)

Die Öffentlichkeit wird nicht nur durch ausgewiesene Klimaskeptiker irregeleitet, sondern gerade durch Positionen, die die Brandbreite der Optionen von verantwortungsvoller Klimapolitik auf ausschließliche und meist wenig effektive Maßnahmen gegen die Erderwärmung einschränken und sogar das Klimaproblem degradieren zu einem Hilfsargument, um langgehegte Wünsche nach einem "vernünftigen" Verhalten der Menschheit zu erfüllen.

Ein Beispiel ist die Forderung, dass Ferntourismus im Rahmen einer Klimapolitik nur dann akzeptabel ist, wenn die Reise zu vertieften Einsichten in die Kultur des Gastlandes führt.

Der amerikanische Oscar-Preisträger und ehemalige Vizepräsident Al Gore machte schon vor fünfzehn Jahren kein Hehl aus seiner Ablehnung einer Klimapolitik, die auf Anpassungsstrategien ausgerichtet ist.

Eine solche Einstellung ist für Gore Ausdruck einer intellektuellen und politischen Faulheit, schlimmer noch, eines "arroganten Glaubens an unsere Fähigkeit, unsere Haut zum richtigen Zeitpunkt doch noch zu retten".

Klima als Schicksalsmacht

Al Gores Überzeugung gibt mehr oder weniger deutlich wieder, was einst sowohl im Alltag als auch in der Wissenschaft eine verbreitete deterministische Anschauung war. Demnach ist das Klima eine Schicksalsmacht, die Erfolg und Scheitern ganzer Zivilisationen steuert. Mit anderen Worten: Man kann dem Einfluss des Klimas nicht entrinnen. Die Reaktion kann nur darin bestehen, die Umweltsünden zu beenden.

Wissenschaftler und Philosophen haben bis vor nicht allzu langer Zeit diese nachhaltigen Wirkungen des Klimas auf die Entwicklung der Menschheit einhellig betont. Zwar ist dieser krude Klimadeterminismus in der Wissenschaft längst in Ungnade gefallen, in der gegenwärtigen Diskussion hat sich diese Weltanschauung jedoch gehalten.

Wenn Gore und viele andere Beobachter des Klimawandels gegen Vorsorgemaßnahmen polemisieren, sind sie teilweise Opfer dieser historisch gescheiterten Ideologie. Anpassung ist nichts anderes, als die Macht der Gesellschaft zu nutzen, um mit einem sich ändernden Klima richtig umzugehen.

Die bisherigen Bemühungen der Wissenschaft haben sich, auch angesichts der notorischen Zweifler, auf zwei Themen konzentriert: Erstens sollte bewiesen werden, dass es - in historischen Dimensionen betrachtet - zurzeit eine rapide globale Klimaänderung gibt. Zweitens sollten Erkenntnisse gesammelt werden, die unzweifelhaft beweisen, dass die beobachtete Veränderung des Klimas weitgehend vom Menschen verursacht ist.

Es gibt noch viele umstrittene Fragen

Diese Ziele wurden in wenigen Jahren realisiert, so dass man heute von einem umfassenden Konsens in der Klimawissenschaft in diesen beiden Fragen sprechen kann. Es gibt noch viele umstrittene Fragen, etwa im Hinblick auf tropische Zyklone oder das Schicksal der Eisschilde.

Neben der Beantwortung dieser Detailfragen muss es jedoch vorrangig um die Optionen gehen, die die Gesellschaft im Umgang mit einem nicht zu verhindernden, sondern nur zu begrenzenden Klimawandel hat. Dies sollte auch Aufgabe der Sozial- und Kulturwissenschaften sein.

Zwar kann man beobachten, dass auch Ingenieure und Naturwissenschaftler in zuständigen Behörden und Forschungseinrichtungen in den letzten Jahren verstärkt über Anpassungsoptionen nachdenken; diese Überlegungen erreichen die Öffentlichkeit und Politik aber kaum.

Auch das Potential und die Kompetenz der Menschenwissenschaften zur Lösung der Klimaproblematik werden systematisch unterschätzt. Die Durchschlagkraft der Mission "Wir retten das Klima durch verminderten Energieeinsatz" beruht aber auf kulturellen Bedingungen; die Vorstellung, dass der Mensch das Klima ändert, ist offenbar fest integriert in der westlichen Wahrnehmungsgeschichte von Mensch und Natur.

Die Möglichkeit, individuell durch Verzicht auf Luxus und Bequemlichkeit zur Rettung des Klimas beizutragen, ist äußerst attraktiv, weil sie erlaubt, die eigene moralische Höherwertigkeit gegenüber dem anderen (Umweltsünder) zu demonstrieren und zu genießen. Dabei wird dann übersehen, dass vorbildliches Verhalten in Deutschland von Shanghai aus gar nicht bemerkt wird - und die Klimaänderung weiter voranschreitet.

Aber das Thema der Anpassung an die Klimaänderung wird nicht nur verdrängt, sondern auch tabuisiert. Die Politiker aller Schattierungen folgen den von der Klimawissenschaft typischerweise ausgesprochenen Handlungsanregungen und der Hoffnung, dass sich die antizipierten Klimaänderungen weitgehend vermeiden lassen.

Vermeidungsstrategie ist unzweifelhaft gescheitert

Dabei ist die Vermeidungsstrategie, wie die Tatsache des rapiden Anstiegs der globalen Kohlendioxid-Emissionen in den letzten Jahren unzweifelhaft beweist, bisher gescheitert. Nötig ist jetzt eine Umorientierung vom Vorrang der Natur- und Technikwissenschaften hin zu einer gesellschaftlich orientierten sozialen Klimawissenschaft und der politischen Einsicht in das Machbare.

Das Machbare und Notwendige in den kommenden Jahrzehnten sind neben gewissen Reduktionen von Treibhausgasemissionen der Schutz der Gesellschaft vor dem sich rapide verändernden Klima und den daraus resultierenden Folgen.

Nico Stehr ist Karl Mannheim Professor für Kulturwissenschaften an der Zeppelin University in Friedrichshafen am Bodensee. Hans von Storch ist Direktor des Instituts für Küstenforschung am GKSS Forschungszentrum in Geesthacht und Professor für Meteorologie an der Universität Hamburg.

© SZ vom 15.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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