Klimaerwärmung:Hurrikane am Mittelmeer

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Tropische Wirbelstürme vor der Riviera? Bei einer Erwärmung des Mittelmeers halten Forscher dies für möglich - wie eine Simulation zeigt.

Axel Bojanowski

Wenn die jüngsten Berechnungen von Klimaforschern stimmen, sind Waldbrände und Dürren in Zukunft nicht mehr das Schlimmste, was Mittelmeeranwohner zu befürchten haben. "Wir haben erstmals gezeigt, dass über dem Mittelmeer das Risiko von tropischen Wirbelstürmen besteht", schreibt eine Forschergruppe um Miguel Gaertner von der Universität von Kastilien-La-Mancha in Toledo in einer Studie, die an diesem Samstag erscheint. Als Folge der Klimaerwärmung könnten in Südeuropa und Nordafrika Hurrikane aufziehen. Tausende Küstenstädte und Ferienregionen wären bedroht.

Treffen die neuesten Prognosen der Klimaforschung zu, könnten Küstenstädte des Mittelmeerraums in einigen Jahrzehnten von zerstörerischen Wirbelstürmen getroffen werden. (Foto: Foto: AP)

Hurrikane gibt es bislang nur in den Tropen. Die Stürme beziehen ihre Energie aus erhitztem Meerwasser. Dort steigt feuchtwarme Luft auf, und sobald sich Wolken bilden, setzt die Luft Energie frei, die den Luftaufstieg weiter antreibt. Die Erddrehung zwingt die aufsteigenden Wolken in eine Kreisbewegung. Das Zentrum des Wirbels - sein "Auge" - saugt immer mehr Luft an, bis die Luftmassen mit mehr als 200 Kilometern pro Stunde wirbeln.

Bereits jetzt kleine Wirbelstürme

Noch ist das Mittelmeer zu kühl, um Hurrikane zu erzeugen. Auch weil es außerhalb des weltumspannenden subtropischen Windsystems liegt, scheint es vor Hurrikanen sicher. Es mangelt an der Zufuhr jener 2000 Kilometer langen Luftwellen, die etwa in der Karibik die Keimzelle vieler Wirbelstürme bilden. Zudem verhindern die nahen Landmassen, dass größere Wirbel entstehen - über Land verlieren Hurrikane rasch an Energie.

Gelegentlich wüten jedoch bereits kleinere Wirbelstürme über dem Mittelmeer. Am 15. Januar 1995 etwa staunten Meteorologen über einen Wirbel vor der Küste Griechenlands, der - obwohl kleiner als in den Tropen - von einem Hurrikan kaum zu unterscheiden war. Weil der Wind die unterste Hurrikanstärke von 118 Kilometern pro Stunde jedoch verfehlte, sprachen Wissenschaftler nur von einem "Mittelmeer-Hurrikan".

Dass solche Wirbel alle paar Jahre in der Region aufziehen, hat eine Forschergruppe um Lluis Fita von der Universität der Balearen in Palma de Mallorca festgestellt (Natural Hazards and Earth System Sciences, Bd.7, S.41, 2007). Der mediterrane Hurrikan trat am 26. September 2006 vor der Südküste Italiens auf.

Die Wirbelstürme über dem Mittelmeer entstehen anders als ihre großen Geschwister: Hurrikane in den Tropen werden von der aufsteigenden Warmluft des Meeres in eine kreisrunde Drehung versetzt. Die Wirbel über dem Mittelmeer hingegen entwickeln sich aus gewöhnlichen Tiefdruckgebieten - aus Schlechtwetterzonen also. Ihre Keimzelle hat mithin eine unsymmetrische Form.

IPCC-Berechnungen haben einen Makel

Der Befürchtung, dass die Klimaerwärmung auch im Mittelmeer Wirbel mit Hurrikan-Stärke erzeugen könnte, widersprach der UN-Weltklimarat IPCC in seinem Bericht vom Februar. Doch die zugrunde liegenden Berechnungen haben den Makel, dass sie nur ein grobes Bild der lokalen Wetterbedingungen im Mittelmeer liefern: Für die Computersimulationen wird die Erdatmosphäre in ein Raster mit einer horizontalen Maschenweite von 200 Kilometern zerlegt.

An den Knoten der Gitterpunkte ermittelt der Rechner Daten wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Windstärke. In einem Atmosphärenquader herrscht also einheitliches Wetter - eine gut zu bearbeitende, aber unrealistische Vereinfachung.

Miguel Gaertner aus Toledo hat nun die Genauigkeit erhöht. Mit mehreren Rechenprogrammen legte der spanische Forscher quasi eine "Lupe" auf die Klimaprognosen der UN. Er nutzte unter anderem das Simulationsprogramm "Remo", das von Daniela Jacob vom Max-Planck-Institut für Meteorologie konzipiert und betrieben wird. "Remo" hatte zuvor gezeigt, dass es lokale Klima-Variationen und die Entstehung von Hurrikanen gut nachbilden kann.

Welche beängstigende Entdeckung der Forscher gemacht hat? Lesen Sie auf der nächsten Seite weiter ...

Das Programm zerlegte die Mittelmeer-Region in ein Raster mit einer horizontalen Maschenweite von 50 Kilometern - die bisherigen Prognosen wurden scharfgestellt. Für die Simulationen wurde angenommen, dass die Menschheit ungebremst klimaschädliche Treibhausgase in die Atmosphäre pustet und sich die Kohlendioxid-Konzentration bis zum Ende des Jahrhunderts verdoppelt.

"Wir machten eine wahrhaft beängstigende Entdeckung", sagt Miguel Gaertner: Auf Karten, die das September-Wetter am Ende des 21. Jahrhunderts darstellen sollen, zeichneten sich Hurrikane ab, berichten er und seine Kollegen an diesem Samstag im Fachblatt Geophysical Research Letters (Bd.34, Seite L14711, 2007).

Folge der Klimaerwärmung

Auf dem Computerbildschirm zogen kreisrunde Areale mit extrem hohem Luftdruckgefälle zwischen Boden und oberer Luftschicht übers Mittelmeer - eindeutige Merkmale eines Hurrikans. Ihr Zentrum sei auffallend warm und auch die Wassertemperatur sei außergewöhnlich hoch - eine erwartete Folge der Klimaerwärmung, berichten die Forscher. Allerdings zeigten nicht alle Simulationen Hurrikane.

Die Forscher räumen ein, dass ihre Rechnungen mit Unsicherheiten behaftet sind. Die Ergebnisse fußen auf den Resultaten der Modelle, die das weltweite Klima simulieren. Doch ob damit Änderungen der Luftzirkulation vorhergesagt werden können, ist ungewiss.

Auch die Regional-Klimamodelle sind nicht ausgereift. Lokale Effekte, die etwa vom Relief der Umgebung verursacht werden, sind häufig nicht darstellbar. Auch Veränderungen der Landschaft bereiten den Klimaforschern Kopfzerbrechen. Wandelt sich die Vegetation, ändert sich beispielsweise die Verdunstung und damit die Wolkenbildung.

Realistisches Szenario

Gaertner und seine Kollegen haben dennoch Grund, ihre Prognose ernst zu nehmen. Das verwendete Simulationsprogramm "Remo" neigte bislang nicht dazu, extreme Tiefdruckgebiete darzustellen. Dass es über dem Mittelmeer jedoch Hurrikane, also Areale besonders niedrigen Luftdrucks, ermittelt hat, mache das Ergebnis glaubwürdig.

Das Szenario sei "realistisch", meint auch der Meteorologe Gerhard Müller-Westermeier vom Deutschen Wetterdienst. Er erwarte bei fortschreitender Erwärmung ebenfalls eine Verstärkung der Sturmtiefs über dem Mittelmeer.

Der genaue Mechanismus der prognostizierten mediterranen Hurrikane, bleibt unklar. Die wichtigste Voraussetzung sei ein Anstieg der Wassertemperatur des gesamten Mittelmeeres auf mehr als 30 Grad Celsius, vermutet MPI-Forscherin Daniela Jacob.

Auch die Luft muss auf Wirbelstürme eingestellt sein: Hauptzerstörer von Hurrikanen sind so genannte Scherwinde - kreuz und quer schießende Luftmassen, die Wirbelstürme regelrecht zerfleddern und ihnen die Kraft rauben. Diese Scherwinde könnten von Hochdruck-Gebieten über Nordeuropa geschwächt werden, meint Gaertner.

Am Ende dieses Jahrhunderts könnte demnach eine zunächst gewöhnliche Witterung einen fatalen Verlauf nehmen: Südlich eines Schönwetter-Gebietes über Mitteleuropa zieht im Sommer Regenwetter vom Atlantik Richtung Mittelmeer. Die mit Feuchtigkeit voll gesogene Warmluft über dem erhitzten Meer treibt den Luftaufstieg an. Der niedrige Luftdruck der Schlechtwetterzone fällt damit dramatisch ab. Es bildet sich ein Wolkenwirbel, der sich kontinuierlich beschleunigt - womöglich bis auf Hurrikanstärke.

© SZ vom 28./29.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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