Keine Frage der Größe:Auf der Suche nach dem schlauen Hirn

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Die ewigen Windungen des Geistes: Forscher finden neue Zusammenhänge zwischen Gehirnstruktur und Intelligenz.

Katja Ebbeke

Im März 1826 sollte der Schädel von Friedrich Schiller aus einer Gruft am Jakobsfriedhof geborgen werden. Der Dichter war in einem Weimarer Sammelgrab bestattet worden; die einzelnen Särge waren längst verwest.

(Foto: Foto: photodisc)

Dennoch hatte der damalige Bürgermeister der Stadt, Karl Leberecht Schwabe, keine Zweifel, welcher der 23 geborgenen Schädel Schillers war: der größte natürlich.

Jahre später stellte man fest, dass das nicht stimmen konnte: Der Schädel kam gerade wegen seiner Ausmaße nicht in Betracht. Er war zu groß; größer als eine zu Lebzeiten Schillers in Originalmaßstab gefertigte Büste.

Seit Jahrhunderten versuchen Wissenschaftler von der Schädelform auf das Gehirn und die Intelligenz eines Menschen zu schließen.

Alle morphologischen Merkmale des Hirns wie Größe, Gewicht, Umfang und Anzahl der Windungen galten bereits als Indikatoren für Geistesleistung oder Charaktereigenschaften. Bis heute ist es jedoch nicht gelungen, am Gehirn ein Genie oder gar einen Verbrecher zu erkennen.

Dennoch kommt die Debatte um einen Zusammenhang zwischen Gehirnstruktur und Intelligenz nun erneut auf: Moderne Technik macht es möglich, lebenden Menschen mit zuvor unbekannter Präzision unter die Schädeldecke zu blicken.

"Das Gehirn hochintelligenter Menschen durchläuft eine andere Entwicklung als das Normalbegabter", verkündeten kürzlich Neurologen und Psychiater um Philip Shaw von den National Institutes of Health in Bethesda, Maryland ( Nature, Bd. 440, S. 676, 2006).

Sie hatten den Intelligenzquotienten von 307 Kindern und Jugendlichen zwischen 7 und 19 Jahren bestimmt und deren Gehirne verglichen. Die Hirnrinde von hochintelligenten Kindern mit einem IQ zwischen 121 und 148 sei im Alter von sieben Jahren zunächst dünner als die von Normalbegabten, die einen IQ zwischen 83 und 108 aufwiesen, so die Forscher.

"Gehirne von Hochintelligenten sind plastischer"

Bis zum 11. Jahr wüchsen einige Regionen dann besonders stark an. Danach spezialisiere sich das Gehirn Hochbegabter schneller, indem es ungenutzte Verbindungen abbaue.

"Gehirne von Hochintelligenten sind offensichtlich plastischer als die von Durchschnitts-Kindern", schlussfolgerte Judith Rapoport, Leiterin der kinderpsychiatrischen Abteilung in Bethesda und Mitautorin der Studie.

Herausgefunden hatten die Wissenschaftler dies mit Aufnahmen eines Magnetresonanz-Tomografen. Doch in eben dieser Technik liegt auch das größte Problem der Studie. Karl Zilles vom Forschungsinstitut Jülich arbeitet selbst viel mit bildgebenden Verfahren und kennt ihre Tücken: "Die Methode ist noch zu ungenau", sagt er.

Zwischen der motorischen Hirnrinde etwa, die für das Steuern von Bewegungen zuständig ist, und der weißen Substanz im Gehirn lasse sich keine scharfe Grenze erkennen. "Diese Größe der Hirnrinde wird deshalb oft falsch eingeschätzt."

Zudem weise die Studie weitere Mängel auf, moniert der Anatom. Shaw und sein Team hätten keine Langzeituntersuchung einzelner Kinder gemacht, sondern die Gehirnentwicklung von Aufnahmen unterschiedlich alter Probanden mit dem gleichen IQ abgeleitet.

Dabei berücksichtigten sie auch nicht, ob etwa ein hoher IQ durch besondere Leistungen im Bereich Wortschatz, Gemeinsamkeiten finden, Figuren legen oder Denken in Mustern erreicht wurde. "Es werden Kinder verglichen, die völlig verschiedene Grundvoraussetzungen haben", sagt Zilles.

Grundsätzliche Skepsis

Die meisten Hirnforscher stehen Studien, die einen Zusammenhang zwischen Schädelform oder Hirnstruktur und Intelligenz suchen, grundsätzlich skeptisch gegenüber. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen wurden in der Vergangenheit oft ideologisch missbraucht.

So versuchten Nationalsozialisten ihre rassistische Ideologie mit anatomischen Merkmalen zu untermauern. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts hatten Phrenologen behauptet, anhand des Schädels eines Kindes seine Talente bestimmen zu können. Die Diagnose entschied nicht selten über die Berufswahl und damit über das Leben eines Menschen.

1880 verboten die Münchner Universitäten Frauen das Studium mit der Begründung, sie hätten einen kleineren Schädel als Männer, und seien somit minder intelligent.

In einigen Fällen haben moderne bildgebende Verfahren aber auch geholfen, alte Fragen zu klären. Weil Aufnahmen gezeigt hatten, dass schizophrene und autistisch veranlagte Menschen eine leicht verschobene Gehirnlandschaft haben, kamen Claus Hilgetag von der Universität Bremen und Helen Barbas von der Boston University dem Mechanismus der Hirnfaltung auf die Spur.

Mechanische Kräfte seien dafür verantwortlich, schreiben Hilgetag und Barbas in der Fachzeitschrift PLoS Computational Biology ( Bd. 2, Nr. 3, S. 146, 2006). Anhand von Gehirnschnitten bei Rhesusaffen zeigten sie, dass das Muster der Hirnwindungen entsteht, wenn Verbindungen zwischen Nervenzellen im wachsenden Gehirn Zug auf ihre Umgebung ausüben.

Regionen, die durch viele Fasern vernetzt sind, würden während der Entwicklung zueinander gezogen und bildeten dadurch eine Wölbung. In weniger vernetzten Bereichen entstünden die Furchen.

Ob das aber Auswirkungen auf die Intelligenz hat, kann Hilgetag nur vermuten.

"Stärkere Verbindungen könnten verbesserte Fähigkeiten bedeuten", sagt er. Eine Überlegung, der sicherlich bald nachgegangen werden wird. Denn auch im 21. Jahrhundert hat die Frage, was ein Genie wie Schiller ausmacht, ihren Reiz nicht verloren.

© SZ vom 2.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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