Karriereberaterin:Blick in die Schatztruhe der eigenen Stärken

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Klienten von Jutta Boenig äußern häufig den Wunsch, die Branche zu wechseln. Ob das sinnvoll ist, zeigt sich, nachdem man seine Kompetenzen definiert und geklärt hat, welche man weiterentwickeln will.

Interview von Jeannette Goddar

Jutta Boenig ist Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Karriereberatung. Seit mehr als 25 Jahren unterstützt die mit ihrer Beratungsgesellschaft in Überlingen am Bodensee ansässige Sozialwissenschaftlerin Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Ihre Kunden stammen aus Deutschland sowie aus benachbarten Ländern. Mit der SZ sprach Boenig darüber, was sie Klienten mit Wunsch nach einem Neustart rät.

SZ: Vom Grafiker zum Imker, von der Unternehmensberaterin zur Sennerin - solche Geschichten klingen spannend. Aber wie oft erleben Sie so radikale Umbrüche in der Praxis?

Jutta Boenig: Vielleicht zweimal im Jahr. Den Satz "Ich muss etwas ganz anderes machen" höre ich allerdings weit häufiger, nämlich fast täglich.

Und dann raten Sie davon ab?

Nicht pauschal. Es gibt Menschen, die so einen Schritt gut durchdacht haben; ich habe etwa einen Ingenieur begleitet, der heute statt Drohnen in Deutschland Surfboards in Australien produziert. Entscheidend ist: Ihm war sehr klar, was ihn zu dieser neuen Vita bewog und was das bedeuten würde. Die allermeisten besinnen sich aber auf Stärken und Kompetenzen, die sie in ihrem bisherigen Beruf begleitet haben.

Wie kommt der anfängliche Wunsch nach radikaler Veränderung zustande?

In aller Regel wird die Idee einer beruflichen Neuorientierung durch eine weitergehende Sinnüberlegung - um das Wort "Krise" zu vermeiden - ausgelöst. Viele meiner Gesprächspartner kommen in der Lebensmitte; etwa nach zwei, drei Sitzungen kommt das Gefühl zum Vorschein: "Mein ganzes Leben wackelt." Dabei taucht meist auch der Gedanke auf: Eigentlich wollte ich etwas ganz anderes machen! Viele Menschen haben schließlich einen Beruf ergriffen, von dem sie zuvor keine genaue Vorstellung hatten, oder sind schlicht dem gefolgt, was ihre Eltern für richtig hielten.

Spricht nicht vieles dagegen umzusatteln? Und viel dafür, auf bereits Gelerntes und Erreichtes aufzubauen?

Zumindest sollten alle möglichen Wege der Veränderung betrachtet werden, auch jene innerhalb des Berufsfeldes. Auch die Frage, ob aus den Dingen, zu denen es einen hinzieht, ein Hobby oder ein Ehrenamt werden kann, gehört gestellt. Ich rate grundsätzlich dazu, alles, was einen ausmacht, als Teile in einer gefüllten Truhe zu betrachten. Und dann, Stück für Stück zu gucken: Was will ich behalten; was kann, oder muss weg? Und: Was sollte mehr Raum bekommen? Stellen sich dann Kompetenzen heraus, die vorhanden, aber unterrepräsentiert sind, die man gerne stärken will, ist das ein guter Ansatzpunkt, um eine passende Weiterbildung zu suchen.

Wobei sich da die Frage, ob das neue Berufsbild das richtige ist, ja erneut stellt. Richtig. Zudem wichtig ist zum einen eine selbstkritische Überprüfung von Fragen wie: Was ist mein Alleinstellungsmerkmal? Gibt es für das, was ich vorhabe, einen Markt? Das klingt trivialer als es ist - es existieren Berufsfelder, für die es weit mehr Fort- und Weiterbildungen gibt als Bedarf; im Bereich Coaching oder Mediation etwa. Zusätzlich empfehle ich, sich Berufsbilder anzuschauen. Eine unbezahlte Hospitation von ein bis zwei Wochen ist meist möglich, vor allem dann, wenn es Bedarf an neuem Personal gibt. Kürzer sollte es nicht sein. Man will ja einen authentischen Eindruck bekommen und mit Menschen ins Gespräch kommen.

Und wie findet man in dem bunten Strauß von Fort- und Weiterbildungen das richtige Angebot?

Im Prinzip genauso. Mit der Klärung der Fragen, wie viel Zeit man investieren kann, was für ein Lerntyp man ist und welche Kurse es in der Nähe gibt, ist es nicht getan. Einen besseren Eindruck bekommt, wer mit Lehrenden und Lernenden spricht. Ein Besuch am Tag der offenen Tür oder von Diskussionsveranstaltungen ist ein guter Anfang. Insgesamt gilt: Sich für eine nachhaltige Neuorientierung zu entscheiden ist Arbeit - und in zwei bis drei Monaten nicht erledigt. Insofern lautet eine der wenigen Regeln, die für alle gelten: Erst einmal kündigen und dann weitersehen ist eine schlechte Idee. So manch einer findet am Ende nämlich doch in Gesprächen mit dem Arbeitgeber eine Jobbeschreibung, die ihm wieder zusagt. Wer sich schließlich dazu entschließt, sich innerhalb des Unternehmens umzuorientieren, hat zudem gute Chancen, dass der Arbeitgeber sich an den Kosten für eine Fortbildung beteiligt.

Manche Bereiche erleben zurzeit eine immense Akademisierung, die Sozial- und Gesundheitsberufe etwa. Erzieher und Krankenpfleger sind häufig unzufrieden in ihren Berufen. Sind diese Studiengänge ein sinnvoller Weg?

Auch hier gilt: Nicht jeder ist der Typ für akademisches Lernen, und nicht für jede Richtung gibt es einen Arbeitsmarkt. Wer sich etwa im Süden Baden-Württembergs auf das Thema Inklusion spezialisiert, wird feststellen: Die Trägerlandschaft ist noch gar nicht so weit. Und wer nicht umziehen möchte, hat es am Ende womöglich schwer. Generell kann ein berufsbegleitendes Studium etwa in Richtung Sozial- oder Gesundheitsmanagement aber viel zum Positiven verändern. Erstens macht es wahrscheinlich, einer Arbeitsbelastung zu entkommen, die häufig der wesentliche Grund für die Unzufriedenheit ist. Und zweitens eröffnet es die Chance, das System ein bisschen zu verändern - auch wenn man, was den Umfang der Veränderung angeht, realistisch bleiben sollte. Wenn das gelingt, schafft man nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere bessere Bedingungen.

© SZ vom 07.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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