Kälbersterben:Blutung gestoppt?

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Seit 2007 sind in Deutschland etliche Kälber an einer mysteriösen Krankheit gestorben. Jetzt zieht Pfizer einen Impfstoff zurück, der möglicherweise damit zusammenhängt.

Hanno Charisius

Die Tierarzneisparte des Pharmaunternehmens Pfizer stoppt vorerst den Verkauf des Impfstoffs Pregsure in Deutschland. Es hatten sich Hinweise gehäuft, wonach das Mittel im Zusammenhang mit einer tödlichen Kälberkrankheit steht.

Erkrankte Tiere fangen im Alter von zwei bis drei Wochen ohne erkennbaren Grund an zu bluten - durch die Haut, aus den Körperöffnungen und in die inneren Organe. Meist endet das schauerliche Geschehen mit dem Tod des Tiers.

Seit dem ersten Auftreten der mysteriösen Rinds-Blutungen im Jahr 2007 wurden in Europa etwa 2000 Fälle gemeldet, 1600 davon allein in Deutschland.

Die erschreckenden Zahlen nahm Pfizer in der vergangenen Woche zum Anlass, den Impfstoff Pregsure einstweilen vom deutschen Markt zu nehmen, "obwohl keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und dem Kälberbluten vorliegen", wie Unternehmenssprecher Thomas Biegi betont.

Er weist darauf hin, dass die ersten Fälle mehrere Jahre nach der deutschen Markteinführung des Medikaments im Jahr 2004 bekannt wurden. "Über 13 Millionen Impfdosen wurden seither verkauft, acht Millionen davon allein in Deutschland."

Nach Rücksprache mit dem in Deutschland für die Sicherheit von Impfstoffen zuständigen Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen habe sich sein Unternehmen dennoch zum Verkaufsstopp entschlossen, sagt Biegi.

Knochenmark geschädigt

Aus den Meldungen der Bauern ging hervor, dass auffallend viele erkrankte Tiere von Müttern stammen, die den Pfizer-Impfstoff bekommen hatten. Am PEI sei man erfreut über die Entscheidung, sagt dessen Sprecherin Susanne Stöcker.

Mit Unverständnis reagiert der Leiter der Klinik für Wiederkäuer an der Universität München, Wolfgang Klee, auf die Ankündigung, die Arznei lediglich in Deutschland nicht mehr zu verkaufen. Die hohen Fallzahlen in Deutschland erklärt er damit, dass Tierärzte in Fachjournalen sensibilisiert worden seien.

Seit zwei Jahren untersucht Klee das unheimliche Geschehen in den Kälberboxen. Relativ rasch fanden Tierärzte heraus, dass die betroffenen Tiere eine gestörte Blutgerinnung haben. Bei vielen sezierten Kälbern ist das Knochenmark, in dem normalerweise Blutzellen und Gerinnungsfaktoren gebildet werden, stark geschädigt oder gar vollständig zerstört.

Die Ursache dafür vermuten Klee und seine Kollegen im sogenannten Kolostrum, der ersten Milch, die Kälber vom Muttertier bekommen. "Etwas muss mit der ersten Milch von den Müttern auf die Kälber übergehen, das das Knochenmark zerstört."

Die gängige Theorie ist, dass darin Antikörper schwimmen, die sich fatalerweise gegen das Knochenmark der Kälber richten. "Wir sind uns sicher, dass mehrere Faktoren dazu beitragen", sagt Klee. Einer davon könnte der Impfstoff Pregsure sein, der den Tieren verabreicht wird, um sie vor der Bovinen Virusdiarrhöe, einer schweren Durchfallerkrankung, zu schützen.

Dass der Impfstoff allein die Blutungen auslöst, hält er allerdings für unwahrscheinlich, sonst müssten von 13 Millionen geimpften Tieren mehr erkranken. "Derzeit können wir nur spekulieren", sagt Klee. Vielleicht erkranken nur Kälber von Muttertieren mit einer empfindlichen genetischen Ausstattung. Vielleicht spielen Umweltfaktoren wie das Futter eine weitere Rolle. Einige Forscher halten es auch für möglich, dass eine Virusinfektion zum Verbluten der Kälber führt.

Keine wirtschaftliche Bedrohung

Eine wirtschaftliche Bedrohung der Rinderhalter sieht Klee derzeit nicht. Normalerweise liegt die Kälbersterblichkeit bei zehn Prozent, die verblutenden Kälber fallen da anteilig kaum ins Gewicht. In der kommenden Woche trifft sich Klee mit drei weiteren Kollegen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Sie wollen die Ursache sowohl in den Genen als auch im Blut der Muttertiere suchen.

Es bleiben Rätsel: "Nicht alle Kälber eines Bestandes sind betroffen, und es gibt Bestände ohne blutende Kälber. Diese unterschiedlichen Gruppen wollen wir untereinander vergleichen." Als Wissenschaftler ist er fasziniert: "Man hat nur selten die Gelegenheit, eine neue Krankheit zu erforschen, die so viele Fragen aufwirft."

© SZ vom 14.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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