Interview zur Aids-Verbreitung:"In zwei Generationen kann Afrika die Epidemie besiegen"

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Thomas Kirsch-Woik, Arzt bei der Entwicklungshilfeorganisation GTZ, über die schwierige Arbeit auf dem schwarzen Kontinent - und erste Erfolge.

Judith Raupp

Zwei Drittel der weltweit 33 Millionen Aids-Infizierten leben nach Angaben der Vereinten Nationen im Süden Afrikas. Allein in diesem Jahr wird die Krankheit dort 1,6 Millionen Menschen das Leben kosten. So düster werde die Lage nicht bleiben, sagt Thomas Kirsch-Woik. Der 48 Jahre alte Arzt konzipiert die Aidsbekämpfungsprogramme der Entwicklungshilfeorganisation Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Er glaubt, dass die Epidemie in ein bis zwei Generationen in den Griff zu bekommen sei.

Thomas Kirsch-Woik (Foto: Foto: oh)

SZ: Herr Kirsch-Woik, weshalb hat sich Aids in Afrika schneller verbreitet als auf anderen Kontinenten?

Kirsch-Woik: Eine wichtige Ursache dürfte die Armut sein. Wer kaum Geld fürs Überleben und geringe Bildungschancen hat, erfährt auch nicht, wie man sich schützen kann.

SZ: Arm sind aber auch viele Menschen in Lateinamerika oder Asien, wo die Zahlen der Aidskranken deutlich niedriger sind.

Kirsch-Woik: Kulturelle, soziale und ökonomische Faktoren spielen natürlich auch eine Rolle. Die Definition von Männlichkeit und Sexualität ist in Afrika anders als im stark vom katholischen Glauben geprägten Lateinamerika. Zudem verdienen viele Männer im Süden Afrikas ihr Geld als Wanderarbeiter in den Gold- und Diamantenminen. Die Trennung von der Familie begünstigt außereheliche Kontakte.

SZ: Wie könnte man das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung stärken?

Kirsch-Woik: Die ökonomische Unabhängigkeit stärkt das Selbstbewusstsein und den Widerspruchsgeist. Wichtig ist, dass Frauen ausgebildet und wirtschaftlich unabhängig werden. In vielen Ländern Westafrikas sind die Aidszahlen niedriger als im südlichen Afrika. Das könnte damit zusammenhängen, dass dort mehr Frauen ihr eigenes Geld verdienen.

SZ: In Südafrika ist die Aidsrate welt-weit am höchsten, weil das Problem bisher ignoriert wurde.

Kirsch-Woik: Das Thema muss jetzt erst recht auf höchster politischer Ebene angesprochen werden, damit die südafrikanische Regierung ihre wichtige Führungsaufgabe im Kampf gegen Aids endlich wahrnimmt. Gleichzeitig müssen die Kräfte in Südafrika gestärkt werden, die sich seit Jahren des Problems engagiert annehmen. In Südafrika spielen auch noch die Gewalterfahrungen während des Apartheidregimes eine Rolle. Die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft auch der Männer gegenüber den Frauen ist ein erschreckendes Phänomen. Besonders in Kombination mit Alkohol sind Vergewaltigungen ein Riesenproblem.

SZ: Hilfsorganisationen kritisieren, dass die Arzneien trotz Preissenkungen noch zu teuer sind.

Kirsch-Woik: Durch massiven Druck von Nicht-Regierungsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen sowie die Konkurrenz von Medikamentenherstellern aus Asien sind die Kosten für die Aidsbehandlung in den letzten Jahren um 90Prozent gefallen. Das gilt allerdings nur für die Basismedikamente einer Aidstherapie. Müssen wegen Resistenzen des Virus andere Medikamente eingesetzt werden, sind diese häufig nicht verfügbar und viel zu teuer. Erfolge in der Aids-Bekämpfung, da es um menschliche Verhaltensänderungen geht, sind nur langfristig erreichbar und erfordern langen Atem. Hinzu kommt, dass es um menschliche Sexualität in all ihren Facetten geht, kein leichtes Thema.

SZ: Kann Afrika die Aidsepidemie überhaupt in den Griff bekommen?

Kirsch-Woik: Ich bin optimistisch. Als ich in Afrika gearbeitet habe, habe ich viele kompetente und engagierte Ärzte und Ärztinnen, Krankenschwestern und an Aids erkrankte Menschen getroffen. Ergebnisse gibt es nicht über Nacht. Aber in ein bis zwei Generationen kann Afrika die Aidsepidemie besiegen.

© SZ vom 1.12.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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