Impfung:Eine Welt ohne Krankheit

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Immer mehr Amerikaner lassen sich impfen, bevor sie nach Europa fahren. Das kleine Österreich hat fünfzig Mal mehr Masernfälle als die USA. Experten diskutieren Strategien für eine gesündere Welt.

Impfen schützt vor Infektionskrankheiten. Die Zeiten der lebensbedrohenden Epidemien ist vorbei. Doch auch in entwickelten Ländern sind noch längst nicht alle Gefahren gebannt.

Gigantische Erfolge im 20. Jahrhundert. (Foto: WHO/OMS)

Samstag trafen sich in Salzburg Impfexperten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zum Gedankenaustausch.

Trend zum Natürlichen

Die Gesundheitsexperten warnten vor einem Trend zum sogenannten Natürlichen und zeigten sich über die zunehmende Skepsis gegenüber Impfungen besorgt.

"Impfstoffe gehören zu den sichersten Arzneimitteln, die wir haben", hieß es auf einer gemeinsamen Pressekonferenz, "das Risiko, infolge einer Impfung ernsthafte Nebenwirkungen zu erleiden oder gar bleibende Gesundheitsschäden davonzutragen, ist äußerst gering."

Was die Experten gleichzeitig Sorgen macht, ist das Fehlen einer adäquaten Datenerhebung zur Impfpraxis.

Seit 1997 gilt seitens der Europäischen Union ein Gesetz, das ihre Mitgliedsländer zur Einrichtung von Überwachungssystemen hinsichtlich Infektionskrankheiten verpflichtet. Standards enthält diese Richtlinie jedoch keine, und so hat die Gesundheitspolitik nicht reagiert und noch kein entsprechendes System eingerichtet.

Nach dem Epidemiegesetz besteht hierzulande für Infektionskrankheiten nur eine passive Meldepflicht, im Gegensatz etwa zu den USA, wo eine aktive Überwachung verfolgt und von der Gesundheitspolitik auch finanziert wird.

Kein funktionierendes Meldewesen

"Österreich rangiert in dieser Hinsicht in der EU ziemlich weit hinten. Was existiert, ist ein Flickwerk auf Basis von Universitäts- und Eigeninitiativen", so Herwig Kollaritsch vom Wiener Institut für Tropenmedizin.

"Wie riskant das passive System ist, zeigt sich am Beispiel unserer Initiative eines Keuchhusten-Meldesystems. Uns erreichten gleich zu Beginn viermal mehr Meldungen als dem zuständigen Ministerium bekannt waren und auch jetzt verfügen wir über die korrekteren Zahlen, weil viele Kollegen in den Krankenhäusern unsere Arbeit aktiv unterstützen."

Kollaritsch benennt Informationssammlung und Trendbeobachtung als die wesentlichen Elemente einer rechtzeitigen Gefahrenerkennung, die zusammen mit einer entsprechenden Quantifizierung die Erstellung von Präventionsstrategien ermöglicht.

Für ein dem amerikanischen Center for Disease Control (CDC) entsprechendes, österreichweites Meldesystem würde die öffentliche Hand allerdings knapp 6 Millionen Euro im Jahr kosten. Eine entsprechende Initiative seitens der Gesundheitspolitik vermissen die Experten jedoch.

Gebannte Gefahren?

Im Lauf der vergangenen Jahrzehnte konnten in den entwickelten Ländern dank umfassender Impfkampagnen viele Infektionskrankheiten gebannt werden.

Vor allem die einst gefürchteten Epidemien durch Diphtherie sind mittlerweile Geschichte, die Erreger für Pocken und Kinderlähmung gelten in den europäischen Ländern als ausgemerzt.

Dennoch findet sich beispielsweise die Impfung gegen Diphtherie nach wie vor auf den Impfplänen: so gab es in den 90er Jahren in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion einen großen Ausbruch an Diphtherie mit über 50.000 Fällen im Jahr 1995 und mit tausenden Toten.

Experten meinen, dass schwere Infektionserkrankungen wie die Diphtherie jederzeit nach Österreich importiert werden könnten. Die Bevölkerung hat sich aber nach Meinung der Vorsorgemediziner nur allzu leicht an die Ausrottung von gefährlichen Infektionskrankheiten wie Polio, Diphtherie oder Pocken gewöhnt. Denn was nicht direkt wahrgenommen wird, wird auch nicht als Bedrohung empfunden.

Erste Erfolge sind jedoch sichtbar. Erst vergangenen November wurde im Journal der American Medical Association (JAMA 2000;284:2643-2647) die Ausmerzung von Masern und Röteln in Finnland bekannt gegeben.

Mangelnde Motivation der Ärzte

Dennoch bemängeln viele Experten die unzureichende Gesundheitspolitik. Der Grund dafür ist, dass es - anders als in Großbritannien oder in Finnland - in Deutschland und Österreich keine Impfprogramme gibt.

So finden sich nach den Empfehlungen des Sanitätsrate im aktuellen Impfplan 2001 viele Impfungen als "Indikationsimpfungen", das heißt sie gehören nicht zu den Grundimmunisierungen bei Säuglingen oder Kleinkindern.

Zwar schwören die Experten auf hohe Durchimpfungsraten mit Kombinationsimpfstoffen gegen typische Kinderkrankheiten, aber nicht immer gibt es exakte Zahlen.

"Uns fehlen die relevanten Daten zur Infektionsepidemiologie", sagt Heinz Schmitt, Leiter der Abteilung für Infektiologie der Kinderklinik Mainz. "Dieser offensichtliche Mangel verwundert, denn es gibt so gut wie keinen Lebens- oder Berufsbereich, wo nicht Ziele definiert werden, um auf einem bestimmten Weg kontrollierbare Erfolge zu erreichen.

Folgen sind mangelnde Motivation der Impfärzte, endlose Debatten über das beste Vorgehen beim Impfen und schließlich eine erhebliche Orientierungslosigkeit."

Programme sind nicht bekannt

Die Tatsache, dass es einen Impfplan der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) gebe, sei nicht einmal der gesamten Fachöffentlichkeit bekannt.

Daten über aktuelle Durchimpfungsraten wären nicht flächendeckend bekannt, so Schmitt, womit auch eine seriöse Erfolgskontrolle nicht möglich ist. Dadurch kommt nicht nur ein bekanntes Ziel wie die Ausrottung der Masern zu kurz, es sinkt auch die Akzeptanz zum Beschreiten neuer Wege.

Nur ein konsequent verfolgtes Impfprogramm führt im Kampf gegen notorische Infektionserkrankungen bei Kindern - vor allem Masern, Mumps und Röteln - zum Erfolg.

Entweder konsequent oder gar nicht

" Halbherzige Programme mit geringen Durchimpfungsraten sind sogar gefährlich", sagt der deutsche Medizin-Mathematiker Klaus Dietz, "wenn es nicht gelingt eine Herdimmunität aufzubauen, werden die Kinderkrankheiten nur in ein höheres Alter verschoben."

Wenn die Durchimpfungsraten unter 80 Prozent lägen, so Dietz, wäre es schon besser gar nicht zu impfen. Als konkretes Beispiel für diese Gefahren steht die Rötelnimpfung, wie sie in Griechenland praktiziert wurde.

Wenn Röteln während einer Schwangerschaft auftritt, so kann das Ungeborene schwer geschädigt werden. Nur etwa 50 Prozent der Mädchen waren bis gegen Ende der 90er Jahre geimpft. Die Folge war, dass die Röteln nicht ausgerottet, sondern nur in ein höheres Alter verschoben wurden. Damit traten sogar mehr Fälle von Rötelnschädigungen bei Neugeborenen auf als vor der Impfkampagne.

Abwarten statt vorbeugen

In den USA wird derzeit eine neue Impfung gegen Pneumokokken vehement propagiert. Sie verspricht die Bekämpfung der häufigsten und wichtigsten Infektionen im Kindesalter, von der Mittelohrentzündung, der Lungenentzündung bis hin zu invasiven Infektionen wie der Menengitis.

Obwohl in Studien die Wirksamkeit und die Verträglichkeit dieser Impfung dokumentiert sei, ist sie bei uns kein Thema. Abgesehen von vereinzelten Pneumokokken-Impfaktion für chronisch Kranke und Personen über 60 Jahren.

Schmitt dazu pessimistisch: "In Europa fehlen bisher sowohl Konzepte als auch Visionen - keine Fachgesellschaft hat sich bisher zu dem neuen Impfstoff geäußert. Solange Prävention keinen Vorrang hat vor kurativer Medizin wird sich an dieser unerfreulichen Gesamtsituation aber nicht ändern."

Günstige Kostenrechnung

Die Vermeidung individuellen Leidens und die Senkung der Kindersterblichkeit ist aber nur ein Aspekt dieses Erfolges, ein anderer ist die Einsparung auf Seiten der Gesundheitsausgaben.

Impfprogramme rechnen sich rein ökonomisch, da sich die Behandlungskosten von Erkrankungen weitaus höher zu Buche schlagen.

Bei besonders teuren Impfstoffen flammt diee Diskussion immer wieder auf. So wurde in Schweden anlässlich der Hämophilus-Schutzimpfung für Kinder in den 90er Jahren errechnet, dass sich der Staat durch die Einführung des Impfprogramm jährlich knapp 9 Millionen Euro (120 Millionen Schilling) an Kosten für Therapie und Folgekosten einer Behandlung der durch den Hämophilus-Erreger hervorgerufenen Kehlkopf- und Gehirnhautentzündungen ersparen konnte.

Welche Infektionen drohen heute?

Obwohl in Mitteleuropa seit zwei Jahrzehnten kein Fall von Kinderlähmung durch einen Wildvirus mehr bekannt geworden ist, und auch andere schwere Infektionserkrankungen wie Diphterie oder Tetanus zurückgedrängt wurden, ist nicht jede Gefahr gebannt.

Als neue Herausforderungen bezeichnet der Kinderarzt Karl Zwiauer vom Landeskrankenhaus St. Pölten die Infektionen durch Pneumo- und Meningokokken: "Die gefährlichsten Folgeerkrankungen dieser Infektionen sind dramatisch verlaufende, lebensbedrohliche Lungenentzündungen sowie die Gehirnhautentzündung. Jedes Jahr sind durch schwer verlaufende Erkrankungen Todesfälle bei Kindern und Jugendlichen zu beklagen."

In den USA oder Großbritannien trägt man dem bereits Rechnung und es stehen neue Impfstoffe in klinischer Erprobung.

Problemfall Masern

Aber auch die altbekannten Gefahren sind noch nicht ganz gebannt. Eine entsprechende Durchimpfungsrate gegen Masern bezeichnet der Experte als ein für Österreich leider immer noch offenes Ziel der Gesundheitspolitik: "Aggressivität und Virulenz der Masernviren ist im Steigen begriffen.", so Zwiauer. "Das kleine Österreich weist eine Dunkelziffer von bis zu 5.000 Maserninfektionen pro Jahr auf.

In den gesamten USA werden jährlich nur 100 bis 500 Fälle registriert. Dass es in Österreich noch immer zu tödlichen Gehirnhautentzündungen durch Masern kommt, ist daher letztlich ein gesundheitspolitischer Skandal."

Der US-Behörde CDC ist dieses Problem bekannt, und so werden amerikanischen Reisenden vorbeugende Schutzmaßnahmen gegen Masern empfohlen, die sich ausdrücklich auch auf die "entwickelten Länder in Europa und Asien" beziehen.

Gewaltiger Aufholbedarf

Nach wie vor tut Aufklärung not, darin sind sich die Experten einig. Die Angst vor den möglichen Nebenwirkungen einer Impfung lasse das ursprüngliche Krankheitsbild vergessen - was zur Verharmlosung der Bedrohung führe.

Bei verunsicherten Eltern, aber auch bei praktischen Ärzten setzt sich die bei Kinderkrankheiten oftmals riskante Meinung durch, das Durchmachen solcher Infektionen wäre eine natürliche Sache.

Die Beurteilung des Wertes von Impfungen lässt sich am besten durch eine Analyse der enormen Erfolge dieser Präventionsmaßnahme im 20. Jahrhundert ermessen.

Wer einst die vielen Fälle von Kinderlähmung gesehen hat, all die Rollstühle, die Krücken und ganze Säle mit "Eisernen Lungen", dem falle das nicht schwer, sagen die Experten.

Obwohl amerikanische Gesundheitsökonomiestudien belegen, dass die Impfprophylaxe eine kostengünstige gesundheitspolitische Maßnahme ist, beklagen die Fachleute das "Fehlen einer breiten Unterstützung aus Politik, Wirtschaft und Sozialversicherung", so Ernst Huber vom österreichischen Grünen Kreuz für Vorsorgemedizin.

"Um eine aktuelle Kostendimension aufzuzeigen, mag die Influenza-Epidemie 2000 in Österreich dienen. Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden lag bei 4,5 Milliarden Schilling (325 Mio. Euro). Davon entfielen 1 Mrd. auf die Spitalserhalter, 1 Mrd. auf die Sozialversicherungen und 2,5 Mrd. auf die österreichische Wirtschaft durch Arbeitsausfälle."

Die Influenza-Impfrate liegt in Österreich bei 25 Prozent. Jene der vergleichsweise wesentlich weniger gefährlichen FSME bei 84 Prozent.

"Das bedeutet jedoch nicht", so der Wiener Sozialmediziner Michael Kunze, "dass zu viel FSME geimpft wird, sondern dass wir bei allen anderen Krankheiten einen gewaltigen Aufholbedarf haben."

Quelle: surfmed

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