Homo heidelbergensis:De Adam g'funne!

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Vor 100 Jahren stieß ein Arbeiter nahe Heidelberg auf einen menschlichen Unterkiefer. Am Abend prahlte er in der Kneipe: "Heit haw ich de Adam g'funne." An diesem Statement ist etwas dran.

Reinhard J. Brembeck

Was würde ein heutiger, weder anthropologisch noch historisch allzu gebildeter Arbeiter denken, wenn ihm beim Graben in einer Sandgrube plötzlich ein Unterkiefer samt allen Zähnen in die Hände fiele? Natürlich nur das eine: Mord!

Vor 100 wurde der Unterkiefer des Homo heidlebergensis gefunden (Foto: Foto: AP)

Daniel Hartmann, dem das vor 100 Jahren, am 21.Oktober 1907, passierte, dachte etwas ganz anderes. "Dem Wein wie dem Gesang war er gleichermaßen zugetan", schreibt der Stuttgarter Urgeschichtler Karl Dietrich Adam, "einen Schluck Schnaps zur Stärkung wusste er sehr wohl zu schätzen und den heimischen Tabak verstand er in seiner Pfeife genussvoll zu rauchen." Trotz seines Hedonismus war Hartmann kein Ignorant. Denn beim Abbau der Kiese und Sande im Gewann Grafenrain bei dem Dorf Mauer waren schon öfter Teile vorzeitlicher Tiere zum Vorschein gekommen.

Archäologen kannten die Sandgrube

Prominentestes Beispiel ist der 1887 entdeckte Waldelefantenschädel samt linkem Stoßzahn. Der Fund hatte die Archäologen in die Sandgrube gelockt. Vor allem der Vorgeschichtler Otto Schoetensack aus dem nahen Heidelberg kam öfter und erklärte den Arbeitern, worauf sie zu achten hätten. So wusste Hartmann durchaus Bescheid über den Unterschied zwischen einem Affen- und einem Menschengebiss - weshalb er bereits am Abend seiner Entdeckung in der Kneipe prahlen konnte: "Heit haw ich de Adam g'funne."

Das war etwas übertrieben, auch wenn der Unterkiefer als Jahrhundertfund Sensation machte, als das älteste bis dahin bekannte menschliche Fossil in Europa - nur Knochenfunde aus Java galten damals als älter. Heute wird der Unterkiefer auf ein Alter zwischen 78.3000 und 66.0000 Jahren geschätzt.

Das Stück gab gleich einer ganzen Spezies den Namen: "Homo heidelbergensis". Diese Bezeichnung stammt von Schoetensack, ist aber, weil das Stück bei Mauer und nicht in Heidelberg gefunden wurde, nicht ganz richtig. Weshalb mancher Forscher elegant großmäulig von der "Mauerer Mandibula" spricht.

Der Unterkiefer ist so massiv wie der eines Schimpansen, ihm fehlt das Kinn und nur das Gebiss ähnelt dem Pendant eines modernen Menschen. Das Stück, das im Bett jenes Flusses, der heute Neckar heißt, konserviert wurde, blieb trotz intensiver Suche in der Gegend der einzige menschliche Fossilienfund.

Aber man weiß wenigstens, in welcher Umwelt der bei seinem Tod noch nicht vierzigjährige Heidelberger gelebt hat. Waldnashorn, Waldelefant und Flusspferd waren seine tierischen Konkurrenten, und das lässt auf ein angenehmes, "warm-gemäßigtes, maritimes Klima" schließen, argumentiert der Urgeschichtler Karl Dietrich Adam.

Zu was für einer Sorte Mensch gehörte dieser Unterkiefer? Wie immer, wenn es um die lange und durch nicht allzu viele Funde dokumentierte Vorgeschichte des Menschen geht, ist das eine komplizierte Frage voller Hypothesen, Vermutungen und Unsicherheiten. Weshalb sich die Forschungsergebnisse, Datierungen und Herleitungen oft widersprechen und nur mit Vorbehalt geglaubt werden dürfen.

Vor 1,8 Millionen Jahren begann mit einem deutlichen Absinken der Temperaturen weltweit das, was man etwas pauschal "Eiszeit" oder besser "Pleistozän" nennt. Eine Zeit, die erst vor 12.000 Jahren zu Ende ging und sich als eine Folge von längeren Kalt- und kürzeren Warmzeiten darstellt.

Vom Beginn des Pleistozäns datieren die ersten Funde des Frühmenschen "Homo erectus" oder "Homo ergaster" in Dmanisi (Georgien) und auf Java; etwa 300.000 Jahre später findet sich dieser Frühmensch in der Olduvai-Schlucht (Tansania), und zeitgleich datiert der fast vollständige Skelettfund von Nariokotome (Kenia), der den klassischen Erectus liefert.

Wann dieser Frühmensch in Europa einwandert, ist umstritten. Während des Pleistozäns herrschte zumindest südlich der großen Gebirge Pyrenäen, Alpen, Karpaten ein "warm-trockenes, mediterranes Klima", sagt der Archäologe Michael Baales. In diesem Raum scheint vor mehr als einer Million Jahre eine Erstbesiedelung durch den Erectus, die wohl über die Levante von Afrika her erfolgte, stattgefunden zu haben.

Die berühmtesten Fundorte: Menschliche Knochenstücke aus Orce, Südspanien, werden auf ein Alter von 1,2 bis 1,3, manchmal sogar auf 1,6 bis 1,8 Millionen Jahre geschätzt. In der nordspanischen Gran Dolina bei Burgos und auch im italienischen Ceprano kommt man nur auf ein Alter von 800.000 Jahren.

Nördlich der großen Gebirge herrschte zumindest während der Kaltphasen des Pleistozäns ein viel raueres Klima. Besonders die Winter - woran sich bis heute nichts geändert hat - waren eine große Herausforderung für den (Früh-)Menschen. In dieser Umgebung erscheint der Homo erectus erstmals in Form der Mauerer Mandibula - sie ist bis heute das älteste menschliche Fossil Nordeuropas. Wobei die Bezeichnung Homo heidelbergensis häufig durch Homo erectus ersetzt wurde, in letzter Zeit aber wieder populärer geworden ist, um diesen Europäer von seinen asiatischen Erectus-Verwandten abzugrenzen.

Großwildjäger

Dass dieser frühe Europäer namens Erectus bereits sehr viel von Zivilisation verstand, zeigt beispielhaft ein sensationeller Fund aus Schöningen bei Helmstedt. Dort entdeckte man 1994 sieben hölzerne Wurfspeere, mit denen vor 400.000 Jahren Pferde und damit ein äußerst schnelles und geschicktes Großwild gejagt wurden.

Die Zukunft des europäischen Erectus oder Heidelbergensis war dann der Neandertaler. Dieser wurde viel populärer als sein Heidelberger Vorfahr, obwohl der Neandertlaler jünger ist und schon 1856 entdeckt wurde. Vor etwa 400.000 Jahren entwickelte sich der Heidelbergensis über eine Zwischenstufe zum Neandertaler, der sich dann fast 200.000 Jahre bis zu seinem Aussterben vor etwa 30.000 Jahren behaupten kann. Während sich aus einer Seitenlinie des Erectus unsere eigene Spezies entwickelte. Der Heidelberger kann deshalb irgendwie dann doch als unser aller Adam gelten kann. Zumindest als einer von ihnen.

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