HITS:Entwicklung am Computer

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Das Heidelberger Institut für Theoretische Studien konzentriert sich auf Interdisziplinäres.

Von Miriam Hoffmeyer

Ein Knäuel aus bunten Kügelchen erscheint auf dem Bildschirm. Sie wabbeln und schwabbeln und drehen sich, bis sich der Knäuel entfaltet, ein grün markierter Abschnitt nach vorn rutscht - und damit zugänglich wird für ein Enzym, das die Verbindung wie eine Schere durchschneidet. Der Knäuel stellt einen Ausschnitt aus einem Protein dar, die Kügelchen Atome. "Wir simulieren am Computer, was auf der molekularen Ebene passiert", sagt Frauke Gräter, Leiterin der Gruppe "Molekulare Biomechanik" am Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS).

Die Wissenschaftlerin beschäftigt sich mit dem Einfluss mechanischer Kraft auf die Abläufe im lebenden Organismus. Mithilfe von Hochleistungsrechnern hat sie den Mechanismus entschlüsselt, der die Blutgerinnung steuert: Wenn sich ein Mensch verletzt, fließt das Blut im Bereich der Wunde schneller als sonst. Diese mechanische Fließkraft löst Bewegungen auf molekularer Ebene aus, die erst zur Blutgerinnung führen und diese dann rechtzeitig wieder beenden, bevor Thrombosen entstehen. "Das sind Vorgänge, die man selbst mit den modernsten hochauflösenden Mikroskopen nicht sehen kann."

"Wir nutzen dieselben Methoden und kommen darüber miteinander ins Gespräch"

Frauke Gräter ist seit 2014 Professorin an der Universität Heidelberg. Zum HITS stieß sie schon fünf Jahre vorher, kurz vor der offiziellen Gründung des Instituts. "Die große Freiheit hier hat mich angelockt", meint sie. "Am HITS wird man nicht in eine Fachschublade gesteckt - und ich strecke mich gern in andere Disziplinen aus: Ich bin von Haus aus Chemikerin, habe meinen Lehrstuhl an der Fakultät für Biologie und unterrichte zurzeit vor allem Physiker." Programmieren kann sie ohnehin, wie alle Wissenschaftler hier.

Die interdisziplinäre Grundlagenforschung ist das Besondere am HITS: Während die meisten Forschungsinstitute auf eine Fachrichtung spezialisiert sind, arbeiten an dieser kleinen Einrichtung Wissenschaftler aus verschiedenen Gebieten der Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik. Trotzdem hat ihre Forschung einen gemeinsamen Nenner: Sie findet fast ausschließlich am Computer statt. Alle 120 HITS-Forscher verarbeiten, strukturieren und analysieren große, komplexe Datenmengen und entwickeln dazu computergestützte Methoden und Software. Mit diesem Auftrag hatte Klaus Tschira, Mitgründer des Softwarekonzerns SAP, das Institut 2010 ins Leben gerufen. Während die Molekularbiologen am HITS sichtbar machen, was sich innerhalb von Mikrosekunden auf kleinstem Raum abspielt, erforschen ihre Kollegen von der Astrophysik - die den zweiten Forschungsschwerpunkt des Instituts bildet - Prozesse in unvorstellbar großen Dimensionen, zum Beispiel die Entstehung von Sternen oder Galaxien.

Zur Grundfinanzierung durch die HITS-Stiftung, die zur Klaus-Tschira-Stiftung gehört, kommen Drittmittel, etwa von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seit der Gründung haben auch schon vier HITS-Forscher ERC Grants erhalten, besonders begehrte Stipendien, die der Europäische Forschungsrat an Spitzenwissenschaftler vergibt. Auch weil das HITS von Anfang an eng mit den Universitäten Heidelberg und Karlsruhe zusammenarbeitete, konnte es sich so schnell etablieren. Inzwischen gibt es mit beiden Hochschulen gemeinsame Berufungen. In den vergangenen drei Jahre verdoppelte sich die Zahl der dauerhaften Forschungsgruppen auf zehn, hinzu kommen zwei Juniorforschungsgruppen, die jeweils auf fünf Jahre angelegt sind.

Der Informatiker Michael Strube, Institutssprecher des HITS, ist dafür, die Balance zwischen den beiden Forschungsschwerpunkten und den übrigen Gruppen, die sich in den Gründungsjahren entwickelt hat, auch künftig beizubehalten: "Auch wenn unsere Fachgebiete sehr unterschiedlich sind, nutzen wir dieselben Methoden und kommen darüber ins Gespräch." So seien selbstlernende Computerprogramme - ein Gebiet, auf dem sich die Entwicklungen derzeit überschlagen - für alle Kollegen relevant. Strube selbst leitet die Gruppe "Natural Language Processing", die sich der automatischen Verarbeitung natürlicher Sprache widmet. "Wir arbeiten unter anderem an Computerprogrammen, die wissenschaftliche Texte automatisch zusammenfassen. Dazu haben wir biomedizinische Veröffentlichungen aufbereitet. Die Qualität dieser Zusammenfassungen können nur Fachwissenschaftler einschätzen, deshalb ist die Zusammenarbeit mit den Molekularbiologen an unserem Institut für uns eine sehr große Hilfe." Auch Unterschiede zwischen den Fachkulturen treten gelegentlich plastisch hervor: Als Strube klagt, wie stark sich das Veröffentlichungskarussell in der Informatik beschleunigt hat, zieht die Mathematikprofessorin Anna Wienhard die Brauen hoch: In ihrem Fach gehe es immer noch in erster Linie darum, alles gründlich zu durchdenken - egal, wie lange das dauere.

Wienhard leitet die Forschungsgruppe "Groups and Geometry" am HITS. Das Forschungsspektrum an der Uni Heidelberg sei zwar wesentlich breiter, doch das HITS biete mehr Gelegenheit zum unkomplizierten Austausch, weil es klein und überschaubar sei, sagt sie. "Und die Verwaltung am HITS ist schnell und flexibel und sieht sich - ähnlich wie Universitätsverwaltungen in den USA - in erster Linie als Serviceeinrichtung für die Forschung." Seit 2016 gehört das HITS zu den Partnern des Heidelberg Laureate Forums.

© SZ vom 26.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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