Hirnforschung:Der Krieg um die Köpfe

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Autokonzerne und Experten für innere Sicherheit interessieren sich immer stärker für die Neurowissenschaften. Führt die Eroberung des Gehirns so weit, dass der Mensch bald von außen gelenkt werden kann?

Olaf Arndt

Bei den deutschen Automobilkonzernen wächst das Interesse am Gehirn. Die "Erweiterung" oder Kontrolle der menschlichen Sinne sind ebenso Themen wie "Drogeneinsätze im Krieg".

Implantat zur Messung der Hirnströme (Modell): Idee der technizistischen Menschenführung (Foto: Foto: Reuters)

Die Konzeption und das Design neuer Wagentypen sollen von solchen Erfahrungen zunehmend bestimmt werden. In fünf bis acht Jahren können "Roboter" in Form von Platinen, Software, Sensoren und Kameras den humanoiden Fahrer weitgehend ablösen, hört man aus den Forschungsabteilungen.

Ein Wissenschaftler in führender Funktion bei einem deutschen Marktführer in der Autobranche hatte kürzlich einen Werbetext seiner Marketingabteilung im Kernspin-Tomografen überprüfen lassen. Dazu mussten sich Probanden einer Fahrsimulation aussetzen.

Man wertete aus, in welchen Hirnzonen auffällig starke Aktivitäten zu verzeichnen sind, wenn sich das virtuelle Fahrzeug in schwierigen Situationen bewährt. So hat man den Sitz der Begeisterung ermittelt und eine Basis für die Hauptthese der Kampagne geortet.

Nun fragen sich die Experten: Kann Lenkung ohne Lenkrad, Schalthebel und Gaspedal, allein mit der Absicht zu steuern, funktionieren? Vielleicht unterstützt von einer Gedankenlesemaschine? Können wir nur mit dem Willen Maschinen lenken, die unsere Vorhaben voraussehen? Und welche Folgen sind zu erwarten, wenn dank eines Forschungsprojekts des Max-Planck-Instituts die "Gedanken nicht mehr frei" ( Vanity Fair) sind?

Kleine elektrische Ströme in den Helmen von Militärpiloten

Was passiert, wenn nicht das Max-Planck-Institut mit seiner Magnetresonanz-Leseapparatur den Kopf des Fahrers analysiert, sondern sich ein Terrorist in die Gedanken einklinkt?

Solche Szenarien ventiliert das aktuelle Buch von Jonathan Moreno " Mind Wars, Brain Research and National Defense". "Dual use"-Helme, die bei Air-Force-Piloten und lernschwachen Kindern dem Verlust von Aufmerksamkeit mit kleinen elektrischen Strömen gegensteuern, stellen hierbei die neue symbolische Kerntechnologie dar.

Unter dem Titel "Hirnkriege. Neurowissenschaften und Nationale Verteidigung" untersucht der im Staatsauftrag tätige Bioethiker Fakten und Gründe für die wachsende Bedeutung der Hirnforschung für die Innere Sicherheit. Unter der Überschrift "Wir bauen einen besseren Soldaten" listet Moreno viele Strategien auf, die auch die Autohersteller bewegen.

Wie erhalte ich die Konzentration und verbessere Reaktionszeiten? Wie verhindere ich Schlaf? Wie komme ich "abweichendem Verhalten" zuvor? Dass der "Krieg eines jeden gegen jeden" im Alltag auf der Straße stattfindet, wenn die "allgemeine Macht" kein Mittel findet, alle im Zaum zu halten, schrieb Thomas Hobbes bereits 1651 im "Leviathan".

Kooperation zwischen Geheimdiensten und Wissenschaften "unverzichtbar"?

Das wissen heute alle Pendler und Langstreckenfahrer auf den Autobahnen. Künftig werden nun intelligentere Maschinen als wir und Autopilot-Systeme mit Strahlen, Strom und Chemie den Sitz der Fehlerquellen, nämlich unser Gehirn, ins Visier nehmen, es messen, kontrollieren und nötigenfalls die Regie übernehmen.

Moreno kommt in seinem Buch zu einem eigenartigen Ergebnis. Wissenschaft sei ein Beispiel für die "offene Gesellschaft", in der Geheimnisse minimiert sind, schreibt er. Kooperation zwischen freien Wissenschaftlern und Geheimdienstlern halte er daher für unverzichtbar, auch im Sinn einer "gesunderen Gesellschaft".

Das meint er durchaus wörtlich. Die Staatspolizei erhält so nicht nur allgemeine "gesellschaftssanitäre" Aufgaben, sondern greift konkret in die geistige Gesundheit der Bürger ein. Der Leser mag sich wundern über solch einen Schluss, argwöhnt der Autor selbst.

Aber er halte eine Mitarbeit an solchen Entwicklungen für besser, als sie jenseits ziviler Kontrolle allein dem Militär und den ihm nahe stehenden Forschungseinrichtungen zu überlassen, die alle der Schweigepflicht unterliegen.

Dass Morenos Glaube an die Heilkraft einer Kooperation ziviler Kräfte mit dem Militär wenig zielführend ist, zeigt allerdings die Forschung in Konzernhand. Die Verschränkung staatlicher Schutzinteressen mit der Profitorientierung der Firmen führt jede Phantasie, dass die Zivilgesellschaft an diesem Prozess teilhaben könne, ad absurdum. Der Marktwert der Erfindungen bestimmt den Zugang zum Wissen. Die Transparenz hat ihre Grenze im Betriebsgeheimnis.

Millionen Weberschiffchen

Eine Verbindung von Innerer Sicherheit und Neurowissenschaft lag seit 1990 nahe, als Präsident Bush die "Dekade des Gehirns" ausrief. Er verglich die "Eroberung des Gehirns" mit Columbus' Landung in Amerika und sicherte sich für die neue Conquista eine Anzahl herausragender Wissenschaftler.

Eingeläutet wurde die Kolonisierung des Gehirns mit einer furiosen Ausstellung, die den programmatischen Titel "Der verzauberte Webstuhl" trug. Der Nobelpreisträger Sir Charles Sherrington hatte diese metaphorische Umschreibung des Gehirns 1937 geprägt. "Millionen aufblitzender Weberschiffchen erzeugen ein unauflösbares Muster, immer voller Bedeutung, aber niemals an feste Regeln gebunden."

Heute, zu Beginn des "Jahrhunderts des Geistes" (century of the mind), rückt ins Bewusstsein, dass die Muster des Webstuhls einem Programm entspringen könnten, das zunehmend von der "mind control" bestimmt ist, einer immer machbarer scheinenden technizistischen Menschenführung.

Es ist also nicht sehr überraschend, dass es auch bei einem weiteren Termin in der Autobranche um Innere Sicherheit ging. Der Chef der Abteilung erzählte im Plauderton, man habe kürzlich auf Anfrage der Bundesregierung einen Workshop mit Soziologen, Bionikern, Hirnforschern, Steuerungstechnikern und anderen Experten abgehalten.

Wie viel "mind control" ist machbar - und gewollt?

Am Beispiel von Berlin habe man die augenblickliche "soziale Segregation extrapoliert". Das sollte so viel heißen wie: Was passiert eigentlich, wenn sich Probleme mit Migranten und schlecht integrierten Deutschen ausländischer Herkunft wie kürzlich in Kreuzberg und Neukölln verschärfen?

Die Gruppe von Wissenschaftlern entschied sich "klassisch" für das Einzäunen - zum Schutz der "höherwertigen Lebensräume" und um zu verhindern, dass marodierende Horden aus den weniger wertvollen Quartieren die ungeschützten urbanen Zwischenlagen plündern.

Dass eine Kasernierung der "Unzufriedenen" soziale Spannungen eher verstärkt, fiel unmittelbar auf. Der Vorschlag der Arbeitsgruppe: die bestehende Infrastruktur nutzen und die unruhigen Bezirke über Drogen im Trinkwasser ruhig stellen.

Nun ist Verhaltenskontrolle so alt wie die Organisation menschlicher Gemeinschaft. Das gilt ebenso für alle Arten von Psychotechnik, für Medikamente, Apparate, chirurgische Eingriffe und sogar für die derzeit sehr populären "nicht-invasiven Techniken", denen Moreno ein ganzes Kapitel widmet und mit deren Hilfe von außen, ohne operativen Eingriff, Einfluss auf die Hirntätigkeit genommen werden kann.

Soziale Probleme sind niemals psychotechnisch zu lösen

Entsprechungen für die aktuellen Innovationen datieren in der Medizingeschichte zumindest bis in vorchristliche Zeit zurück. Was ist also daran so neu? Was scheint gefährlich?

1979 hat der Psychologe und Hirnforscher Stephan L. Chorover in seinem Meisterwerk "Die Zurichtung des Menschen" betont, dass soziale Probleme niemals psychotechnisch zu lösen seien. Noch 1851, so Chorover, gingen Experten davon aus, dass man eine angeborene "Geisteskrankheit der Negerrasse", die zu aufsässigem Verhalten führe, durch "tägliche Prügel" vollständig heilen könne.

Dies wurde geglaubt und praktiziert, da es sich als wissenschaftlich untermauert auswies. Es findet seine heutige Entsprechung in der Psychiatrisierung von Dissidenten oder im pharmakologischen Ruhigstellen hyperaktiver Kinder.

Chorover empfiehlt zu Recht, genau danach zu schauen, wer die Manipulationen vornimmt, denn "die Definition sozialer Probleme spiegelt die Interessen und Ziele politisch mächtiger Einzelpersonen oder Institutionen wider". In diesem Sinn sollte es nachdenklich stimmen, wenn Ansätze dazu erkennbar werden, dass eine Regierung einer Autofirma und ihrer angewandten Forschung Teile ihrer Fürsorgeverpflichtung abtritt.

Das gleiche gilt für die täglich wechselnden sicherheitspolitischen Rezepte, denen zunehmend fundamentale Rechte geopfert werden - am Ende noch die Verfügung über den eigenen "verzauberten Webstuhl".

Der Verfasser ist Autor von "Demonen. Zur Mythologie der Inneren Sicherheit" (Hamburg 2005) und arbeitet mit dem Wiener Philosophen Wolfgang Pircher an einem Buch über den Einsatz der Wissenschaften im Kampf gegen den Terror.

© SZ vom 18.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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