Gewinner des Klimawandels:"Wir werden vom Süden aufgerollt"

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Der Klimawandel hat die Tier- und Pflanzenwelt in Deutschland längst erreicht. Und für viele Arten hat er sogar positive Folgen.

Robert Lücke

Hektisch nickt der knallbunte Vogel von seinem Ast herunter, flattert auf, um Sekunden später wieder zu landen. Jetzt hat er eine dicke Biene im Schnabel.

Der Bienenfresser fühlt sich in Deutschland immer wohler. (Foto: Foto: oh)

Ein paar Meter entfernt schwirren vier weitere der amselgroßen Tiere vor den Eingängen ihrer Bruthöhlen, ihr Gezwitscher erfüllt die vor Hitze flimmernde Luft. Solche Szenen würde der Kenner eigentlich in den Savannen Afrikas oder dem Dschungel des Amazonas erwarten - aber gewiss nicht im Kaiserstuhl.

Der Bienenfresser, ein mediterraner Spint-Vogel und naher Verwandter von Eisvogel und Wiedehopf, fühlt sich in Deutschland immer wohler. Er liebt und braucht die Wärme, seine Heimat ist eigentlich der Mittelmeerraum.

Doch seit etwa zehn Jahren beobachten Ornithologen den Vogel vermehrt in unseren Breiten. In Ihringen, eine halbe Stunde von Freiburg und Basel entfernt, gibt es eine Brutkolonie mit etwa 500 Vögeln.

Auf insgesamt 1000 Bienenfresser schätzt der Bonner Biologe Markus Nipkow zurzeit den wachsenden Bestand in Deutschland. "Die Erderwärmung kommt ihm entgegen", sagt der Vogelschutzexperte vom Naturschutzbund Nabu.

Der Frühling beginnt früher

Der Klimawandel hat die Tier- und Pflanzenwelt längst erreicht. Für viele Arten hat er sogar positive Folgen.

Sie können ihr Verbreitungsgebiet zum Teil beträchtlich nach Norden ausweiten, überstehen den Winter zunehmend auch in Mitteleuropa, bringen mehr Nachwuchs durch und profitieren von einem größeren Nahrungsangebot: Raubtiere finden mehr Beute, Pflanzenfresser bessere Bedingungen, weil ihre Futterpflanzen früher austreiben. Kälteliebende oder anpassungsunfähige Arten hingegen sind auf dem Rückzug nach Norden.

Wolfgang Cramer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung spricht statt von Gewinnern und Verlieren lieber von einer "Verschiebung der Verbreitung" - auch wenn es wahrscheinlicher sei, dass mehr Arten aussterben als andere neue Lebensräume erschließen.

Nach heutigem Stand sind manche Veränderungen möglicherweise nur kurzfristiger Art. "Für viele Tiere ist ja nicht die jährliche Durchschnittstemperatur entscheidend, sondern die Frage, ob es durch die Wärme zugleich trockener wird", sagt Cramer.

Auf den Britischen Inseln könnte die Erwärmung wegen des maritimen Klimas und größerer Feuchtigkeit für viele Arten positiver sein als im kontinental geprägten Osteuropa, wo die Hitze mit großer Trockenheit einhergeht. Wer gewinnt und wer verliert, das entscheidet sich erst, wenn klar ist, wie sich das Klima tatsächlich verändert.

Das exakte Ausmaß kann auch der UN-Klimarat IPCC in seinem neuen Bericht noch nicht vorhersagen, dessen Zusammenfassung am Freitag in Paris vorgelegt werden soll. Die deutsche Tier- und Pflanzenwelt jedenfalls wird in Zukunft anders aussehen als heute.

Bereits der gemessene durchschnittliche Temperaturanstieg um 0,95 Grad Celsius in Deutschland hat für eine Verschiebung der Klimazonen um bis zu 100 Kilometer nach Norden gesorgt.

Folglich beginnt der Frühling zeitiger - zwischen zwei und sieben Tagen früher als noch vor 20 Jahren, wie Annette Menzel, Ökoklimatologin an der TU München, ermittelt hat.

Manche Insekten schlüpfen deshalb neuerdings zu einem Zeitpunkt, an dem ihre Futterpflanzen noch keine Triebe haben - und verhungern. "Wenn es sich dabei um Schadinsekten handelt, wird man sagen: Na prima. Aber wenn daraus ein schöner Schmetterling geworden wäre, reden alle vom Artensterben." Anpassungsfähigkeit und Wärmeliebe sind künftig evolutionäre Vorteile.

Beide Eigenschaften vereint offensichtlich der unbeliebte Borkenkäfer. "Er schafft in den zunehmend wärmeren Jahren statt normalerweise nur zwei nun drei oder sogar vier Generationen", sagt Menzel.

Längere und wärmere Sommer begünstigen seine Vermehrung, milde Winter ohne strengen Dauerfrost lassen viele seiner Larven überleben.

So konnte sich das gefräßige Insekt im warmen Sommer 2006 in vielen Gegenden Mitteleuropas beinahe explosionsartig vermehren. Mildere Winter sorgen auch in den Rocky Mountains für eine Ausbreitung des Käfers, der bei der Auswahl seiner Futterpflanzen nicht wählerisch ist.

Auch den Dornfinger, eine Giftspinne, deren Bisse Ähnlichkeit mit Hornissenstichen haben, finden Zoologen seit einiger Zeit vermehrt in Deutschland.

Sie stammt wie die Sandmücke aus dem Mittelmeerraum; dieses Insekt überträgt die parasitäre Infektionskrankheit Leishmaniose. Häufiger gesichtet werden auch die knallrote Feuerlibelle, die aus Südeuropa, Afrika und Westasien stammt, der früher hierzulande unbekannte goldgelbe Laufkäfer oder der prächtige Segelfalter, den man sonst nur von Wärmeinseln an Mosel, Oberrhein oder der Fränkischen Schweiz kannte.

Die Stare fliegen nicht mehr

Nun könnten Neuzugänge in der Insektenwelt für insektenfressende Vögel von Vorteil sein. Jedoch beobachten Naturschützer bei heimischen Insekten seit Jahren einen deutlichen Rückgang.

"Insektenfresser wie Schwalben und Mauersegler profitieren solange nicht vom Klimawandel, wie das Verschwinden ihrer Beute nicht durch die Neubürger übertroffen wird", sagt Biologe Nipkow.

Genaue Wechselwirkungen zwischen Temperaturanstieg und Artenzuwachs sind daher nur schwierig zu bewerten. Ob und wie sich die neu ansiedelnden Arten in die vernetzten Biotope und Nahrungsgefüge einfinden, kann niemand mit Gewissheit sagen.

Umso bedeutsamer ist da eine bislang weltweit einzigartige Studie unter Federführung der Universität Mainz. Von 1980 bis 2002 hatten Vogelbeobachter in einem 1200 Quadratkilometer großen Gebiet am Bodensee alle dort vorkommenden Vogelarten kartiert - deren Daten wurden nun von den Mainzer Forschern ausgewertet.

"Seit 1900 schlägt der Klimawandel dort voll durch"

"Seit 1900 schlägt der Klimawandel dort voll durch. Die Auswirkungen sind weit größer als jeder noch so gravierender Landnutzungswandel", sagt Katrin Böhning-Gaese, Ökologin an der Universität Mainz.

Während die Temperatur in dem untersuchten Zeitraum am Bodensee um 2,4 Grad Celsius anstieg, erhöhte sich die Zahl der Vogelarten von 141 auf 156. "In so kurzer Zeit ist das dramatisch. Und es ist nur der erste Zipfel. Alles gerät in Bewegung."

Mediterrane Arten wie Zaun- und Zippammer, Orpheusspötter, Mittelmeermöwe und Purpurreiher zählen nun zur festen Fauna am Bodensee, sagt Böhning-Gaese, die ihre Forschungsergebnisse demnächst im Journal Conservation Biology veröffentlicht.

Ob diese Neuzugänge heimischen Arten Futter- und Nistmöglichkeiten streitig machen, weiß niemand. "Vielleicht genügen die Ressourcen für alle. Aber genaue Folgen sind noch nicht abzuschätzen."

Auch im Wasser hat die Artenwanderung bereits eingesetzt: Vor Mallorca sahen Taucher einen Weißspitzenriffhai, der sonst im Indopazifik lebt. An italienischen Küsten zählten Meeresbiologen 59 Fischarten, die aus dem Roten Meer stammten. 39 sind von den afrikanischen Küsten des Atlantiks über Gibraltar ins Mittelmeer eingewandert, darunter Barrakudas, Rotfeuerfische, tropische Quallen, Hammerhaie und Seepferdchen.

An verschiedenen Stellen ist das Mittelmeer seit 1995 um bis zu drei Grad wärmer geworden, zudem stieg der Salzgehalt an, was vielen tropischen Arten entgegenkommt.

Selbst die eher kalte Nordsee bekommt Zuwachs: "Arten, deren nördlichste Verbreitungsgrenze zwischen Großbritannien und Dänemark liegt, profitieren von den zunehmend wärmeren Wintern", sagt Siegfried Ehrich, der wissenschaftliche Direktor an der Bundesforschungsanstalt für Fischerei.

So haben südliche Arten die Chance, dauerhaft zu überleben, vor allem Roter Knurrhahn, Sardelle, Meerbarbe und der Ornament-Leierfisch. Neuerdings wird auch der warme Gewässer bewohnende Wolfsbarsch, eine Raubfischart, häufiger gesichtet.

Weil der Kabeljau in der südlichen Nordsee selten geworden ist, vermehren sich dessen Beutetiere wie Leierfisch oder die Zwergzunge stark. "Vielleicht könnte der Wolfsbarsch diese Lücke einmal schließen", sagt Ehrich.

Nicht nur Lebensräume ändern sich, sondern auch das Verhalten mancher Tiere. Besonders deutlich wird das bei Zugvögeln, insbesondere den Kurz- und Mittelstreckenwanderern, die in Mittel- und Südeuropa überwintern.

Manche Zugvögel aus Nordskandinavien, die noch vor Jahren am Mittelmeer ihr Winterquartier bezogen, verbringen die kalte Jahreszeit nun in Mitteleuropa. Ehemaligen arktischen Wintergästen wie Ohrenlerche, Schneeammer oder Rauhfußbussard ist es hingegen inzwischen zu warm hier.

"Stare, die früher in West- und Südwestfrankreich überwinterten, tun dies heute bei uns", sagt Markus Nipkow vom Nabu, ebenso Sommergoldhähnchen, Stieglitz, Zilpzalp und Kiebitz.

"War es früher eine Sensation, wenn man im Winter in hiesigen Breiten eine Mönchsgrasmücke sichtete, die eigentlich in Spanien überwintert, ist sie heute in Deutschland, Frankreich und England auch zwischen November und April häufig zu sehen", sagt Ökoklimatologin Annette Menzel.

Generell nütze die Erwärmung insbesondere den Arten, die ohnehin nicht weit ziehen. "Den reinen Insektenfressern hilft auch ein warmer Winter in Frankreich nicht, sie müssen ihrer Nahrung wegen weiter nach Afrika".

Nachteilig ist das für Arten wie den Trauerschnäpper. Wenn er zur üblichen Zeit im Frühjahr zurückkehrt, haben ihm andere Vögel schon die früher geschlüpften Insekten weggefressen.

Was das langfristig für Nahrungsketten und Beziehungen von Beutetieren und Räubern bedeutet, kann heute kein Wissenschaftler sagen. "Um sicher vorhersagen zu können, ob bestimmte Arten zunehmen oder seltener werden, dafür müssen in den nächsten Jahren noch viele Daten gesammelt werden", sagt Klimaforscher Cramer.

Nur eines ist schon jetzt klar: "Wir werden von Süden her aufgerollt", sagt Katrin Böhning-Gaese, "und es geht schneller als gedacht vonstatten".

© SZ vom 30.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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