Gewalt und Altruismus:Die soziale Keule

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Mit der Begründung von Altruismus haben die Nachfolger Darwins ihre Probleme. Ein Forscher behauptet nun: Blutige Kämpfe haben selbstlosem Verhalten den Weg geebnet.

Christopher Schrader

Wenn man Samuel Bowles glaubt, waren Bogen, Keulen und Äxte, mit denen sich Steinzeitkrieger bekämpften, Instrumente der Menschlichkeit. Die bewaffnete Gewalt zwischen Gruppen früher Menschen habe dem selbstlosen Verhalten zum Durchbruch verholfen, sagt der Ökonom vom Santa Fe Institute im US-Staat New Mexiko. Er nennt blutige Konflikte "Hebammen des Altruismus".

"Hebamme des Altruismus": Wer für eine Gemeinschaft kämpft, handelt auch selbstlos - denn er begibt sich für seine Gruppe in Lebensgefahr. (Foto: Foto: Getty)

Seine gewagte These untermauert der Forscher mit Computersimulationen und einer komplizierten mathematischen Berechnung, in der er die Mechanismen der Evolution theoretisch nachvollzieht ( Science, Bd.324, S.1293, 2009).

Damit versucht er, einen Widerspruch aufzuklären, denn mit Altruismus haben die Nachfolger Charles Darwins ihre liebe Mühe: Wer etwas selbstlos tut, verringert damit in harscher Umgebung seine eigenen Überlebenschancen.

Dennoch sind "inspirierender öffentlicher Einsatz, Mut und Großzügigkeit typisch für Menschen", hat Bowles in einem früheren Aufsatz in Nature geschrieben. Wie also hat sich die Anlage dazu in der Abfolge der Generationen verbreiten können?

Laut Bowles hat sich diese Menschlichkeit aus dem Verhalten von Kriegern entwickelt, die ihren Gegnern die Köpfe einschlugen. Sie waren schließlich insofern selbstlos, als sie unter Gefahr für das eigene Leben die Gruppe verteidigten.

Gewalt war weit verbreitet, wie archäologische Funde und ethnologische Beobachtungen an Völkern zeigen, die als Jäger und Sammler lebten. Etwa ein Siebtel aller Todesfälle von Erwachsenen ging dort auf bewaffnete Konflikte zurück.

Drastische Vereinfachung

Laut Bowles' Computersimulationen stärken solche Konflikte den Zusammenhalt der eigenen Gruppe und begünstigen Feindseligkeit gegenüber Fremden. Dann aber brauchte die Menschenhorde auch Krieger, die ihr Leben für sie riskierten.

Damit der Vorteil für die Gruppe den Nachteil des Einzelnen überwiegt, durfte die Gefahr für die Kämpfer nicht zu groß werden. Sie misst sich wie immer in der Evolutionsforschung nicht am Überleben, sondern an der Fortpflanzungsfähigkeit der Krieger.

Die Zahl ihrer Kinder durfte laut Bowles um nicht mehr als drei Prozent unter den Wert jener Stammesgenossen sinken, die sich nicht für die Gruppe opfern würden. Ansonsten könne die Evolution die Neigung zum Altruismus nicht belohnen. Dabei lässt der Ökonom offen, ob die Selbstlosigkeit durch genetische oder kulturelle Eigenheiten der Gruppe befördert wird.

Ob die Drei-Prozent-Bedingung in der Geschichte der Menschheit erfüllt war, kann Bowles mangels Daten aber nicht beantworten. Er versteht die Zahl auch eher als Abschätzung, ob seine These von der Gewalt als Geburtshelfer der Menschlichkeit überhaupt stimmen kann.

Für Ruth Mace vom University College London gehört Bowles' Erklärung für den Altruismus auf die Liste der ernstzunehmenden Hypothesen. Allerdings vereinfacht er die Verhältnisse drastisch, wie die Anthropologin in einem Kommentar in Science bemerkt. Zum Beispiel setze Bowles voraus, dass eine Gruppe nach dem Verlust eines Kampfes vollkommen ausgelöscht wurde.

In Wirklichkeit dürften jedoch mindestens die Frauen in die Gruppe der Sieger aufgenommen worden sein. Ob als gleichberechtigtes Mitglied oder als Sklavin, sie lebten jedenfalls und konnten sich fortpflanzen - was die komplizierte Berechnung durcheinander bringt.

In welche Richtung der fehlende Faktor das Ergebnis verschiebt, ist nicht einfach zu erkennen. Wenn man annimmt, dass in der Verlierergruppe eine mögliche genetische Anlage zum Altruismus schwächer ausgeprägt war (sie hatte darum weniger oder weniger mutige Kämpfer), geben die überlebenden Frauen diese Neigung an ihre Kinder weiter und verdünnen so in der nächsten Generation den Effekt, den die siegreichen Altruisten haben.

Vorteile auch im Frieden

Dafür wachsen die Kleinen in einer Umgebung auf, in der möglicherweise die Kultur den Hang zur Selbstlosigkeit stärker fördert, als es in der alten Gruppe der Fall gewesen wäre. Die Einflüsse von Anlage und Umwelt wären also für die Nachkommen der Verlierer genau entgegengesetzt.

Auch bei den Männern fehlen Faktoren in der Kalkulation des Ökonomen aus Santa Fe. Zum einen hatten die Krieger bei einem Sieg gewaltige Überlebens- und Fortpflanzungsvorteile - den Kampf aufzunehmen, war also nicht unbedingt selbstlos.

Sie bekamen Nahrung, Besitz und Kontrolle über ein Gebiet und sie vergewaltigten oder verschleppten oft die Frauen ihrer früheren Feinde und zeugten dabei Kinder. Mit diesen Vorteilen erklären Evolutionsbiologen traditionell die männliche Aggression.

Außerdem boten sich den altruistischen Krieger womöglich auch im Frieden Vorteile: Sie waren vermutlich gute Jäger, vielleicht beliebt bei den Frauen - ihr Verhalten hätte sich also womöglich auch ohne bewaffnete Gewalt verbreiten können.

Tatsächlich fördern viele isolierte Naturvölker selbstloses, kooperatives Verhalten, wie Ethnologen erkannt haben. Dieses könnte sonst innerhalb der Horde schnell zum Nachteil werden, wenn Schmarotzer von der Beute der Jäger und Sammler profitieren, ohne selbst dazu beizutragen.

Kooperation nach innen - Gewalt nach außen

Doch durch Rituale von Gemeinsamkeit und durch das Teilen von Nahrung stärken viele Naturvölker den Zusammenhalt und verhindern das Ausnutzen der Altruisten. Solche Gruppen konnten ihre Konkurrenten womöglich auch ohne Gewalt überflügeln.

Bowles räumt das ein, glaubt aber, dass in der Menschheitsgeschichte beide Faktoren zusammen nötig waren, um Altruismus zu verbreiten: die Kooperation innerhalb der Gruppe und die Gewalt nach außen gegen gemeinsame Feinde. Er beeilt sich, dem Eindruck entgegenzutreten, er stelle damit eine Lehre für die Gegenwart oder Zukunft auf.

Der gewalttätige Altruismus gepaart mit der Fremdenfeindlichkeit engverwobener Gruppen sei vielleicht das Vermächtnis der Menschheit, aber es müsse nicht ihr Schicksal sein.

Eine kürzere Version dieses Artikels findet sich in der SZ vom 05.06.2009.

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