Gesundheit:Herzensangelegenheiten

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Noch immer verlaufen fast die Hälfte der etwa 300.000 Herzinfarkte, die sich jährlich in Deutschland ereignen, tödlich. Zwar kündigt sich ein Infarkt fast immer an - aber oft werden die Anzeichen übersehen.

Werner Bartens

Kalter Schweiß, Schmerzen in der Brust, Todesangst und der plötzliche Griff ans Herz. Ein kurzes Röcheln, dann ist es vorbei. So wird in Büchern und Filmen ein Infarkt geschildert. So stellen sich medizinische Laien, aber auch viele Ärzte die Symptome vor, wenn die Herzkranzgefäße dicht machen, der Pumpmuskel nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird und schlimmstenfalls seine Funktion einstellt.

Der Herzinfarkt gilt als das unvorhersehbare Ereignis schlechthin in der Medizin - das ebenso plötzlich wie lebensbedrohlich auftritt. "Dabei ist der Infarkt aus heiterem Himmel ein Ammenmärchen", sagt Karl-Heinz Ladwig, Leiter des Bereichs Psychokardiologie in der Klinik für Psychosomatik der Technischen Universität München. "In den letzten sechs Monaten vor einem Infarkt tut sich Entscheidendes."

Diese entscheidenden Anzeichen gilt es zu erkennen. Noch immer verlaufen fast die Hälfte der etwa 300.000 Herzinfarkte, die sich jährlich in Deutschland ereignen, tödlich. Dabei könnten tausende Infarktopfer überleben, wenn die Symptome schneller zur richtigen Diagnose führen und die Patienten früher behandelt würden.

So leicht ist das nicht. Denn die Beschwerden, die auf einen Infarkt hindeuten, können überaus vielfältig sein. Im Journal of the American Medical Association vom heutigen Mittwoch beschreiben Clifford Swap und John Nagurney aus Boston, dass der vermeintlich so typische Brustschmerz nur begrenzt aussagekräftig für die Infarktdiagnose ist (Bd. 294, S. 2623, 2005).

Fast die Hälfte der Frauen und etwa ein Drittel der Männer haben keine Brustschmerzen, wenn es zum Infarkt kommt. Zudem ist Schmerz nicht gleich Schmerz - es kommt auf die Art und Lokalisation an.

Swap und Nagurney haben Dutzende Infarkt-Studien ausgewertet. Demnach besteht bei stechenden Schmerzen in der Brust - oder solchen, die auf einen kleinen Bereich begrenzt sind und sich durch Druck auslösen lassen - nur ein geringes Risiko, dass es sich um einen Infarkt handelt. Tut der Brustkorb unterhalb der Brustwarzen weh, ist die Wahrscheinlichkeit für einen Infarkt ebenfalls gering.

Nur ein Viertel hat typische Vorläufersymptome

Für einen Infarkt spricht hingegen, wenn der Schmerz als diffuser Druck empfunden wird, in Schultern oder Arme ausstrahlt, sich bei Anstrengung verstärkt und von Übelkeit, Erbrechen oder Schweißausbrüchen begleitet wird.

Das Problem: Nur ein Viertel der Infarktopfer hat auch typische Vorläufersymptome in Form einer Angina pectoris - die Minderdurchblutung der Herzkranzgefäße führt bei diesen Patienten zu einem Engegefühl in der Brust, das ihnen gleichsam einen Vorgeschmack auf die Beschwerden bei einem Infarkt gibt.

Ärzte achten deshalb in jüngster Zeit verstärkt auf andere Symptome. Anfang November zeigten amerikanische Herzspezialisten im New England Journal of Medicine, wie bedeutsam Atemnot als Anzeichen für einen drohenden Infarkt ist (Bd. 353, S. 1889, 2005).

In der Studie mit fast 18.000 Teilnehmern stellten die Mediziner fest, dass Patienten mit Atemnot ein vierfach erhöhtes Risiko hatten, einen Herzinfarkt zu bekommen. Das Infarktrisiko der an Atemnot leidenden, ansonsten aber symptomfreien Patienten war sogar doppelt so hoch wie das von Patienten mit typischer Angina pectoris.

"Wer plötzlich unerklärlicherweise kurzatmig ist, wird dies hoffentlich zum Anlass nehmen, schnell den Arzt aufzusuchen", sagt Daniel Berman von der University of California in Los Angeles, der an der Studie beteiligt war. "Wir Ärzte sollten uns daran erinnern, dass es auch andere Symptome als Brustschmerzen gibt, auf die wir bei Infarktverdacht achten sollten", ermahnt der Kardiologe Thomas Marwick von der australischen Universität Queensland seine Kollegen in einem Kommentar.

Anhaltende Erschöpfung kann ebenso auf einen drohenden Infarkt wie auf das akute Ereignis hinweisen. Mehr als 70 Prozent der weiblichen Opfer klagen über dieses Symptom, das damit der wichtigste Vorbote für einen Infarkt bei Frauen ist. Schlafstörungen und Kurzatmigkeit sind bei Frauen mit Infarkt ebenfalls häufiger als Brustschmerzen.

Aber auch bei Männern gibt es oft eine unerklärliche Schwäche und exzessive Müdigkeit in den Wochen vor dem Infarkt. Psychischer Stress und Depressionen sind in dieser Phase ebenfalls häufiger. Aus den letzten 180 Tagen vor dem Herzinfarkt lässt sich laut Karl-Heinz Ladwig viel erkennen. "Die Verschreibung von Herzmedikamenten nimmt in dieser Zeit zwar nicht spürbar zu", sagt der Psychokardiologe. "Dafür steigt aber die Verordnung von Psychopharmaka und Antidepressiva an."

© SZ vom 23.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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