Gedächtniskünstler:Deutschland sucht das Superhirn

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Denksport für Fortgeschrittene: Mit Phantasie und Konzentration siegt Gunther Karsten bei der Deutschen Gedächtnismeisterschaft.

Martin Kotynek

"Auf die Zellen, fertig, los" lautet das Kommando bei der zehnten Deutschen Gedächtnismeisterschaft. Die grauen Zellen sind es auch, die bei dem Wettbewerb gefragt sind. Sofort setzen die sechzehn Teilnehmer schalldichte Kopfhörer auf. Einige von ihnen tragen Spezialbrillen, die das Sichtfeld einengen.

Nichts soll sie von den Listen ablenken, die auf den Tischen vor ihnen liegen. Sie sind mit tausenden Ziffern vollgeschrieben - es gilt, diese in einer halben Stunde auswendig zu lernen und später fehlerfrei wiederzugeben. Gunther Karsten kann das am besten.

Der 45-jährige Patentübersetzer aus Erfurt merkt sich 1160 Ziffern und stellt damit einen neuen Weltrekord auf. Und weil er sich auch die Reihenfolge von 577 Spielkarten und 244 abstrakte Bildkombinationen einprägen kann, holt sich der älteste Teilnehmer den Titel des Gedächtnismeisters.

"Jeder kann die nötige Technik erlernen"

Seit dem ersten Wettkampf im Jahr 1997 ist Karsten dabei, acht Mal hat er die Meisterschaft seitdem gewonnen. Doch man müsse kein Super-Hirn sein, um solche Leistungen zu vollbringen, sagt Karsten: "In ein paar Wochen kann jeder die nötige Technik erlernen."

Die für den Wettkampf entscheidende Geschwindigkeit sei dann eine Frage der Übung - eine Stunde trainiert der promovierte Chemiker täglich. "Intelligenz ist keine Voraussetzung.

Einen Vorteil haben vielmehr phantasievolle Menschen", sagt Karsten. Denn Kreativität und ein gutes Vorstellungsvermögen sind gefragt, um sich die Reihenfolge tausender Ziffern einprägen zu können. Statt die Zahlenreihen auswendig zu lernen, denken sich die Gedächtnissportler Bilder aus, die das Gehirn viel besser speichern könne, sagt Karsten.

Wie das funktioniert, demonstriert Simon Reinhard. Erst vor zwei Jahren hat der 28-jährige Student der Rechtswissenschaften zu trainieren begonnen, in Tuttlingen erreicht er den dritten Platz.

"01000101001" steht in der ersten Zeile auf dem Zettel vor ihm. Doch Reinhard liest statt dessen "Mem": "Ich fasse immer drei oder vier Ziffern zu einem Buchstaben zusammen und bilde daraus ein Wort - in diesem Fall eine Memme." Die setzt er im Geiste auf eine Parkbank, an der er auf seinem ehemaligen Schulweg vorbei kommt. "Nachher gehe ich den Weg ab und erinnere ich mich so an die Reihenfolge der Begriffe", sagt Reinhard. Die übersetzt er wieder zurück in Nullen und Einsen - so merkt er sich am Freitag 2130 Binärzahlen in einer halben Stunde.

Das sind Leistungen, die in den Anfängen des Gedächtnissportes noch als unmöglich galten. "Es ist unglaublich, dass immer noch Steigerungen möglich sind", sagt Tony Buzan. Der Brite hat die weltweiten Gedächtnismeisterschaften im Jahr 1991 gegründet und ist davon überzeugt, dass jeder sein Gedächtnis trainieren kann.

Für ihn ist es "zwar normal, aber nicht natürlich", dass das Gehirn im Alter an geistiger Leistungsfähigkeit verliert. "Der älteste Teilnehmer, Gunter Karsten, hat gewonnen. Das widerspricht allen Vorurteilen", sagt Buzan. Wer sich sein Gehirn zum Hobby mache, könne dem schleichenden geistigen Verfall Einhalt gebieten.

Den Fans des geistigen Sportes wurde am Wochenende einiges geboten: Insgesamt sechs Weltrekorde, sowie zwei deutsche Rekorde stellten die Gedächtnissportler auf - das sind mehr Rekorde als bei den Olympischen Winterspielen 2006. Die Zuschauer applaudierten begeistert - fünf waren es an der Zahl. Im Hirnsport geht es eben beschaulich zu.

© SZ vom 30..7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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