Forschung:Urknall des Lebens

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Max-Planck-Forscherin Petra Schwille über ihre Versuche, die Entstehung des Lebens im Labor nachzuahmen.

Interview von Kai Kupferschmidt

Petra Schwille (47) ist Physikerin und Direktorin am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München. Sie koordiniert "MaxSynBio", einen neuen Forschungsverbund zur Synthetischen Biologie, in dem sich eine Gruppe von neun Max-Planck-Instituten zusammengetan hat, um künstliche Zellen zu konstruieren.

SZ: Frau Schwille, Sie arbeiten daran, im Labor aus einfachen Bausteinen lebende Zellen zusammenzusetzen. Wollen Sie tote Materie zum Leben erwecken?

Petra Schwille: Erwecken wollen wir gar nichts. Wir glauben einfach, dass es keinen fundamentalen Unterschied gibt zwischen toter und lebender Materie. Die Moleküle, die eine Zelle aufbauen, verstehen wir inzwischen sehr gut und wir verstehen auch immer mehr von den Wechselwirkungen zwischen den Molekülen, die das Leben ausmachen. Jetzt ist halt die Frage: Wo findet da der Übergang von etwas nicht Lebendigem zu etwas Lebendigem statt? Findet überhaupt ein Übergang statt?

Nicht gerade die üblichen Forschungsfragen.

Man begibt sich da in diesen metaphysisch aufgeladenen Bereich, den die Naturwissenschaften eigentlich tunlichst meiden. Aber je länger ich naturwissenschaftlich arbeite, desto mehr tue ich mich schwer damit, zu verstehen, wo dieser Unterschied zwischen Leben und Nicht-Leben eigentlich noch liegen soll. Das geht glaube ich jedem so, der das längere Zeit macht.

Darum wollen Sie eine Zelle nachbauen?

Es gibt ja die Leute im Cern, die sozusagen versuchen, den Urknall nachzustellen. Und so eine Art von Urknall hat auch stattgefunden, als das erste Mal etwas Lebendes kam. Man kann das vermutlich nicht so schön mathematisch beschreiben wie beim tatsächlichen Urknall. Aber da muss einmal etwas passiert sein, dass nichtlebende Materie lebende Materie geworden ist. Und diesen Urknall des Lebens möchten wir nun nachstellen.

Mary Shelley's Frankenstein wollte auch Totes zum Leben erwecken. Seitdem geistert sein Monster durchs kollektive Gedächtnis als ein Sinnbild für das, was bei unkontrolliertem Forscherdrang herauskommen kann. Machen Sie so etwas Ähnliches?

Da ging es um Menschenmachen. Ich will keinen Menschen schaffen. Menschliches Leben ist etwas, das sich vom anderen Leben unterscheidet, da findet dann noch einmal ein qualitativer Sprung statt. Die einfachste Form des Lebens sind Mikroorganismen. Und schon die sind ja etwas ganz anderes als einfach die Summe ihrer Moleküle im Mixer.

Wie weit sind Sie denn auf Ihrem Weg ?

Der Stoffwechsel, also durch Energieaufnahme neue Moleküle zu generieren, lässt sich im Labor sehr schön nachstellen. Und auch die DNA und wie die Informationsweitergabe funktioniert, ist gut verstanden. Wo es noch ein bisschen hakt - und da bin ich tätig - ist die Verpackung der Information, die Zellmembran.

Wo liegt das Problem?

Wir wissen sehr genau, wie so eine Membran aussieht und wir können auch die Zellteilungsapparate in vielen Organismen beschreiben. Aber Sie müssen ja, um so eine Hülle zu deformieren eine Kraft ausüben und wir wissen zum großen Teil noch nicht, wo diese Kraft genau herkommt. Wir können zwar Moleküle benennen, die irgendwie involviert sind. Aber wie es genau geht, wer den Startschuss dazu gibt, und wie so ein System prinzipiell aussehen muss, ist noch gar nicht so klar. Dabei ist die Zellteilung ein essenzielles Phänomen.

Einmal angenommen, Sie fügen das irgendwann alles zusammen und dann lebt es. An welcher Stelle lernt man da was?

An der Stelle, wo es anfängt, einen zu überraschen. Es gibt viele Forscher, die sagen: Möglicherweise merken wir erst dann, wenn wir alles zusammenfügen, von dem wir denken, dass wir es brauchen, dass unsere Definition von Leben falsch war.

Weil da noch etwas fehlt?

Ja, aber weil wir da noch nicht sind, können wir das noch nicht beantworten. Es wäre schön, wenn wir sagen könnten, so und so muss es aussehen und dann ist es Leben. Wenn wir es schaffen sollten, eine Mischung von Molekülen zusammenzurühren, die irgendwann anfängt, sich selbst zu organisieren, Strukturen auszubilden und einen Stoffwechsel zu haben, dann ist das schon sehr gut. Dann können wir uns auf die Schultern klopfen. Aber ob das dann wirklich Leben genannt werden kann, das ist überhaupt nicht sicher.

Wie weit sind wir denn von so etwas entfernt?

Ich würde mal sagen, so fünf bis zehn Jahre. Wir haben schon jetzt in meinem Labor überraschende Dinge gesehen: wie sich in wässriger Lösung Moleküle entmischen, Muster bilden. Wie sich andere Moleküle positionieren, ohne irgendwelche Strukturen auszubilden, sondern einfach durch diese Interaktion der Moleküle. Das ist schon faszinierend. Das würde man natürlich noch nicht als Leben bezeichnen, aber das hat schon etwas, das ist nicht alltäglich.

Aber das ist letztlich die Eigenschaft dieser Moleküle. Das ist doch einfach Chemie?

Ja, wir können ja letztlich nur die Eigenschaften dieser Moleküle beschreiben und was sich aus diesen ergibt. Und das Postulat, relativ materialistisch, ist, dass wir das, was uns so fasziniert, das Leben, als Eigenschaften von Molekülen beschreiben können.

Walter Benjamin hat in seinem berühmten Aufsatz geschrieben, "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" verliere etwas von seiner Aura. Nehmen Sie dem Leben in Zeiten seiner technischen Reproduzierbarkeit dann auch etwas von seiner Aura?

Ja, möglicherweise schon. Aber dann hat es die Aura sowieso nicht zu Recht gehabt. Ich selber ziehe die große Linie beim Selbstbewusstsein. Wenn Sie eine Person haben, die sich äußern kann, die Ihnen entgegenkommt, ihr Interesse äußert. Das ist so weit weg von Bakterien in der Petrischale. Da gibt es noch vieles, was uns mit Erstaunen und Ehrfurcht erfüllt. Es ist vielleicht gut, wenn wir nicht anfangen, allem, was irgendwie lebt, schon diese Aura zu verpassen. Möglicherweise steht es dem gar nicht zu. Oder es steht auch dem Stein oder dem gestirnten Himmel zu, den unbelebten Dingen: Entweder man findet alles toll, da kann ich mitgehen. Oder man hat Respekt, vor dem was Menschen schaffen, vor der Kreativität, die in der Welt ist durch uns. Mir geht es darum, dass man das Leben nicht zu früh heilig nennt.

Was treibt Sie an?

Neugierde. Ich verstehe Leben einfach nicht. Ob ich es jemals ganz verstehe, weiß ich nicht, aber ich möchte es besser verstehen und ich möchte wirklich wissen: Wo ist der Übergang? Was steckt in den Molekülen und was steckt nicht da drin? Möglicherweise gibt es da was, aber möglicherweise auch nicht.

Sie haben Physik und Philosophie studiert. Heute erforschen Sie das Leben. Ist das ein Zeichen dafür, wie drastisch sich die Biologie ändert?

Ich würde sagen, die ändert sich schon seit Jahrzehnten. Im Grunde seit der DNA-Revolution. Wir haben diese Möglichkeit, immer genauer hinzugucken, immer besser zu verstehen, was da passiert.

Und dann auch selbst Dinge zu schaffen. Das ist doch das Ziel der Synthetischen Biologie?

Klar, wir verstehen biologische Systeme inzwischen so gut, dass wir anfangen können, mit ihnen zu konstruieren. Mit Schräubchen und Chips zu konstruieren, ist kein Problem mehr. Es gibt keinen Grund, warum man das nicht mit biologischen Modulen können sollte. Es gibt immer die Möglichkeit, diese Funktionselemente anders zu kombinieren. Sobald wir die Legosteinchen haben, können wir sagen: Packen wir mal das grüne auf das rote drauf und schauen, was passiert. Aber natürlich lassen sich solche biologischen Systeme schwerer handhaben als technische Systeme.

Wird die Synthetische Biologie in der Öffentlichkeit noch zu wenig diskutiert?

Ich glaube nicht, dass sie zu wenig diskutiert wird. Sie hat ja auch überhaupt noch nichts geleistet. Ich glaube nicht, dass die Öffentlichkeit sich mit allem auseinandersetzen muss, was in der Wissenschaft gerade abgeht. Wenn es dann mal relevant wird, wenn es ein großer Schritt ist, dann wird die Öffentlichkeit schon aufmerksam.

Ist es dann nicht schon zu spät?

Ich glaube, das ist einfach Schicksal. Wissenschaftliche Fortschritte passieren eben oft sprunghaft. Da geht plötzlich etwas, von dem vorher überhaupt nicht denkbar war, dass das gehen könnte. Beim Internet hätte man sich vielleicht auch gewünscht, dass es eine bessere Vorbereitung gibt. Aber das war eben auch plötzlich in der Welt und jetzt leben wir damit.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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