Florida:Wo Pythonschlangen mit Alligatoren kämpfen

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Floridas Everglades sind Schauplatz des weltgrößten Renaturierungsprogramms - doch das Projekt droht zu scheitern. Milliarden für den Sumpf?

Moritz Koch

Im subtropischen Süden der USA erstreckte sich einst ein Meer aus Gras. Die Everglades in Florida umfassten fast 30.000 Quadratkilometer und waren der größte Sumpf des amerikanischen Doppelkontinents.

Kniehoch ragten Halme aus dem flachen Strom, der sich an Bauminseln vorbei gemächlich gen Süden schob. Pumas, auch als Florida-Panther bezeichnet, durchstreiften die Sümpfe. Reiher wateten im trüben Wasser und pickten Jungfische heraus.

Heute ist der träge Fluss, der bis vor 100 Jahren fast die ganze Südhälfte Floridas bedeckte, weitgehend versiegt.

Landwirtschaft und Städtebau haben die Everglades drastisch schrumpfen lassen, bevor die Regierung 6100 Quadratkilometer im Jahr 1947 zum Nationalpark erklärte.

Fast das gesamte Schutzgebiet ist mit Düngemitteln und Quecksilber verschmutzt. Fremde Tier- und Pflanzenarten machen sich breit, Pythonschlangen etwa, die sich Duelle mit Alligatoren liefern. 90 Prozent der heimischen Vogelpopulationen sind verschwunden, der Florida-Panther ist fast ausgestorben und die Fischbestände sind eingebrochen.

Dabei hatten der US-Kongress und die Regierung Floridas längst ein Programm zur Rettung der Sümpfe beschlossen. Beide sagten im Jahr 2000 je 3,9 Milliarden Dollar zu, als sie den Comprehensive Everglades Restoration Plan (Cerp) beschlossen. Inzwischen sind die erwarteten Kosten auf insgesamt fast elf Milliarden Dollar gestiegen.

Der Cerp ist damit das teuerste Programm, das je zur Sanierung eines Naturparks aufgelegt wurde. Und das komplexeste: Es umfasst 68 Projekte in 16 Landkreisen, die innerhalb von 35 Jahren umgesetzt werden sollen.

Doch Cerp steckt in der Krise. Kaum ein Teilprojekt ist fertig. Weil Farmer ihr Land nicht aufgeben, Städte weiter wachsen und Bundes- und Landesbehörden nicht kooperieren, schreitet die Umweltzerstörung voran.

,,Das Schicksal der Everglades wird sich in diesem Jahr entscheiden'', sagt John Adornato von der National Park Conservation Association. ,,Florida hat seit Januar einen neuen Gouverneur, und auch der Kongress hat sich erst vor ein paar Monaten konstituiert. Wenn die Machtwechsel keinen neuen Schwung bringen, sind die Sümpfe wohl verloren.''

Gigantische Verschwendung

Die planmäßige Zerstörung der Everglades begann in den 1930er-Jahren, als das US-Army Corps of Engineers den fast 1900 Quadratkilometer großen Okeechobee-See mit Deichen umzog. Später durchkreuzten sie den Morast südlich des Sees mit Hunderten Kanälen und leiteten damit den Wasserstrom um, auf dessen Grundlage sich die Flora und Fauna Floridas über Jahrtausende entwickelt hatten und dessen Quelle der Okeechobee war.

Jahr für Jahr lief der See während der sommerlichen Regensaison über und setzte so den Strom aus Gras in Gang. Doch um Platz für Siedlungen und Ackerland zu schaffen und den Hochwasserschutz für Siedlungen zu verbessern, beschlossen die Ingenieure, das Regenwasser im Okeechobee zu sammeln und, sobald ein hoher Pegelstand erreicht war, über Flüsse und Kanäle in den Ozean ablaufen zu lassen - nach Westen in den Golf von Mexiko und nach Osten in den Atlantik. Eine gigantische Süßwasserverschwendung: Bis zu 6,4 Milliarden Liter gehen so pro Tag verloren.

Die Trockenlegung war erfolgreich. Den nördlichen Teil des früheren Flussbetts bedecken nun Plantagen für Zucker und Zitrusfrüchte. Den östlichen Teil haben die Vororte Miamis und Fort Lauderdales in Beschlag genommen.

Nur die Südspitze der Sümpfe, wo sie in den Golf von Mexiko übergehen, verschonten die Ingenieure. Abgeschnitten von ihrer Quelle, darben die Everglades dahin. Nur das Wasser einiger Kanäle und ein Teil des Regens, der auf das Farmland fällt, dringen noch in die Sümpfe vor. An ihrem Nordrand trocknen die Everglades aus, im Süden drängen Meer und Mangroven mit vier Metern pro Jahr in den Grasstrom hinein.

Längst sind nicht mehr nur Tiere und Pflanzen durch die Zerstörung der Everglades bedroht. Dort, wo sich einst unzugängliches Marschland befand, leben inzwischen sieben Millionen Menschen. In 35 Jahren könnten es bis zu 14 Millionen sein. Die Ingenieure, die die Trockenlegung vornahmen, hatten mit maximal zwei Millionen Bewohnern Südfloridas gerechnet. Die Folge: In vielen Kreisen gehen Wasservorräte zur Neige, vor allem im Frühling, wenn es selten regnet.

Dieses Jahr ist die Situation besonders ernst. ,,Wir erleben eine der schwersten Trockenheiten unserer Geschichte'', sagt Randy Smith vom South Florida Water Management District. Bis sich die Situation entspannt hat, müssen Industrie und Farmer den Wasserverbrauch um 30 Prozent senken; Anwohner dürfen ihre Gärten nur zu bestimmten Zeiten wässern.

Auch der Tourismus leidet unter dem Schwinden der Everglades. Selbst an den entfernten Golfstränden bei Fort Myers und Cape Coral zeigen sich die Nebenwirkungen der Umweltzerstörung. Das überdüngte Okeechobee-Wasser wird dort in den Golf geleitet und sorgt regelmäßig für eine Algenblüte, die massenhaftes Fischsterben auslösen kann.

Dann werden Tausende Fischkadaver an die Strände gespült und vertreiben die Badegäste. Auf der Atlantikseite zeigt sich ein ähnliches Bild: Fischerboote kehren ohne Fang in die Häfen zurück, weil der hohe Süßwasseranteil im Mündungsgebiet des St. Lucie-River den Fischen wichtige Brutplätze genommen hat.

Die vielseitigen ökonomischen Folgen erklären die breite Koalition, die sich der Rettung der Everglades verschrieben hat: Republikaner, Demokraten, Gastronomen, Stadtplaner, Umweltschützer, Berufsfischer und Hobbyangler. Selbst die Farmer willigten ein, als man ihnen versicherte, ihre Interessen zu berücksichtigen. Die Grundidee des Plans ist einfach: Der ursprüngliche Strom soll wiederhergestellt werden.

Das Wasser, das sich im Okeechobee sammelt, soll wieder Richtung Süden ablaufen und die verbliebenen Sümpfe speisen. Kanäle, die den Fluss umleiten, sollen beseitigt, Deiche eingerissen, und eine Autobahn, die das Gebiet der früheren Everglades kreuzt, angehoben werden. Die Umsetzung übernehmen der South Florida Water Management District und das Corps of Engineers, das hauptsächlich damit beschäftigt sein wird, die Schäden, die es selbst verursacht hat, zu beseitigen.

Bush für den Sumpf

Doch der Versuch, eine möglichst breite Koalition zu schmieden und alle Interessen zu berücksichtigen, macht die Ausführung kompliziert. So soll das Farmland zwischen dem See und den Sümpfen weitgehend unangetastet bleiben. Die Pläne sehen vor, das Wasser in mehr als 300 riesigen unterirdischen Bassins zu sammeln und über Leitungen in die Everglades zu pumpen. Bis heute weiß niemand, ob das funktioniert. Viel leichter lässt sich das Wasser überirdisch speichern.

Dafür aber müsste die Landesregierung den Farmern viel Land abkaufen. Sie zögert angesichts der hohen Grundstückspreise - und schiebt die Verantwortung für den Stillstand dem Kongress zu. ,,Der Bund hat das Evergladesprogramm zwar verabschiedet, aber bis heute nur einen Bruchteil der zugesagten Summe überwiesen'', sagt Cerp-Chefingenieur Jeffrey Kivett.

Jeb Bush, bis Januar 2007 Gouverneur Floridas und jüngerer Bruder des Präsidenten, ergriff vor zweieinhalb Jahren die Initiative. Er verkündete ein Programm, mit dem Cerp beschleunigt werden solle. Acht der 68 Projekte sollen zehn Jahre schneller fertig gestellt werden als ursprünglich geplant, allerdings nicht gemäß den ursprünglich mit dem Senat abgestimmten Vorgaben, sondern nach Gutdünken der Landesregierung.

Umweltschützer kritisierten den Plan als Versuch, die Evergladesrestaurierung in ein grünbemänteltes Wasserversorgungsprogramm für die Stadtentwicklung zu verwandeln. ,,Bush hat während seiner Amtszeit klargemacht, dass das weitere Wachstum der boomenden Gemeinden Südfloridas für ihn Priorität hat'', sagt Naturschützer Adornato.

Die zunehmende Konkurrenz um die Verwendung des Süßwassers beunruhigt auch Nick Aumen, Ökologe im Nationalpark. ,,Angesichts des ungebrochenen Bevölkerungswachstums wird es immer schwieriger, das Ziel der Restaurierung mit einer besseren Wasserversorgung für die Gemeinden zu vereinbaren'', sagt er.

,,Die Landesregierung muss deutlich machen, dass die Grenzen des Wachstums erreicht sind.'' Dies ist bisher nicht geschehen. Immerhin hat Charlie Crist, der neue Gouverneur, Umweltaktivisten davon überzeugt, dass er den Naturschutz ernster nimmt als sein Vorgänger.

Aumen sieht allerdings noch eine weitere Gefahr: ,,Cerp beruht auf der Annahme, dass das Wasser, das den Naturpark erreicht, sauber ist. Das ist es nicht.'' Phosphor, den Farmer zum Düngen benutzen, werde mit dem Regen in die Everglades gespült und stelle die Flora auf den Kopf. ,,Bevor wir mehr Wasser in die Sümpfe pumpen, brauchen wir mehr Kläranlagen und Rückhaltebecken'', sagt Aumen. ,,Das heißt, die Kosten der Restaurierung werden weiter steigen.''

Um endlich das versprochene Bundesgeld für die Restaurierung zu erhalten, haben Umweltschützer ihre Lobbyarbeit in Washington verstärkt. Auch Adornato reist regelmäßig in die Hauptstadt. ,,Wir können uns keinen weiteren Verzug leisten'', sagt er bei Kongress-Anhörungen immer wieder.

Adornato weiß, dass sich die Prioritäten der Politik verschoben haben, seit der Cerp 2000 verabschiedet wurde. Die Einsätze im Irak und in Afghanistan lassen alle anderen Haushaltsposten schrumpfen. Trotzdem werde dieses Jahr alles anders, glaubt Adornato. Seit den Kongresswahlen im November hofft er auf einen Neubeginn. ,

,Das Everglades-Programm ist zu wichtig, um es scheitern zu lassen'', sagt er. ,,Wir können der Welt zeigen, dass die Rettung eines fast zerstörten Ökosystems gelingen kann. Insofern geht es nicht nur um Florida. Es geht um Naturschutz in der ganzen Welt.

© SZ vom 21.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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